30 Juli

Europa – Meditation # 458

Angst machen gilt nicht!

Vulkane explodieren in schöner Unregelmäßigkeit – im Pazifik, auf Island und mancherorts im Mittelmeer, von Tonga ganz zu schweigen. Über unsere fleißigen Medien gelangen eindrucksvolle Bilder davon in unsere uniformen Wohnzimmer. Angst? Wovor denn? Einmal sind diese gewaltigen Naturschauspiele weit weg vom Betrachter und zum anderen nichts Neues. Ähnliches gilt für Erdbeben.

Im sozialen Gefüge allerdings werden Vulkanausbrüche und Beben um einiges ernster genommen: Wenn zum Beispiel ein Präsident eines Krieg führenden Landes in einem Unterstützerland vor dem dortigen Parlament eine Rede hält. Rhetorisch kompetent, inhaltlich die alte Leier: „Wir kämpfen weiter, bleibt an unserer Seite, wir werden erst aufhören damit, wenn der Feind vollkommen am Boden liegt.“ Die Geiseln – seit vielen Monaten irgendwo gefesselt und geknebelt in irgendwelchen Erdlöchern – haben nicht nur das Gefühl für Zeit und Raum verloren, sondern auch das Vertrauen in die, die vorgeben, sie zu erlösen.

Oder wenn zum Beispiel ein alter Mann mehr oder weniger freiwillig die Macht aus der Hand gibt – medienwirksam, versteht sich – und die „Fackel“ an eine jüngere, eine dunkelhäutige Frau übergibt, dann feiern die „Andenken-shops“ ungeahnte Umsatzexplosionen, plötzlich gibt es neue Hoodies, neue Sticker, neue Regenschirme mit einem lachenden Frauengesicht, während der Kontrahent wie Rumpelstilzchen tobt, weil seine gesamte Kampagne nun für die Tonne ist. Sein Wüten unterhält via social media die Zuschauer bestens; eine schöne Abwechslung nach EM, Tour de France und Olympia. Was für ein Theater aber auch!

Selbst die Kriege – in der Ukraine wie im Gazastreifen – haben längst ihren Aufmerksamkeitspeak überschritten, obwohl weiter Tag für Tag – wie im Mittelmeer – Männer, Frauen, Kinder gewaltsam ums Leben kommen, die auch lieber vor einem Monitor gesessen hätten, statt zu ertrinken oder durch Kugeln, Drohnen oder Raketen urplötzlich dem Tod anheim zu fallen.

Und was ist mit dem WIR-Gefühl – der Amerikaner und der Europäer – während solcher Beben und Vulkanausbrüche? Es zerfällt. Zwar wird in den USA von beiden Lagern die „Einheit der Nation“ beschworen, doch gemeint ist stets die eigene, während die der anderen als falsch, gefährlich und ruinös verteufelt wird. Ähnlich ist es auch in Europa: Hier hält man zwar weiter am sogenannten Atlantischen Bündnis nibelungentreu fest, müsste allerdings längst eingesehen haben, dass es lediglich beinharte wirtschaftliche und militärische H e g e m o n i a l motive waren und sind, die den „großen Bruder aus Übersee“ bei der Stange hielten – bisher. Der damit verbundene Materialismus (Wachstum um jeden Preis!), Vereinheitlichung aller Sitten und Gebräuche und Austrocknen philosophischer und ethischer Traditionen zugunsten eines simplen Eigentummodells, all das treibt die Ratlosigkeit und Einsamkeit der nach Sinn suchenden Menschen in Europa in nie gekannte Ausmaße.

Von den altbekannten Krisen ganz zu schweigen. Pausenlose Unterhaltung, erhöhtes Tempo auf allen Ebenen sollen weiter helfen, das wachsende Sinnlosigkeitsloch nicht als solches wahrzunehmen, sondern so etwas wie gute Laune herbeizuzaubern. Gleichzeitig wird der Wahlkampf vor Ort in den drei Bundesländern, in denen im September gewählt wird, genauso wie der in Übersee wie ein sportliches Event vermarktet, bei dem selbstverständlich der Bessere siegen wird.

Wie naiv ist das denn?

07 Juli

Europa – Meditation # 457

Zwei völlig artfremde Überforderungen des Homo Sapiens sapiens (Teil 2)

Dass er nur ein Gast nicht nur in seinem Leben, sondern auch auf seinem wunderbaren Planeten ist, vergisst die Spezies allzu gern. Damit ihm das im Alltag auch nachhaltig gelingt, erfand und erfindet er sich immer wieder Gerätschaften, die ihm gerne Helfen, diesen Tatbestand des vita brevis zu vergessen: Das Rad, die Druckerpresse, den Fotoapparat, die Dampfmaschine, das Telefon, den Otto-Motor, das Radio, das Flugzeug, TV und schließlich KI. Vermehrung und Beschleunigung eben. Nicht Qualität, sondern Quantität wurde so exponentiell gesteigert, bis sich dem Zauberlehrling sein Zauberwerk verselbstständigte. „Hab ich doch das Wort vergessen, ach das Wort, worauf am Ende er das wird, was er gewesen…“ Und in der Ballade hat der Lehrling Glück. Denn der Meister beendet dass misslungene Gesellenstück mit seinem Basta: „In die Ecke Besen, Besen, sei’s gewesen!“ Tja, wenn es doch nur so einfach wäre!

So hat er sich selbst zum Zuschauer konditioniert, der er glaubt zu sein, während er in Wirklichkeit ein Räuber, Raffer und ein Vergifter geworden ist, der davon aber nichts wissen will. Das beste Beispiel hierfür ist nach wie vor die ungelöste Frage der sogenannten „Entsorgung“, die mit diesem Begriff in trockenen Tüchern gelandet zu sein scheint, aber in Wirklichkeit seit 70 Jahren größte Sorgen bereiten sollten.

So ist es auch mit dem open-air-Museum von Pompeji: Der Vulkanausbruch ist ja so lange her, dass alles, was damit zusammenhängt – auch die Katastrophe für die tausende getöteter Pompeianer – etwas für die Geschichts- und Geographiebücher zu sein scheint, nicht aber für die aktuelle Berichterstattung und Katastrophen-Vorsorge. Selbst das Menetekel der Ahrflutwelle scheint längst wieder vom Regen von der weißen Wand getilgt zu sein. Wenn aber in diesen Tagen nicht nur der Stromboli, sondern auch der Ätna und sogar die Phlegräischen Felder störend rumoren, rauchen und sich dreist erheben, haben solche besorgniserregenden Nachrichten angesichts der Fülle an sportlichen Events dieser Tage -EM, Olympia, Tour de France und Wimbledon – keine Chance nach vorne zu kommen (nicht zuletzt aufgrund der mathematischen Logik des Algorithmus, der nur nach oben spült, was oft genug angeklickt wird!) So schafft sich der Homo sapiens sapiens leichtfüßig die übelsten Fallgruben, die er als letzten Schrei und Fortschritt überschreibt.

Wie sehr aber nach wir vor – eigentlich schon immer – die Gefühle das Sagen haben und nicht der Verstand, könnte man sogar an den Reaktionen der Niederlagen der Deutschen, Schweizer und Türken ablesen, die mit einem derartigen Furor reagieren, dass verdrückte Tränen geradezu wie ein Lachen anmuten.

Gast zu sein in seinem eigenen Leben, das einem einfach so geschenkt wurde, schmeckt dem Narzissten natürlich gar nicht, und dass er weiter voll verantwortlich bleibt für Wohl und Wehe des von ihm leichtfertig geschundenen Planeten erst recht nicht – nur mit 100 km/h über Einbahnstraßen gleiten, fühlt sich für die meisten an wie ein Albtraumbild einer brutalen Operation im Bett des Prokrustes. Eine Kleinkind Trotzreaktion, mehr nicht, ist es in Wirklichkeit. Da zeigt sich, wie sehr eben Gefühle das Denken und Handeln des aufgeklärten Europäers nach wie vor dominieren. Kants Wendung von der „selbstverschuldeten Unmündigkeit“ ist weiter richtig und den Mut zur Selbst-Aufklärung hat der Homo Sapiens sapiens immer noch nicht. Das Zeitalter einer wirklichen A u f k l ä r u n g bleibt weiter Zukunftsmusik, denn das, was wir seit 300 Jahren erleben ist nichts anderes als Rauben, Raffen und Vergiften.

05 Juli

Europa – Meditation # 456

Zwei völlig artfremde Überforderungen des Homo Sapiens sapiens. (Teil 1)

Natürlich könnte man in Dauerschleife dieses sapiens, sapiens, sapiens („weise, weise, weise!“) zu einem beschwörenden Raunen jedem Haushalt frei Haus als Gott der Wiederholung einspeisen, damit er – Goebbels hatte es in den USA als Werbe-Axiom zu bewundern und zu kopieren gelernt – leichter daran glauben kann. Doch die Ergebnisse seiner Weisheiten – Fließbandproduktion und Überschall-Passagier-Flugzeuge blenden nur mit Menge oder mit Geschwindigkeit, nicht aber schuf er sich Sinnfülle damit, nach der er sich so sehnt.

Damit nun aber diese verfehlten Anstrengungen nicht als verfehlt betrachtet werden müssen, badet der homo sapiens sapiens nachhaltig in Unterhaltungsformaten, die ihm beim Selbstbetrug schön trösten sollen. Das tun sie auch nach Kräften. Bestes Beispiel: der derzeitige Sommer. EM, Olympia, Tour de France und Wimbledon dürfen sich Tag und Nacht ordentlich wichtig tun. Denn untröstlich könnte er gleichzeitig genauso werden. Beste Beispiele: Der Plastikmüll in den Meeren, die schmilzenden Gletscher, die riesige Schere im Portemonnaie der wenigen Gewinner (von Rheinmetall wollen wir lieber schweigen) und der allzu vielen Verlierer weltweit (das gestrige Wahlergebnis in Großbritannien könnte sicher gut als Beispiel dafür dienen), die zunehmende Abfolge von Überschwemmungen und Waldbränden. Die Liste ließe sich leicht verlängern. Aber wie gesagt: Mengen und Geschwindigkeiten sind eher Pappkameraden als wirkliche Zuwächse an Lebensqualität. Doch wie vom Trampel aus Amerika wird auch hierzulande von verbindlicheren Schreihälsen die frohe Botschaft verkündet: alles nicht so schlimm und schuld sind sowie so die „Grünen“. Beinahe wären den Besserwissern doch glatt das Feindbild abhanden gekommen, nachdem das kommunistische Konzept krachend baden gegangen war. Aber die „Grünen“ genügen ihnen als Platzhalter des Bösen.

Gleichzeitig haben kriegerische Gewalt und männliche Übergriffigkeit, um es einmal euphemistisch zu umschreiben, nichts von ihrer uralten Gefühlskälte verloren. Dass dann auch noch spitzfindige Paragraphenhengste Priester aus dem Rennen nehmen können, sie sind ja wie alle Arbeitnehmer nur von morgens sieben bis abends fünf im Job(!), lässt sicher viele Täter klammheimlich bösartig grinsen. Die Triebe lassen sich einfach nicht unter Kontrolle bringen, da ist es nur günstig, weiter im Patriarchat vor sich hin zu dümpeln, drüber eine zuckrige Lasur von zivilisatorischer Wohlanständigkeit gelegt. Allein schon das allmähliche Verschwinden jedweder Verbindlichkeit im öffentlichen Raum macht dagegen allzu deutlich klar, dass die soziale Seite des homo sapiens sapiens mehr und mehr zu einer bloßen Plakatwand schrumpft – als wären wir alle auf einem launigen Segeltörn à la Truman Show; es dauert nicht mehr lange, bis wir gegen die Wand knallen und unliebsam aus unserem frustrierenden Konsumschlaf erwachen.

Sinnvoller wäre es allemal aber, schon jetzt die großen Mengen an Gütern und die Beschleunigungseuphorien wie von gestern aussehen zu lassen. Denn für morgen wird eh nur noch die kleine Menge und das Fahrrad – ohne Elektromotor natürlich – eine Perspektive des globalen Überlebens sein. Und dass der „Rufer in der Wüste“ natürlich ausgelacht wird, versteht sich von selbst. Leider hört sich dieses Lachen aber nur wie ein grässliches Krächzen an, das von der eigenen Ratlosigkeit mit viel Lärm ablenken soll, denn der homo sapiens sapiens ist mit seinen bisherigen Mustern – amazonisch-globale Sofortmengen im Höchstbeschleunigungsformat – am Ende mit seinem Latein.