07 Sep.

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 144

Hephaistos findet den Plan seines Bruders undurchführbar.

„Na, dann lasst uns mal in seine Schmiede gehen, Brüder!“ säuselt Zeus leise – er will nämlich auf keinen Fall, dass die dreimal kluge Athene Wind von seinem genialen Plan bekommt; die würde bestimmt wieder irgendetwas dagegen einzuwenden haben, da ist sich der Göttervater ganz sicher. So steigen Zeus, Poseidon und Hades klamm heimlich vom Olymp herab – sie kennen natürlich alle unterirdischen Geheimgänge von früheren Versteckspielen her, als sie noch jung und übermütig waren und Rhea, ihre Mutter, sie immer wieder zurückpfeifen musste.

„Seid ihr verrückt oder was? Wisst ihr denn nicht wie glühend heiß es da unten ist, ihr Dummköpfe?“ hatte sie gepoltert und geschimpft. Das waren noch Zeiten! Da gab es solche selbstgefälligen Menschen wie diese eitle Europa noch gar nicht, geht es beim Abstieg Zeus durch den Kopf. Aber im Augenblick ist er bester Laune, denn sein Plan – Kreta mittels eines Unterwasservulkanausbruchs samt nachfolgender Riesenflutwelle zu verschlucken – ist einfach unwiderstehlich klug, unbarmherzig strafend und die Verhältnisse zwischen Göttern und Menschen wieder klar stellend.

Es wird heißer und heißer, die Brüder schwitzen, als sie jetzt vor der Schmiede von Hephaistos stehen. Der hämmert gerade mit einem riesigen Hammer auf seinem Amboss herum, dass es nur so grell klingelt und die Funken fliegen. Die große Werkstatt unter der Erde lässt dazu an den Wänden einen furchterregenden Schattentanz aufführen.

„Hallo, Bruder, was machst du denn da?“ schreit Zeus in den metallen klingenden Lärm hinein. Er muss aber seine Frage noch ein paar Mal stellen, bevor Hephaistos den Hammer aus der Hand legt, sich schweißgebadet zu ihnen umdreht und staunt:

„Ach nee, die lieben Brüder! Und gleich alle auf ein Mal!“

Die Brüder klatschen sich ab und kommen dann aber auch gleich zur Sache, denn Hephaistos hat überhaupt keine Zeit, seine Auftragsbücher sind übervoll und er kommt kaum hinterher.

„So, so“, sagt er schließlich, nachdem Zeus seinen genialen Plan ausführlich vorgestellt hat, „so, so. Du willst also die ganze Insel fluten? Habe ich das richtig verstanden? Weil diese Europa bestraft werden muss, richtig?“

„Genau, Bruder, genau!“

„Tja, dann wird da wohl nichts draus, mein Lieber. Die Kreter sind meine besten Kunden, die werde ich doch nicht selber abschaffen, nee, nee!“

Zeus hält die Luft an. Das darf doch wohl nicht wahr sein, denkt er.

24 Juli

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 143

Europa und Archaikos – Herrscherpaar auf Kreta (Teil 2)

Nach und nach – längst ist die Mondgöttin über der Insel emporgestiegen – kehren die Kreter in ihre kleinen Hütten und Häuser zurück oder schlendern noch am Ufer des kühlenden Meeres entlang. Es wird wenig gesprochen, denn sie sind alle noch so sehr beschäftigt mit den Bildern der Zeremonie vor dem Palast, als Europa und der Minos von Kreta in ihren bunt glänzenden Gewändern vor der Hohepriesterin Chandaraissa in die Knie gingen.

Gleichzeitig hocken unsere drei olympischen Brüder in ihrer Bar auf dem Olymp und starren in ihrer Gläser, gefüllt mit Nektar und Ambrosia. Und was sonst ein berauschender Wohlgeschmack zu sein pflegte, ist ihnen nun ziemlich schal auf der Zunge.

„Papa, schmeckt dir etwa unser Cocktail nicht mehr?“ fragt Athene, Zeus‘ Tochter, etwa spitz in die traurige Männerrunde. Die verdrehen nur die Augen. Poseidon und Hades wissen natürlich genau, dass ihr Bruder gerade den nächsten Plan ausheckt, um diese eitle Europa zu Fall zu bringen. Jetzt auch noch Frau des Minos von Kreta! Unglaublich! Da kommt Göttervater Zeus auch schon die rettende Idee. Hephaistos soll es richten: Wie wäre es mit einer olympischen, unterirdischen Feuersbrunst, die sich als gewaltiger Vulkanausbruch auf dem Meeresboden breit macht und mit einer ungeheuren Welle einfach diese übermütigen Inselbewohner von Kreta wegspült?

Als die beiden Brüder plötzlich das breite Grinsen auf dem Gesicht von Zeus bemerken, ist auch ihnen gleich klar, dass jetzt die große Abrechnung bevorsteht. Schließlich waren ja alle bisherigen Versuche peinlichst gescheitert.

Im Palast liegen Europa und Archaikos weich gebettet im weiträumigen Schlafraum des Minos und geben sich voller Leidenschaft ihrer Lust hin. Aber nicht nur sie lassen sich in hingebungsvoller Sinnlichkeit völlig gehen, sondern auch am Strand und in den Hütten und kleinen Häusern und in den Höhlen oberhalb der Stadt will der Sinnenrausch einfach kein Ende finden. Denn die fast schon vergessene Botschaft vom Glück hat an diesem Freudentag einfach alle Gitter um die eingesperrten Sehnsüchte niedergerissen. Die Natur feiert überschwänglich sich und ihre Geschöpfe in einem Fest aller Sinne. Angstrei, schuldlos, weg von jedweder Gewalt und Unsicherheit. Als wären Frauen und Männer immer schon zu nichts anderem geboren worden, als sich und das Chaos der überbordenden Natur unablässig zu besingen und in wildem Tanz zu gestalten, als wären Zeit und Raum nur kleine Kieselsteine am endlosen Ufer des Kosmos.

28 Juni

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 142

Europa und Archaikos – Herrscherpaar auf Kreta. (Teil 1)

Wie Duft von Myrrhe, Weihrauch und Lavendel weht frischer Wind über die Insel. Frauen wie Männer – beschwingt, heiter und zugewandt – schlendern sie zum Versammlungsplatz vor dem Palast des Minos von Kreta. Wenn sich ihre Arme im Vorübergehen leicht berühren oder sich Blicke kreuzen, scheinen Wellen des Wohlwollens, der Zuneigung und Begeisterung hin und her zu schweben, als habe der gesamte Kosmos zum Fest geladen. Denn die Gerüchte, die seit dem unvergesslichen Tanzfest vor dem Tempel der großen Göttin kursierten, haben sich längst als wahr erwiesen: Archaikos nimmt die Fremde – Europa, die weitsichtige – zu seiner Frau.

Jetzt hallt der tiefe Ton der Hörner über den Platz. Die Bläser stehen über dem Tor, durch das gerade Europa und Archaikos treten. Ein atemberaubendes Raunen geht durch die Menge:

„Schau nur, wie sie lächelt!“

„Ihre Gewänder, sind sie nicht wunderbar?“

„Die Farben, ja!“

„Und der Minos – wie er sie anschaut!“

„Bestimmt hat sie ihn verzaubert, bestimmt!“

„Sie ist schön wie eine Göttin – oder?“ „Sie ist eine, ganz sicher!“

Da, wo sonst der Bote auf einem Podest steht, wenn er die Beschlüsse des Rats der Alten verkündet, steht jetzt die Hohepriesterin Chandaraissa. Das Paar ihr gegenüber. Der Minos in einem weißen Umhang, darunter ein weites, blaues Hemd und um den Kopf trägt er ein rotes, perlenbesetztes samtenes Band, stolz und zufrieden. Europa strahlt ihn überglücklich an. Grün und seiden glänzt ihr langes Kleid. Wie in einem Traum fühlt sie sich: gestern noch auf der Flucht vor dem Gott, der sie entführt und gewaltsam genommen hatte, heute als Gattin an der Seite des Minos von Kreta.

Jetzt hebt die Hohepriesterin beide Arme, alle gehen ehrfürchtig in die Knie.

„Oh Göttin, Schützerin der Insel, lege dein Wohlwollen über die beiden und segne sie, dass sie fruchtbar sein mögen und ein Segen für die Insel!“

Auch Europa und Archaikos beugen ihre Knie, verneigen sich. Chandaraissa legt sanft ihre Hände auf ihre Köpfe.

„Omana, omana!“ geht es dabei murmelnd über das weite Rund. Dann erheben sich wieder alle und jeder umarmt den nächsten neben sich. Wange an Wange murmeln sie wieder ihr „Omana, omana!“

Dann beginnt oben auf dem Tor der Trommelwirbel, erst leise, dann immer mächtiger werdend senken sich die tiefen rhythmischen Töne über die Menschen. Dazu kommen nun hohe Frauenstimmen, die in einem Freudengesang dagegen halten. Anschwellen, lauter und lauter; dann eine Pause, dann wieder anschwellen, lauter und lauter.

Vielen kommen dabei die Tränen, Glückstränen. Gerne lassen sie sie sich von den Wangen wegküssen, gerne. Was für ein Glücksmoment für alle!