26 Okt.

Europa – Meditation # 419

Der Mythos Europa basiert auf Gewalt

Am Anfang des Narrativs von Europa steht – das weiß ja inzwischen jeder, der im internet herum daddelt – eine Gewalttat eines Mannes (eines Gottes, der als Inkognito und Vorspiel die Gestalt eines weißen Stiers wählte) an einer Frau. Ein Geschehen, das bis heute Frauen global in Angst und Schrecken versetzt. Femizide, erniedrigende Verhöre, allzu oft wird dem Täter geglaubt und nicht der Klägerin. Auch das ein Narrativ – nicht nur in Europa – das die Banalität der Gewalt gegen Frauen nur allzu deutlich werden lässt. Beschworen auch immer in großen Bildern, die sich ins kulturelle Gedächtnis einbrannten – bis heute. Erst recht im Krieg.

Aber dabei handelt es sich jeweils um schlimme Einzelereignisse. In Mythen, Epen, Liedern und Bildern wird davon immer wieder erzählt – so lange es Europa gibt. Dabei bedeutet doch ihr Name: die weitsichtige. Oder ist mit dieser Weitsichtigkeit etwa gemeint, dass Gewalt gegen Frauen weiter in die Zukunft hinein fortbestehen wird – ist Europa gewissermaßen eine Kassandra, deren Tragik darin bestand, dass man ihren Prophezeiungen nicht glauben wollte?

Und wieder sind es Bilder von Gewalt an Frauen vor allem, die die Macht der Krieger zeigen sollen, die mit Angst und Schrecken wie naturwüchsige Monster gnadenlos zuschlagen – jederzeit und ohne Vorwarnung. Ist also die kulturelle Evolution nicht die zu mehr Humanität, sondern lediglich nur die zu immer wieder neuen Varianten der alten Gewaltbereitschaft?

Das zarte Pflänzchen „Partnerschaft auf Augenhöhe, Kooperation und Toleranz“ war demnach gar kein Pflänzchen, sondern bloß eine Fata Morgana einer schwindlig konditionierten Konsumgesellschaft, die über die Untiefen der Patrix Glitzerkram streute, um sich schön blenden zu lassen – bis zum nächsten Kollaps – oder die sich sicher wähnte, weil technologisch hochgerüstete Überwachungssysteme im Hochglanzprospekt verkündeten: Wir haben alles unter Kontrolle, wir werden jeden gewaltsamen Übergriff im Keim ersticken. Im Gaza, in Paris, in New York, in Brüssel, in Oslo und und und…

Eine noch bizarrere Geschichte ist die von der Nymphe Kallisto, die derselbe Gott (wie bei Europa) überlistete, indem er sich in ihre Herrin Artemis verwandelte, um sie ohne Widerstand vergewaltigen zu können. Dem Oberpatriarch war wohl keine Verwandlung infam genug, um zu seinem Ziel zu gelangen. Gewalt ist es natürlich allemal. Bis heute.

12 Okt.

Europa – Meditation # 418

Herrschaft des Volkes ? (Teil III von III)

Schon im Kindergarten wird die Erziehung unter dem hehren Motto: „Erziehung zur Selbstständigkeit“

inszeniert, damit nach Schule, Ausbildung oder Studium der kritische und unabhängige Bürger seine Entscheidungen unabhängig und frei zu fällen weiß. Nur im Konzept der repräsentativen Demokratie soll er hinter die Repräsentanten zurücktreten, da diese seine Interessen professioneller vertreten würden als er selbst – wegen der Sachkompetenz.

Was aber könnte gegen die „Verdrossenheit des Wählervolks“ besser helfen als die Eigeninitiative, die direkte Teilhabe?

Die aus der Geschichte erklärte Skepsis gegen Plebiszite – Manipulation der Bürger durch Propaganda – kann ja heute nicht mehr gelten, weil die Bürger ja zu kritischen und selbstständigen Entscheidern erzogen werden.

Nehmen wir das Beispiel Bildung.

In allen Bundesländer beklagen sich die Eltern, dass die Kultusbürokratie die Eltern-Teilhabe auf Anhörungen beschränke, die aber nur ein Stillstellen zu beinhalten scheine, damit alles beim Alten bleiben könne.

Was wäre aber, wenn spontan alle Eltern schulpflichtiger Kinder sich solidarisch am nächsten Montag auf einem Autobahnkreuz träfen und zu Tausenden den gesamten Verkehr lahmlegten – so lange, bis die jeweilige Landesregierung zustimmt, den Anteil der Gelder für Bildung von derzeit 4,3% (OECD Durchschnitt liegt bei 4,9%°!) auf 5,0% anzuheben. Man werde so lange dort campieren, bis die Zusage der Länder vorliegt?

Das Polizeiaufgebot und die Kapazitäten in Gefängnissen würden in keiner Weise ausreichen, eine derart ungehorsame Elternschaft abzuräumen.

Was wären die Folgen?

Einmal ein wunderbares Gefühl von Solidarität – zwischen Eltern und Kindern und Eltern und Eltern – und das märchenhafte Erlebnis der Macht des Volkes im Jahre 2023, wo doch eigentlich Verdrossenheit, Zynismus und Populismus feste feiern dürfen. Das Erlebnis des sogenannten Sommermärchens wäre nichts dagegen!

Was wäre aber, wenn dieselben Eltern gemeinsam fordern würden, in Zukunft plebiszitär – auf regionaler Ebene – alle Entscheidungen in Sachen Bildung, Mobilität und medizinischer Versorgung mittragen zu wollen?

Den etablierten Parteien liefen – wie derzeit den Kirchen auch – reihenweise die Mitglieder davon, weil die Bürger deren Seilschaften nicht länger ertragen wollen und müssen.

11 Okt.

Europa – Meditation # 417

Herrschaft des Volkes? (Teil II von III)

Nun hatten die Deutschen 74 Jahre Zeit dem verordneten Demokratie-Modell Eigenleben einzuhauchen. Hüben wie drüben – und seit 1990 sogar völlig unvorbereitet wiedervereint. Und wieder keine Nationalversammlung zum Beginn!

Verständlich, dass sich die meisten zuerst – nach 1945 – lieber mit Wiederaufbau und Schweigen beschäftigten als mit Demokratie „Leben“- sollten die gewählten Vertreter doch mal zeigen, was sie so drauf haben! Alle vier Jahr können sie seitdem per Abstimmung dazu ihren Kommentar abgeben: Gut gemacht, schlecht gemacht, denen werde ich es aber zeigen…

Inzwischen aber macht sich Verdrossenheit breit.

Wie aber konnte sie sich stekum ins demokratische Gefüge einschleichen?

Nicht zuletzt durch die medial ritualisierten Abläufe der Parteienherrschaft.

Könnte ein kleines Beispiel für diese großen Institutionen (Parteien, Verbände, Lobbies) nicht auch die studentischen Verbindungen sein, die an den Universitäten und später im Karriereplan mit ihren S e i l s c h a f t e n eine unsichtbare, aber sehr effektive Rolle spielen? Auch da ist nicht die fachliche Kompetenz entscheidend, sondern den Ausschlag geben die Beziehungen der alten Herren. So werden die Söhne bequem weitergereicht. Statt Wissen und Können setzen sich Begünstigung und sogenannte informelle Freundeskreise durch. Subkutan sozusagen.

Wäre das vielleicht der Einstieg in eine Analyse dieser Verdrossenheit der Demokraten, die zwar alle vier Jahre autonom wählen dürfen, die aber gleichzeitig wissen, dass unterhalb dieser Wahlen der Zusammenhalt derer, die sich als loyale Sachwalter der Interessen ihrer Wähler brüsten, unverändert weiter besteht und leise weitergegeben wird – ganz gleich wie die Wahlen jeweils ausgehen?

Und könnte das nicht die schwer fassbare Ohnmacht des Wahlvolkes in den Blick bekommen?

Ist es nicht ein kluges Argument, dass man für die komplexen politischen Probleme eben extrem spezialisierte Fachleute brauche? Dass der Bürger eben nicht über dieses Fachwissen verfüge? Müsse er nicht geradezu dankbar sein, dass ihm dieses undankbare Geschäft von kompetenten Frauen und Männern abgenommen werde?

Die großen Volksparteien aber zerbröseln von Jahrzehnt zu Jahrzehnt. Der Wähler glaubt diesem Muster wohl nicht mehr. Sollte man ihm deshalb nicht besser ordentlich Angst machen, dass er bei der Stange bleibt?