Europa – Meditation Nr. 500

Der neue Dreisatz im Chaos-Tanz der europäischen Wirklichkeit.
Erster Satz:
Das Credo vom Individualismus „Habe Mut, dich deines Verstandes zu bedienen!“ hat sich als schlimme Verlockung, als hohl und mörderisch erwiesen. Denn statt einer Befreiung des Ichs betrog sich der kluge Kopf in einem steilen Aufstieg zu einer noch nie da gewesenen Entfremdung von sich selbst, in dem er sich den scheinbaren Gesetzmäßigkeiten der Materie und des Marktes verschrieb, in dem er mehr und mehr zum Getriebenen und bloß noch Gebrauchten verkam, der das Mehr an Haben dickköpfig als ein Mehr an Sein sich selbst einzureden vermochte und gleichzeitig nicht nur der eigenen Tier-Natur, sondern auch der sie tragenden äußeren Natur so viel Gewalt antat, dass er die Verkümmerung seiner Seele genauso wie die Klima-Katastrophe und die Ressourcen-Ausbeutung als Weg zur Vollendung der „Aufklärung“ verbrämen musste. Die Kosten sind immens. Geld wurde so zur endgültigen neuen Religion, die zu zelebrieren er all seine Phantasie einsetzte. Das Bild vom goldenen Kalb aus dem alten Testament wird so zu einem Menetekel, das sich in diesen Tagen auf unheimliche Weise dermaßen vergrößert hat, dass die Selbstverwirklichungswünsche des einzelnen nur noch über die Schiene der Geldvermehrung funktioniert. Die Auswüchse werden überdeutlich in der immer weiter auseinanderklaffenden Schere zwischen Arm und Reich: die Deals, die in der letzten Woche in Saudi-Arabien und den Emiraten ausgehandelt wurden, sind das letzte und verlogensten Beispiel dieser Irrfahrt des Individuums zu sich selbst: da ist nichts mehr übrig als Kälte, Gewalt, Lüge und Betrug.
Zweiter Satz:
Vielfalt ist die entschiedene Antwort auf diesen totalen Schiffbruch der völlig misslungenen Emanzipation des Individuums mittels cartesianischer Mittel. Die Europäer können sich aus der Sackgasse des amerikanischen Modells endlich selbst befreien: Sie müssen sich nur auf den Wert der Vielfalt europäischer Traditionen, Sprachen und Kulturen besinnen, die – wie in einem großen Konzert – eine so starke Melodie auf den Weg bringen kann, dass nicht nur nach innen selbstwirksame Kräfte freigesetzt werden, sondern auch nach außen eine Stärke sichtbar wird, die in der Vielfalt der Welt wie eine neue Einheit erscheinen kann. Sie wird dann in dieser globalen Krise zum beeindruckenden Vorbild für Hilfe durch Selbsthilfe – eben nicht nur auf dem eigenen Kontinent, sondern auch auf der ganzen Welt. Das bisherige westliche Modell wird über Nacht zu einem Auslaufmodell, weil die tönerne Botschaft in sich selbst zusammenfällt und an ihre Stelle die „Vereinten Völker Europas “ (VVE) die ihre setzen, die weder der Selbstausbeutung noch der Ausbeutung der Natur anheim fällt, sondern behutsam und nachhaltig an den Schäden sich abarbeiten wird, um gemeinsam mit ihren „followern“ den Kollaps des Planeten doch noch abzuwenden. Die Kräfte dieser Vielfalt müssen überhaupt erst zum Bewusstsein kommen – da haben die Medien ihre große neue Aufgabe – in der Bildung der nachwachsenden Generation muss das zum Kern-Curriculum in allen europäischen Ländern werden, damit die Flucht in die Welt der Pixelsucht obsolet wird. Es ist höchste Zeit, denn die Stunde der Wahrheit hat geschlagen.
Dritter Satz:
Den cartesianischen Sicherheitsversprechen durch Maß und Zahl werden dann die ernüchterten Individuen in Europa eine Haltung entgegen setzen, die sich bescheiden als neugierige Nomaden-Existenz versteht, die im Denken wie im Tun das „Unterwegs Sein“ auf seine Fahnen schreibt: die im Vorläufigen, Experimentellen, im Probelauf also, die Lebensdevise sieht: Wir – als aufrecht gehende Tiere mit einem zu Überspanntheit neigenden Gehirn – sind neugierig unterwegs zu neuen Versuchen, die weder der Gewalt, noch dem Selbstbetrug das Wort reden, sondern der Sterblichkeit bescheiden Tribut zu zollen bereit sind, um im jeweiligen Moment des eigenen Lebens alles daran zu setzen, mitzuhelfen, das gemeinsame Schicksal Europas doch noch zu meistern – eben nicht in Selbstüberheblichkeit und Größenwahn, sondern in Solidarität mit den Nachbarn, die man kennt und respektiert und von denen man weiß, dass sie für die eigene Rettung lebensnotwendig sind. So könnte Europa der neue Trendsetter werden. Weitsichtig.