14 Sep

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 164

Schiffbruch an fremden Gestaden.

Alle Götter scheinen sich gegen Europa und ihr Schiff verschworen zu haben. Warum nur? Doch darüber nachzudenken, bleibt den seekranken und um ihr Leben kämpfenden Menschen an Bord nicht die Zeit. Brecher schütten immer wieder alles unter sich zu, und wenn sie wieder Atem holen können, jagen Todesangst noch einmal die Bilder des eigenen Lebens durch ihre Köpfe.

Chaturo hat längst die Kontrolle über die Boreia verloren, seine Schreie an die Mannschaft werden von Gischtwolken verschluckt. Verzweifelt suchen Europa, ihre beiden Söhne, Athanama Halt zu finden, aber umsonst. Das Schiff, das längst zum Spielball der Wellenberge geworden ist, scheint nur noch wie ein welkes Blatt auf dem schäumenden Wasser darauf zu warten, wehrlos in der Tiefe zu versinken, zu verschwinden, für immer.

Als wäre es bereits Nacht und sie stürzten gerade kopfüber in den Hades, so ist ihnen zumute.

Da gibt es einen mächtigen Schlag von unten gegen das Schiff. Wie kleine triefende Sandsäcke werden die Menschen gegen das Vorschiff geschleudert. Planken bersten. Angstschreie. Die Boreia bäumt sich noch einmal auf, um dann völlig auseinander zu brechen und zu sinken. Europa kann es nicht fassen: Soll ich so enden, ist das, was meine große Göttin für mich bestimmt hat? Verzweifelt versucht sie ihr Söhne in diesem Wasser und zersplitternden Holzgewirr zu erblicken. Aber da trifft sie schon die nächste Welle. Wütend stürmt sie über sie hin.

„Sadamanthys, Parsephon! Wo seid ihr?“ Sie schreit. Salzwasser füllt ihren Mund, ihre Nase, ihre Ohren. Sie bekommt ein Seil zu fassen. Doch als jetzt die Brecher ablaufen, steht das Schiff – oder das, was davon noch zu sehen ist – fest an der gleichen Stelle. Wir müssen an einem Riff festhängen, geht es dem Kapitän durch den Kopf. Dann muss auch Land in der Nähe sein. Aber wie das? Sie können doch noch gar nicht an der Küste von Sidon sein. Aber wo hat sie denn in den letzten Stunden der Sturm hingetrieben?

Oben im Olymp kichert Zeus zufrieden vor sich hin.

„Das hast du gut gemacht, Poseidon!“ plappert er leise vor sich hin und nippt an seinem Becher mit Nektar und Ambrosia. Nun ist er sich ganz sicher, dass diese stolze Prinzessin aus Phönizien, die er als weißer Stier nach Kreta entführt hatte, um sie dort in seiner Höhle…Nicht mehr dran denken, befiehlt er sich, nicht mehr dran denken. Jetzt hat sie ihre Strafe.

21 Jun

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 163

Die Seereise nach Sidon wird zum Albtraum.

Arglos trifft Europa ihre Vorbereitungen. Sie bespricht die Reise, zu der ihr der Fremde rät, weil das Orakel von Sidon anscheinend eine Botschaft für sie hat. Sie bespricht sich mit Chandaraissa, der Hohenpriesterin, dann auch mit Berberdus, dem Vorsitzenden des Rates der Alten. Alle unterstützen sie in ihrem Plan. Berberdus sicher, weil er hofft, dass ihm vielleicht das Meer hilft, sie los zu werden. Und Athanama, ihre neue alte Freundin, möchte sie begleiten. Und Chaturo, der Kapitän des schnellen Seglers, will Europa gerne sein Schiff zur Verfügung stellen. Nur ihre Söhne, die halten gar nichts von diesem Plan.

„Mutter, was, wenn dahinter böse Geister stehen, die dir schaden wollen?“

„Wie kommt ihr denn darauf?“ fragt Europa entgeistert. An so etwas hatte sie nun überhaupt nicht gedacht. Dann kommt ihr eine Idee, die sie noch sehr bereuen wird:

„Begleitet mich doch, dann könnt ihr mir ja beistehen, falls Böses droht!“

Samadanthys und Parsephon sind sprachlos. Kurz wechseln sie Blicke, dann kommt gleich ihre Antwort:

„Natürlich, Mutter, natürlich, das machen wir gerne!“

Abends, im Haus des Pallnemvus, sitzen einige der Ratsherren zusammen und sind in ein erregtes Gespräch verwickelt:

„Unser Mann in Sidon muss unbedingt benachrichtigt werden!“

„Habe ich schon in Gang gesetzt!“ antwortet Zygmontis Gromdas leise.

„Entweder wird der Meeresgott sich einmischen oder eben unser Mann in Sidon.“

Zustimmendes Gelächter. Der Glanz in den Augen der Ratsherren glimmt wie giftiges Feuer, das sich durch alles hindurch fressen will.

„Wir werden sie doch noch los werden, ohne dass heraus kommt, wer nachgeholfen hat!“

Die alten Ratsherren nicken bedächtig vor sich hin. Sie fühlen sich wichtig, mächtig und als treue Diener ihrer Insel.

Dass die große Göttin aber weiter dafür sorgen will, dass die fast schon vergessene Botschaft vom Glück weitergegeben wird, kann den drei listenreichen Olympiern genauso wenig Freude bereiten wie dem Rat der Kreter. Sie wähnen sich in ihren Racheplänen an Europa auf Erfolgskurs. Heftige Winde stürmen von Hesperien her Richtung Osten, wild wogen Wellenberge gegen die zerklüfteten Küstenstreifen. Im Hafen – geschützt von hohen Wellenbrechern – schwanken die Segler an ihren Leinen.

Schon eine Woche später gehen sie an Bord der Boreia: Chaturo, der Kapitän, war schon am Vorabend vor Ort, kümmerte sich um das Vertauen der Vorräte, ließ frisches Wasser in hohen Krügen verstauen. Und im Abendsonnenlicht warf auch Zeus einen Blick auf seine Lieblingsinsel, auf der nun Europa alle Fäden in Händen hält. Leichter Nebel liegt über dem weiten Hafenbecken, als Athanama zusammen mit ihrer Freundin Europa vom Palast herunter kommen. Ihre Dienerinnen tragen Kisten mit Kleidern, Geschenken hinterher. Europas beide Söhne freuen sich auf die Reise und sind gut gelaunt mit Seesäcken bepackt auch unterwegs zur Boreia. Und Chandaraissa, die Hohepriesterin, will die Abfahrt ihrer neuen Freundinnen auf keinen Fall verpassen. Sie hatte am frühen Morgen noch vor dem großen Bild der großen Göttin für sie gebetet: „Schütze sie, leite sie und bring sie uns heil zurück!“ Sie hatte besonders viel Weihrauch in die großen Schalen geworfen. Der Duft machte ihr wunderbar schwindlig. Und auch die jungen Priesterinnen, die sie unterstützen durften bei diesem morgendlichen Gebet, atmen das schwere Aroma lustvoll ein.

Chaturo, der gerade in der Kapitänskajüte Athanama leidenschaftlich umarmt und küsst – seit Tagen mussten sie aufeinander verzichten – hatte seinen Leuten bereits den Befehl zum Ablegen gegeben. Heimlich schauten einige der alten Ratsherren dem Losfahren des Seglers grinsend zu: Hoffen wir, dass wir dieses Schiff nie wiedersehen müssen, denken sie dabei.

Als die Boreia nun aus dem Schutz des Hafens ins offene Meer gleitet, spüren alle an Bord auch gleich den hohen Wellengang. Starker Wind bläst weiter kräftig aus Hesperien kommend und reißt den Segler ordentlich mit. Chaturo muss auf volle Besegelung verzichten, aber auch so kommt das Schiff schnell, sehr schnell voran. Es neigt sich dabei ächzend zur Seite, fast gehen die Wellen an backbord über die Reling. Aber alle an Bord vertrauen auf ihren Kapitän und die Stärke der Boreia.

Stunden später – eigentlich müsste die Sonne hoch oben am Himmel stehen – türmt sich schwarzes Gewölk über ihnen auf, der Wind steigert sich zum Sturm, Blitz und Donner kommen dazu. Nun macht sich nicht nur Europa Sorgen. Da reißt das Vordersegel. Chaturo schreit Befehle in das Tosen. Alle an Bord versuchen sich gegenseitig zu stützen und zu halten. Jetzt rollen sogar Brecher übers Boot. Für Augenblicke scheinen alle unter Wasser zu schweben, dann können sie wieder atmen, spucken, husten. Aber schon folgt der nächste Schwall. Europa bereut es, ihre Söhne mit an Bord genommen zu haben. Droht ihnen allen jämmerliches Ertrinken?

30 Mai

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 162

Europa will das Orakel des Baal in Sidon befragen.

Chandaraissa ist noch immer verwirrt: Wer waren die beiden fremden Männer? Was sollten diese Schmeicheleien?

„Europa, was meinst du zu den beiden? Meinst du, dass sie wirklich aus Phönizien gekommen sind?“

„Chandaraissa, mir gehen gerade so viele Gedanken fast gleichzeitig durch den Kopf, dass ich gar nicht sagen kann, was ich davon halten soll.“

Die beiden Freundinnen reden lange miteinander. Als sie sich ermüdet endlich trennen wollen, meldet ihnen eine der jungen Priesterinnen einen Boten, der dringende Botschaften aus Sidon habe.

„Ein Bote aus Sidon?“ Europa hat kein gutes Gefühl, als sie es hört. Aber Chandaraissa drängt sie, den Boten zu empfangen.

Fast bis zum Boden verbeugt er sich, sein langes, wallendes Haar verdeckt dabei völlig sein Gesicht. Die beiden Freundinnen können ein Lachen kaum unterdrücken.

„Nun, Bote, was führt euch zu mir?“ fragt Europa streng.

Und als dieser sich nun erhebt und die beiden Frauen unterwürfig anschaut, kommt Europa völlig überraschend die Idee, Athanama rufen zu lassen. Vielleicht kennt sie ja den Boten.

„Ich komme vom Tempel des Baal in Sidon. Das Orakel dort erwartet euch. Es habe wichtige Botschaften für euch und eure Söhne.“

Fast wie ein wirklicher Schmerz fährt es ihr da durch Mark und Bein. Sie hält die Luft an, dreht sich zu Chandaraissa und flüstert ihr ins Ohr:

„Liebe Freundin, lass schnell Athanama rufen – vielleicht kennt sie den Boten. Vielleicht ist es eine Falle!“

Die Hohepriesterin lächelt den Boten freundlich an, damit der keinen Verdacht schöpft. Mit einladender Geste wendet sie sich dann an den fremden Mann aus Sidon:

„Du musst müde und erschöpft sein – nach der langen Seereise. Folge uns doch in den innenhof, dort werde ich für dich Speisen und Getränke auftischen lassen. Dann hören wir gerne mehr von deiner Botschaft, komm!“

Breit grinsend lässt sich der Bote das nicht zweimal sagen und folgt den beiden Freundinnen zum Innenhof vor dem Tempel der großen Göttin. Unterwegs gibt Chandaraissa den neugierigen Priesterinnen leise Anweisungen, und als sie nun im Schatten eines großen Sonnensegels auf weichen Kissen Platz nehmen, bringen junge Frauen bereits große und

kleine Gefäße, Platten mit frischem Brot, Krüge zum Trinken und stellen alles vor die drei auf einem kleinen Teppich ab. Die Hohepriesterin lädt den Boten ein sich zu setzen, was der natürlich nur zu gerne tut. Wie zufällig stehen die jungen Priesterinnen hinter den dicken Säulen, die den Innenhof umgeben, und tun so, als seien sie in wichtige Gespräche mit ihren Freundinnen vertieft. Manchmal weht eine kühle Brise ihr Kichern über den Hof, es mutet völlig normal an, obwohl alle ziemlich gespannt sind, was der Bote noch alles zu sagen hat.

„Da eure Eltern verstorben und eure Brüder verschollen sind…“ lautes Tuscheln macht da die Runde zwischen den Säulen, der Bote macht eine bedeutsame Pause, um das Gesagte so richtig wirken zu lassen.

Als Europa das hört, verschlägt es ihr die Sprache: Woher weiß er das alles?

Chandaraissa legt tröstend eine Hand auf Europas Schulter, da hören die beiden aber auch schon, wie der Bote fortfährt:

„habe Baal, der große Gott von Sidon mit seiner Frau, der Göttin Astarte, ihre schützenden Hände über die Waise gelegt und über das Orakel sagen lassen:

„Europa, komm her zu uns, wir wollen dir helfen!“

Da kommt Athanama gelaufen. Sie ist nicht im Bilde, was hier gerade vor sich geht, sie kennt noch nicht den Grund, warum die Hohepriesterin sie hat rufen lassen. Aber sie erkennt sofort den Fremden, lässt es sich aber nicht anmerken. Europa winkt sie zu sich und lädt sie ein, Platz zu nehmen. Für die jungen Priesterinnen hinter den Säulen wird es ein immer spannenderer Abend; doch da erhebt sich die Hohepriesterin und ruft laut in den Hof hinein:

„Ab in eure Schlafzellen, verrichtet eure Gebete und ruht euch aus, ab!“ Dabei klatscht sie laut in die Hände. Wie eine Schar aufgeregter Gänse flattern sie in ihren wallenden Gewändern schmollend davon. Schade aber auch! Was hätte es da noch alles zu hören gegeben!

Flüsternd erzählt Chandaraissa Athanama, was der Bote gerade zu Europa gesagt hat und Athanama verrät der Hohenpriesterin, dass sie den Boten aus Sidon kennt.

Wie von einem Blitz getroffen ist Europa plötzlich wieder hellwach und hat auch schon eine Entscheidung getroffen, von der sie nicht einmal weiß, wie sie in ihr zustande gekommen sein könnte.

„Ich danke dir!“ antwortet Europa dem Boten schließlich, „Ich werde noch in dieser Woche mit meinen beiden Söhnen nach Sidon aufbrechen.“