02 Mrz

Europa – Meditation # 442

Die hohen Mauern der Patrix

Die chinesische Mauer ist nichts im Verhältnis zur der furchtbaren Mauer, die das Patriarchat immer noch mit Gewalt aufrechtzuerhalten versucht. Und das eben nicht nur im Zweistromland, wo Männer es erfunden haben oder eben in Europa, sondern weltweit. Meistens mit nachhaltiger Unter- stützung religiöser Institutionen und Männerbünden, sprich Priestern.

So wie in jedem Gefängnis strenge Regeln gelten – und zwar nicht nur die der Gefängnis-Aufsicht, sondern auch die der Häftlinge untereinander, die gnadenlos streng und unerbittlich jeden Abweichler so was von vorführen, so dass nur Angst und Schrecken und Starre vorherrschen – so ist es auch in der patriarchalischen Welt: Missbrauch, Femizide, Vergewaltigungen, häusliche Gewalt sind die Spitzen dieses Gewalteisberges, der nun seit fast 10000 Jahren den homo sapiens in ein Muster zwängt, das ihm inzwischen als natürlich scheint, obwohl es doch nur vor langer Zeit von frustrierten Jägern ausgedacht wurde, um die eigenen Bedeutungslosigkeit mit einem unschlagbaren Narrativ aufzupäppeln: Es gibt nur einen Gott, einen unsichtbaren, es gibt nur eine Ehe und einen Erben und als Priester wachen wir über diese ewigen Gesetze, damit uns kein Unheil von Seiten Gottes widerfahren möge. Angst wird so zum Motor des menschlichen Miteinanders und die Frauen müssen sich diesem Diktat unterwerfen, denn es ist ja ein göttliches.

Im Laufe der Jahrtausende wurde dann dieses Narrativ immer mehr verfeinert und überarbeitet, so dass gar nicht mehr klar war, dass es eine Erfindung aus Not war, die nun als natürliche Gegebenheit das Leben aller Menschen bestimmt. Diese Domestizierung der inneren Natur des Menschen soll allerdings nicht als Gefängnis verstanden werden, dem sich Frauen wie Männer zu unterwerfen haben. Dass darunter unkaputtbar die eigentlich Natur des Menschen weiter nach frischer Luft schnappen möchte, ist allerdings ein Ärgernis, dass täglich beinhart bekämpft werden muss. Und wie gesagt: wie in jedem Gefängnis sind die Strafen für Regelverletzungen knallhart, exekutiert von Männern, die sich als Wächter dieses großen Narrativs verstehen. In der häuslichen Gewalt, in Femiziden und in der generellen Benachteiligung der Frauen lebt sich diese Selbstjustiz weiter aus. Die Männer gehen derweil in den Bordellen Luft schnappen – das soll gewissermaßen die Regel nur bestätigen, denn der Wert dieser Frauen wird von den Männern eher gegen Null gehandelt. Letztes schlimmes Beispiel: in Wien, wo neulich vier Frauen von Männern ermordet wurden, weil sie dem Narrativ nicht entsprechen wollten.

29 Feb

Europa – Meditation # 441

Schiffbruch: Mythologie der Vernunft als blinder Passagier mit auf dem Floss der Medusa.

Ein erbärmlicher und skandalöser Unfall aus dem Jahre 1816, der sich nun schon so lange hinzieht. Viel zu lange schon! Dabei waren die Aufklärer des 18. Jahrhunderts doch zu einem intellektuellen Wettstreit angetreten, der die Menschheit mit Hilfe der Vernunft „endlich“ aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit herausführen sollte.

Es sollte ein einziger Aufstieg ins Licht der Erkenntnis werden, zielgerichtet wie ein Vektor, der stetig nach oben weist.

Was diesen Denkern – und nicht nur denen der ersten Generation – dann aber entging, was, dass diese Vernunft nur auf einem technischen, formalen Feld zu fruchten wusste, nicht aber auf dem des Humanen selbst.

So berauschten sich die „Vernunftler“ an ihren eigenen Ergebnissen, wenn sie dabei auch nicht nur die Erde immer unbewohnbarer machten und sich selbst immer abhängiger von eben diesen Ergebnissen, sondern auch noch als neuestes Produkt dieser immer hektischer inszenierten Fluchtbewegung eine instrumentelle Vernunfts-Zeitbombe aus dem Hut zaubern, die es wirklich in sich hat: der Algorithmus und seine virtuellen Endlosschleifen, in denen sich der homo sapiens nicht nur ununterbrochen tummeln kann, sondern auch gerne vor sich selbst verloren gehen möchte.

So dient das Bild vom Floss der Medusa, das Théodore Géricault 1819 malte, nach wie vor für die verstörende Botschaft, dass der homo sapiens allzu gerne vergisst, dass er auch ein Tier ist (s. dazu auch das neueste Buch von Markus Gabriel: Der Mensch als Tier), das seinen Verstand noch gar nicht angemessen für seine gesamte species ins Spiel gebracht hat. Denn die Mythologie der Vernunft entpuppt sich längst als nichts anderes als eine Sackgasse, aus der der Mensch schleunigst wieder zurückrudern muss, wenn er doch noch Licht am Ende des Tunnels seiner unerhörten Wortgebirge zu sehen bekommen möchte.

Wenn nun in den Medien – trotz der irrsinnigen Unvernunftsmassaker in der Ukraine wie in Palästina – flugs, gewissermaßen als Ablenkunksmanöver und intellektuelles Ersatzschauspiel, ein neuer Topf auf dem „Sprachmarkt“ angeboten wird: „Das künftige Modell heißt Pentarchie“, dann fühlt sich das so an, als wäre man in Lego-Land und die kleinen Menschlein dürften mal so richtig mit den bunten Klötzchen klotzen. Anstelle von alten oder auch neuen Modellen wäre es derzeit wirklich angeratener, sich gegenseitig wach zu rütteln, um aus dem Schlaf der Vernunft in eine vernünftige Gegenwart miteinander zu starten.

21 Feb

Europa – Meditation # 440

Selbstvergewisserung angesichts geschürter Ängste.

Wie sehr doch Fremdwörter allzu Vertrautes mit sterilen Vorhängen verdecken können:

„Marginalisierte Menschen“ – „Präkariat“ – „Mentalitäts-Diskurs“

Auf der einen Seite wachsen dumpf die Ängste vor dem unaufhaltsamen sozialen Abstieg: Kündigung am Arbeitsplatz, Bürgergeld, Kündigung der Wohnung, Hitzewellen, Krankheit, Tod. Auf der anderen Seite wachsen der Konsum von Alkohol, Algorithmenflimmerbildchen rund um die Uhr und die wütende Bereitschaft, sich als Opfer der Wenigen da oben zu sehen.

Und wenn diese scheinbar billigen Konditionierungsprogramme nur oft genug konsumiert werden, verfestigt sich der Opferstatus nach und nach nachhaltig. Und die Wut wächst und die Einflüsterer haben Saison!

Die gegensätzlichen Welten, wie sie pausenlos medial und konkret präsent sind, befeuern auf kleiner Flamme mächtige Gefühle: Wut, Zorn, Hass, Gewaltbereitschaft.

Das ist der gesellschaftliche Hintergrund vor dem gebildete Zeitgenossen nun ihren parteipolitischen Eintopf anrühren, der seinen Bodensatz, sein Vokabular und seine Botschaften aus einem vergangenen Thesenangebot nährt, das auch schon der Gefreite aus Braunau als seine Bibel beschrieben hatte: nicht nur gehe die weiße Rasse ihrem Ende entgegen, weil rückläufige Geburtenraten und übermäßige Zuwanderung das Ende der bisherigen europäischen Kulturen einläuteten, sondern der kleine Mann werde von den Eliten hemmungslos betrogen.

Die vielen Autoren des letzten Jahrhunderts finden nun ihr Echo in der neuen „Bibel“ der Untergangswiedergänger mit dem beängstigenden Titel:

D e r g r o s s e A u s t a u s c h,

ein Buch, das Renaud Camus 2011 herausbrachte. Es gilt in der Tat in Europa als d a s die Augen öffnende Werk der rechten Gruppierungen europaweit.

Eine Aufsatzsammlung unter dem Titel „Revolte gegen den großen Austausch“ häuft noch einmal für die sich als Opfer fühlenden, verängstigten Zeitgenossen die die Angst vervielfältigenden Ohrwürmer an:

e t h n i s c h e Ü b e r s c h w e m m u n g

n i e d e r s c h m e t t e r n d e I s l a m i s i e r u n g

g e g e n u n s e r V e r s c h w i n d e n

g e g e n d i e d r o h e n d e V e r k n e c h t u n g

g e g e n d i e E r o b e r u n g v o r a l l e m d u r c h A f r i k a

Es gab schon einmal ein Buch, das kaum jemand Bock hatte durchzulesen,

dessen Thesen man aber besser gekannt haben sollte, wenn man die Motive des Politikers hätte verstehen wollen, den man anfangs nur als Schreihals glaubte abtun zu können.

Doch jetzt wabert eben nicht nur in Frankreich der Bodensatz aus diesem neuen Buch „Der große Austausch“ von Renaud Camus (2011) durch die Köpfe der wütenden Menschen, sondern auch im Umfeld der AfD echot ähnliches Gedankengut immer unverfrorener – nicht zu vergessen: allein im hessischen Landtag sitzen seit der letzten Wahl 27 Abgeordnete und im Bundestag sind es sogar 78 Abgeordnete, 78! Und in den anderen Bundesländern? Insgesamt sind es auf Länderebene 244 abgeordnete Männer und Frauen! Das sind zusammen mit denen im Bundestag: 322 Repräsentanten unserer Republik. 322!

Und „Biedermann und die Brandstifter“ (Max Frisch 1958) ist nach wie vor eine sinnvolle Lektüre, beziehungsweise ein lohnender Theaterbesuch.

Die vielen Demonstrationen gegen solche Angst-Botschaften sind natürlich richtig und ermutigend. Die sich darin manifestierende Selbstvergewisserung tut allen gut – aber sie wird sehr schnell den Duft eines Märchens annehmen (s. das sogenannte Sommermärchen!), wenn sie sich nicht in konkrete Teilhabe des Souveräns erweitern darf. Denn die repräsentative Demokratie im Gewande der Parteiendemokratie hat stark an Glaubwürdigkeit eingebüßt – nicht zuletzt wegen der Dauer-Demontage-Taktik der Ampelkoalitionspartner im Tagesgeschäft, das den Souverän verstört, empört und verdrossen macht. Die Haltung der Medien trägt ihren Teil dazu bei und die social media werden mehr und mehr zu einer Bühne – vor allem auf tiktok – wo sich die Verdrossenen dem pseudo-Angebot der AfD ausgesetzt sehen, die fröhlich diesen kostenlosen Kanal nutzen, um ihre Botschaften (s. weiter oben!) dem Souverän zu Füßen zu legen.

Es wird höchste Zeit, dass auf regionaler und kommunaler Ebene dem Souverän direkte Macht zurück delegiert wird, weil er nur so seine Ohnmachtsgefühle los werden kann.