06 Apr.

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 183

Vom Gerücht zum Gericht. Europa, die starke Frau an der Spitze. (Teil I)

Wie ein Lauffeuer rennt das Gerücht durch den Hafen, hinauf zum Palast, dann über die ganze Insel. Und jeden Tag kommen neue Einzelheiten dazu: Der Rat der Alten habe in einer Sondersitzung den Anschlag beschlossen, Berberdus habe alle gezwungen, dem Attentat zuzustimmen, ohne Gegenstimmen sei es beschlossen worden, Zygmontis habe Pallnemvus überredet, ordentlich Bestechungsgelder zu zahlen, die Palastwachen seien mit ins Boot geholt worden, selbst die jungen Priesterinnen im Tempel der großen Göttin sollten umgarnt werden – als Spioninnen und Wasserträgerinnen. Und so weiter und so weiter.

Im Hafen surrte und brummte das Thema wie eine wilde Hornissenschar. Und oben, im Palast, ist es dann Gromdas, der seine eigenen Mitratsherren ans Messer liefert. Natürlich verspricht er sich davon so einiges bei Europa und ihren Söhnen.

„Wer will mich sprechen?“ fragt Europa ihren Oberwächter, Sodontis, „wer?“

„Gromdas, es sei sehr dringend!“ sagt in einer besonders tiefen Verneigung sehr leise, aber auch sehr deutlich, Sodontis darauf.

Europa nickt. „Schick ihn in den Thronsaal, ich werde ihn warten lassen.“

Gromdas, der ja allzu bekannt ist für seine Intrigen, ist fest entschlossen, alle ans Messer zu liefern, damit er davon kommt. Aber dass Europa ihn jetzt so lange warten lässt, ist kein gutes Zeichen, denkt er. Durchschaut sie ihn vielleicht sogar? Unruhig geht er in dem leeren Saal auf und ab, lauscht auf jedes Geräusch. Wo bleibt sie denn? Vielleicht will sie ihn festnehmen, vielleicht haben Pallnemvus oder Keltberias bereits gestanden, vielleicht…Da wird endlich die große Flügeltür geöffnet und da ist auch Europa, allein. Gut, denkt, Gromdas, gut, sie weiß also noch nichts. Doch da irrt er völlig. Europa hat längst von den Gerüchten gehört, auch hatte sie im Gespräch mit Chandaraissa ähnliche Überlegungen angestellt, nachdem sie die Falle vor der Höhle gesehen hatte.

Gromdas verbeugt sich möglichst gelassen, Europa geht langsam zum Thron, setzt sich, schaut ihm beim Verbeugen lange zu, um ihn dann aus seiner unbequemen Haltung zu erlösen:

„Nun, mein lieber Gromdas, du willst mich sprechen? Es sei dringend?“

Gromdas versucht aus ihrem Tonfall heraus zu hören, ob sie mit ihm spielt oder ob sie tatsächlich neugierig ist.

Nun steht er wieder aufrecht vor ihr. Er fährt innerlich heftig zusammen, denn so hat er Europa noch nie gesehen: Unnahbar, mit bohrendem Blick sitzt sie auf dem Thron, als wäre er in einem Verhör.

„Ich danke dir, Europa, dass du mir dein Ohr leihen willst. Ich muss dir eine unangenehme Botschaft mitteilen.“

Gromdas weiß, jetzt gibt es kein Zurück mehr. All seine innere Sicherheit, die er eben noch glaubte gehabt zu haben, ist wie weggeschmolzen. Pure Angst wächst in ihm wie ein Schlinggewächs, das ihm den Atem abwürgt.

„Nun, du bist der Bote, ich weiß sehr wohl zu unterscheiden.“

Was soll das denn heißen, fährt es Gromdas durch den Kopf. Steckt da schon eine Drohung drin? Eine sehr unangenehme Stille füllt plötzlich den Saal. Wortlos schauen die beiden sich an. Gromdas atmet tief durch, knetet langsam seine Finger, räuspert sich verlegen und lässt dann endlich die Katze aus dem Sack:

„Es war ein Anschlag, oben vor dem Höhleneingang, der im Rat geplant wurde, nachdem den Ratsherren von einem Fremden ein Tipp gegeben worden war.“

Europa ist sprachlos. Liefert Gromdas sich da gerade selbst ans Messer oder nur die anderen und wer war dieser Fremde, von dem er da spricht? Wenn es so ist, wie Gromdas gerade gesteht, wird das ein Beben auf der Insel auslösen, denn der gesamte Rat würde, wenn es wahr ist, abgesetzt werden, würde…Europa will es gar nicht zu Ende denken.

„Ich schwöre, dass ich die Wahrheit sage“, hört sich Gromdas zitternd sagen. Europa schweigt.

12 Feb.

Eruopa – Fortsetzung der alten Geschichte # 181

Europa und das Geburtstagsfest des Gottes Zeus. (Teil II)

So hatten sich die Kreter das diesjährige Geburtstagsfest wohl kaum vorgestellt. Keine Feier, keine Musik, kein Tanz! Stattdessen hatte Europa ein Zeltlage auf der Hochebene organisiert. Es gab viele Lagerfeuer, um die man sich nun scharte. Es gab viel zu erzählen, zu mutmaßen, zu orakeln. Denn das Gesträuch am Höhleneingang hatte sich als üble Falle erwiesen. Zum Glück war keiner der alten Ratsherren, dieser vornehmen Männer und Hüter der kretischen Tradition, darin den Tod gefunden. Zum Glück. Für die beiden Thronfolger gab es ein besonders prächtiges Zelt, mit Wächtern davor, bunten Teppichen und großen Fackeln.Europa, Chandaraissa und die Ratsherren hatten sich zu ersten Beratungen etwas im Hintergrund der improvisierten Zeltstadt zurückgezogen.

„Was für ein elender Anschlag auf die Mächtigen der Insel!“ ruft gerade Berberdus empört in die Runde. Seine Kollegen nicken besorgt und zustimmend zugleich.

„Was für eine Heimtücke!“ schickt Gromdas, der bekannt ist für seine Intrigen, hinterher.

Das sagt der Richtige, denkt Chandaraissa und wirft einen vielsagenden Blick hinüber zu Europa. Die ist wirklich nur noch sprachlos. Wer könnte so etwas geplant haben, wen sollte es treffen? Denn ihr ist klar, dass von alters her der Minos und seine Familie die Spitze der Prozession bildeten, wenn Zeus’ Geburtstag zu feiern war. Aber galt dann nicht der perfide Anschlag ihr und ihren Söhnen? Aber wer? Der Rat der Alten? Europa will diesen Gedanken gar nicht zu enden denken. Doch die allzu betulichen und in vorauseilendem Gehorsam buckelnden Ratsherren hier oben auf Berg Ida wirkten so unecht, so wenig erwartbar.

„Wir sollten eine Untersuchung starten, ohne Rücksicht auf Amt und Würden und ich wäre bereit, solch eine Untersuchung zu leiten, wenn ihr wollt!“ holt da Zygmontis, der doch so gerne der nächste Minos geworden wäre, sie aus ihren Gedanken in die Runde zurück. Eine Untersuchung? Ist das die Flucht nach vorne? Europa fleht insgeheim zu ihrer Göttin, sie möge ihr beistehen, damit sie in dieser Situation das Richtige tut – besonders im Sinne ihrer beiden Söhne, Sadamanthys und Parsephon. Sie nickt.

„Chandaraissa, du bist die Hohepriesterin, was meinst du?“ hört sie sich stattdessen sagen.

Die Priesterin ist überrascht, zugleich aber auch erfreut. Denn sie hat ein ungutes Gefühl hier in der runden mit den überfreundlichen alten Männern. Das stinkt, das stinkt gewaltig. Da ist sie sich ziemlich sicher. Sie verneigt sich. Die Blicke der Ratsherren scheinen sie zu durchbohren. Wie schlechte Luft wabert deren Hass zischen ihnen, ihre Mienen geben sich Mühe, nichts davon zu verraten. Aber es gelingt ihnen nur schlecht.

„Ich finde den Vorschlag von Zygmontis der einzig vernünftige. Morgen sollten wir im Palast die Einzelheiten für solch eine Untersuchung aushandeln. Jetzt aber sollten wir dem Volk nicht länger die Freude für ein Fest vorenthalten. Den alten Herrn fallen reihenweise die Steine von den Herzen. Europa stimmt zu. Und wie ein Lauffeuer verbreitet sich in der Zeltstadt die Neuigkeit: es darf doch noch gefeiert. Gleich beginnen sie auf Flöten zu spielen, die Trommeln zu schlagen, zu singen und zu tanzen. Die Ratsherren allerdings entschuldigen sich wegen ihres Alters doch lieber gleich noch heimzukehren. In der Zeltstadt kursieren natürlich auch die unterschiedlichsten Gerüchte: Leute vom Festland seien bestochen worden, um diese Falle zu bauen. Aber von wem? Da gäbe es schon einige, die Europa gerne tot sähen. Wer denn? Vielleicht seien es aber auch Dämonen gewesen, die Zeus das Fest nicht gönnten oder vielleicht waren es sogar Leute aus dem Palast, die den Eindruck erwecken sollten, als wenn der Rat der Alten ein Attentat auf Europa und ihre Söhne vorgehabt hätten.

Europa und Chandaraissa sitzen noch lange zusammen im Zelt, während draußen immer noch weiter getanzt und gesungen wird. Sie wollen morgen nicht nur eine Untersuchung einleiten, sondern gleichzeitig im Tempel der großen Göttin um Erleuchtung beten.

Europa erlebt danach eine unruhige Nacht. Albträume lassen sie immer wieder aufschrecken. Sie glaubt Schritte zu hören, die hinter ihrem Zelt auftauchen, wieder verschwinden. Seltsam.

12 Feb.

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 182

Der Fremde im Hafen lässt die Katze aus dem Sack.

Es hätte ein ganz normaler Alltag der Fischer im Hafen werden können. Aber es gibt so viel zu bereden. Was wohl die Untersuchung oben im Palast herausbekommen wird? Wie dieses große Loch am Eingang zustande gekommen ist? Wer die Baumstämme und das Geäst darüber gelegt haben könnte? Lustlos flicken alte Männer ihre Netze. Hin und her fliegen dabei ihre Gesprächsfetzen. Vor den Häusern rund um das Hafenbecken spielen Kinder und schreien ihre Lebensfreude in den Tag. Mütter stehen in den niedrigen Hauseingängen und tuscheln mit den Nachbarinnen. Es gibt wirklich nur ein Thema: Wer könnte hinter dem Anschlag stecken, wer? Die Mittagssonne hinter einem gräulichen Schleier dennoch strahlend hell.

„Der Regen, der hat das Loch verursacht, wer denn sonst!“ knurrt ein bärtiger Kreter in die Runde nickender Fischer.

„Nee, nee, das glaub ich nicht, meckert ein anderer, der schon eine Weile einen Fremden beobachtet, der scheinbar planlos von Gruppe zu Gruppe schlendert. Wer könnte das sein? Nie hier gesehen. Jetzt kommt er zu seiner Runde.

„Habt ihr schon gehört, was bei der Untersuchung gefunden wurde, oben?“ fragt da der Fremde möglichst beiläufig dazwischen. Man wendet sich eher ab als zu ihm hin, obwohl alle vor Neugierde fast die Luft anhalten.

„Was soll da schon raus kommen, Fremder!“ bellt schließlich Trasopas zurück, „die stecken doch alle unter einer Decke!“ Beifälliges Gemurmel. Aber man wartet gespannt, was der Fremde erwidern könnte.

„Nun, die fremde Frau – wie heißt sie doch gleich?“ beginnt er bedächtig.

„Europa, Europa“, geht es bewundernd von Mund zu Mund, was den Fremden – es ist kein anderer als Suezzos, der kürzlich erst die Ratsherren in ihrer geheimen Sitzung zu dem todsicheren Anschlag angeregt hatte – ziemlich ärgert. Schließlich hat er mit der ja noch eine Rechnung offen.

„Trasopas!“ ruft im selben Augenblick Thiala nach ihrem Mann, „wir wollen essen!“

„Ja, ja“, brüllt er zurück, „gleich!“ denn er möchte unbedingt noch hören, was der Fremde zu Europa zu sagen hat. Soll die etwa den Anschlag geplant haben, um ein paar der Ratsherren loszuwerden?“

„Ja, richtig, Europa, die sollte eigentlich da runter knallen, bezahlte Männer hätten sich von zwei Ratsherren dazu anstiften lassen. Möglichst mit beiden Söhnen – alle auf einen Schlag.“

Die Fischer sind sprachlos. Ratsherren? Europa und ihre Söhne zu Fall bringen? Nach einem Augenblick des Schreckens will einer von ihnen aber die Quelle für dieses Gerücht wissen:

„Wer hat es dir gesagt, wo hast du das gehört, Fremder?“

Suezzos genießt die Aufregung der Fischer. Er atmet tief durch, zieht die Augenbrauen hoch und die Mundwinkel herunter, dreht den Kopf zurück, als wenn hinter ihm ein Spion stünde, der nur darauf wartet, ihn für diese geheime Nachricht umgehend festzunehmen. Er weiß sich als Olympier natürlich jederzeit wirkungsvoll in Szene zu setzen, auch als kleiner Suezzos auf Kreta vor dummen Männern, die ihm natürlich nicht gewachsen sind. Ihm ist jetzt nur wichtig, diese ungeschickten Ratsherren für ihr Missgeschick oben vor der Höhle zu bestrafen: wie kann man nur so eine sichere Sache so verhunzen? Zeus ist richtig wütend. Wenn er wieder im Olymp zurück ist, muss er sich eine gute Ausrede einfallen lassen, denn seine Tochter Athene ist viel zu schlau, als ihm diese Ida-Geschichte zu glauben. Aber eins nach dem anderen. Jetzt will er zuerst hier auf Kreta noch schnell völlige Verwirrung schaffen, damit die allzu stolze Europa einfach nicht zur Ruhe kommen kann. Er ist noch nicht fertig mit ihr, darauf kann sie sich jedenfalls verlassen!

„In einer Pause während der Untersuchungssitzung kam einer, es war wohl Keltberias, vor die Tür und quatschte mit einem Mann mit Kapuze, ich stand zufällig hinter einem Baum ganz in der Nähe.“

Das sitzt. Allein der Name eines Ratsherren genügt, um die Zuhörer glauben zu lassen, dass er die Wahrheit erzählt.

„Ich muss los“, setzt Suezzos hinterher, er will keine weiteren unangenehmen Fragen beantworten.