Die Villa Marcellina zwischen Hoffen und Bangen
Marcellus dunkle Augen strahlen voller Zuversicht. Julian und Philippos sehen das gerne. Ihnen kommt nämlich mehr und mehr die Zuversicht abhanden. Nicht so dem alten und stolzen Römer.
„Wir haben große Pläne, mein Sohn. Wir müssen nur noch den Göttern opfern, dann wird neue Hoffnung unser Fatum gebären.“
Julian ist sich gar nicht so sicher wie sein Vater. Unsichere Blicke wechselt er mit seinem Lehrer, Philippos. Aber er will nicht kleinmütig scheinen.
„Ihr habt lange getagt, in der Bibliothek. Unsere Nachbarn sah ich dann vergnügt und lachend davon reiten. Sie haben Deine Vorschläge gut aufgenommen. Das freut mich.“
Philippos versucht auch ein kleines Lächeln dazu.
„Unsere stolze und ruhmreiche Geschichte lehrt uns, dass nach Zeiten des Niedergangs immer wieder ein neuer Aufschwung möglich war. Wenn Männer kühn und furchtlos an sich und unsere Götter glaubten. Nicht wahr?“
„So ist es, mein Lieber. Und meinen Sohn hast du in dieser Gewissheit erzogen, belehrt. Er wird die Größe und den Reichtum unserer Familie weiter tragen“, erwidert Marcellus. Nach kurzem Nachdenken fällt ihm auch gleich ein gutes Beispiel ein:
„Denkt doch nur an die Belagerungen Roms in der ruhmreichen Vergangenheit der Väter und Vorväter!“
„Schon, Vater, aber da gab es immer noch den Senat in Rom, der neue Legionen ausheben konnte und die Ehre wiederherstellte.“
Philippos spürt sofort den Unwillen, der sich im Gesicht von Marcellus zeigt. Er muss vermitteln – wie immer schon.
„Mein Herr, Julian und ich haben letzthin erst über die vielen Plünderungen Roms…“
Da unterbricht ihn Marcellus unwirsch:
„Mein lieber Philippos! Vielleicht wären Marathon und Salamis bessere Vorbilder für uns in diesen Tagen. Außerdem ist das Wiederholen der griechischen Grammatik und Wörter eine sinnvolle Übung sowieso. Nicht wahr?“
Julian fühlt jetzt auch, wie der Vater seinen Unmut versucht klein zu halten. Und er möchte einfach nicht, dass sein Lehrer wegen ihm Ärger bekommt.
„Eine gute Idee, Vater! Gerne lesen wir im Thukydides noch einmal nach, was für unglaubliche Siege ein starker Wille in einem Volk erzeugen kann – auch gegen scheinbar unüberwindbare Gegner, wie es damals die Perser waren.“
Plötzlich steht Somythall vor seinem inneren Auge. Warum gerade jetzt? Warum gerade sie? Julian spürt, wie ein leises Zittern durch seinen Körper huscht. Sie hat ihn verzaubert, seit sie vor dem Bild der Göttin zusammen gebetet haben. Amor hat ihn erwischt. Ihretwegen will er an einen guten Ausgang glauben, ihretwegen.
Gleichzeitig steht ihm aber vor Augen, wie auch das mächtige Augusta Treverorum längst an die fränkischen Machthaber verloren ging. Wie sollen sie denn ohne Unterstützung aus Arelate – von Rom ganz zu schweigen; war es doch eben erst von den Ostgoten verwüstet und entvölkert worden – wie sollen sie denn da erfolgreich Widerstand leisten können? Als hätte sein Vater seine Gedanken gelesen, hört er ihn auch schon erwidern:
„Ich weiß, ich weiß. Rom von diesem Unhold Totila überrannt, Trier schon länger von den Franken in Besitz genommen. Wo soll da Hilfe her kommen?“
Mit großer Geste erhebt sich Marcellus – und wie es der Zufall will, sieht ihn sein Sohn jetzt gerade zwischen Diana und Apoll stehen; das große Wandgemälde war ihm schon immer eines der liebsten hier in der Bibliothek. In die unangenehme Stille hinein gibt Marcellus selber die Antwort auf seine Frage:
„Wir, wir sind es, die helfen können.“
Aber wie denn, fragt sich Julian. Dabei schaut er entgeistert zu seinem Lehrer. Wie denn?