05 Okt

Europa – Protest der Zwerge? Wohl kaum # 73

Protest der Zwerge?

Spontane Antwort auf einen Artikel in der ZEIT vom Tage „Protest der Zwerge“

Unser gnädiges Gedächtnis verschont uns europazentrierten Besserwisser immer wieder vor einer zu großen Anzahl von Daten aus der eigenen Geschichte – soweit sie halbwegs glaubwürdig überliefert und aufgeschrieben sind – wo werden zum Beispiel die Franzosen, die Spanier und die Engländer samt Holländer bei das Landnahme im Land der „Schildkröteninsel“ (so hieß nämlich das scheinbar namenlose und so große Land schon lange) als Zwerge beschrieben, die auf ein großes, bewohntes Land trafen, dessen Einwohner im Süden genauso wie im Norden massen haft sterben mussten – jeweils von Osten nach Westen dem Sensenmann sein Vergnügen ließen beim Sensen, Tag für Tag, Nacht für Nacht, so viele, viele Jahre lang – sie selbst willfährigste Assis dabei? Und natürlich alles im Namen Gottes, ganz gleich ob er nun katholisch oder protestantisch sein Banner über den Leichenbergen wehen lassen durfte, schön bekreuzt, wenn die Zeit es noch ermöglichte – bei dem Tempo, den diese Zwerge bei ihrem Gewaltmarsch von Ost nach West vorlegten.

Vergessen.

Dann kam „die große Zeit der großen Nationen“, die um die Vorherrschaft auf dem ganzen Planeten pokerten. Die kleinen kulturellen Gemeinschaften hatten keine Chance gegen diesen Furor. Sie duckten sich weg und gingen auf Tauchstation.

Längst vergessen.

Dann kam „die schlimme Zeit der großen Kriege“, die damals einen wahnsinnigen Blutzoll unter den eigenen Leuten forderten – ganz gleich ob nun in Korea, in Palästina, in Griechenland oder in Belgien. Die Zwergenstaaten hatten keine Chance – sowieso.

Längst vergessen?

Nicht ganz. Neuerdings werden diese vergangenen Zeiten wieder beschworen als heimatverbundene Zeit, wo man noch wusste, wohin man gehörte und der Fremde draußen vor zu bleiben hatte.

Also doch nicht vergessen?

Dann kam die Zeit der großen Bündnisse, der Nato, des Warschauer Paktes, der EWG und später der EU und der UNO…

Aber eben auch die Zeit der Sehnsüchte nach Unabhängigkeit innerhalb dieser übergroßen Systeme:

Denken wir nur an die Jurassen, die Basken, die Nordiren, die Elsässer, die „Jugoslawen“, die Slowenen, die baltischen Staaten – alles lauter „Zwerge“?

Wer ist es eigentlich, der diese Zuweisung ausspricht: ZWERGE?

Ist es ein solcher, der einfach nur gefangen bleibt in großen Bildern, weil er von dessen Macht und Herrlichkeit selber profitiert? Als Journalist, als Politiker, als…?

Was aber treibt denn die AfD-Wähler an, was die Katalanen, was die Bretonen, was die Korsen?

Könnte es nicht sein, dass die Zeit der großen Einheiten sich endgültig überlebt haben, weil die „Kosten“ – ideologisch genauso wie ökonomisch und kulturell – einfach zu hoch geworden sind? Weil für den einzelnen in den jeweiligen Regionen, in die diese großen Einheiten (sprich „NATIONEN“) ja unterteilt sind, der Überblick, die Glaubwürdigkeit und die Selbstvergewisserung abhanden gekommen sind?

Warum vergessen die Politiker einfach immer wieder die kritischen Zwischenrufe während der Wahlkampfzeit? Warum bewegen sie sich immer nur im eigenen Hall-Raum – hermetisch abgeriegelt von den lauten und leisen Anfragen der Zeitgenossen in abgehängten oder auch besonders erfolgreichen Regionen?

Und eins ihrer Sprachrohre – die Presse – fällt da nichts besseres ein, als solche Töne die von ZWERGEN zu nennen, um sie im Subtext (schön negativ konnotiert) zu erledigen als Winzlinge, über die man nur lachen kann. Was für eine dünnhäutige Komplizenschaft ist das denn?

Denn in Wahrheit sind es keine Zwerge, die sich da vom etablierten Muster angeekelt abwenden, sondern selbstbewusste Regionalisten, die wissen, was sie an sich und ihrer Gegend, ihrer Geschichte, ihrer Sprache und ihren familiären Banden haben: Selbstvergewisserung eben, Stärke, Sicherheit, Zufriedenheit, Überschaubarkeit und den Glauben, das die Menschen um sie herum ähnlich fühlen und denken wie sie. Zwerge? Wohl kaum.