05 Jan

Leseprobe zum Roman: DIE FAST SCHON VERGESSENE BOTSCHAFT VOM GLÜCK

Blatt 76                05-01-18

Das Treffen zwischen Bischof Arnulf und dem Gefolgsmann Pippin

Männer stehen ihre klammen Hände wärmend an kleinen Feuern. Die Steinmetze schauen verächtlich rüber zu ihnen: Diese Faulenzer. Quader für Quader und Steinblume für Steinblume, so hauen sie pure Schönheit aus dem groben Gestein. Der Meister, Rimgard, achtet bei seinen Lehrlingen auf jeden Schlag: Langsam, langsam und behutsamer, das ist täglich seine Botschaft. Die verängstigten Lehrlinge zittern schon. Vom Meister gestraft oder gar davon gejagt zu werden, das tut weh. Am hölzernen Kranrad schreit sich gerade der Vorarbeiter die Kehle wund:

„Passt doch auf, ihr Idioten! Die Hölle ist euch sicher, wenn auch nur ein Block herabstürzt. Was sag ich, die Hölle, in unzähligen Höllenfeuern sollt ihr schmoren, ihr Idioten!“

Gerade wollen die Männer an den Feuern lauthals loslachen, da sehen sie den Bischof heranreiten. Sofort rennen sie zu ihren Arbeitsplätzen und mimen die eifrigsten Bauleute, die man sich denken kann. Eine kleine Rabenschar steigt erschrocken auf und kreist über der großen Baustelle. Von oben könnten sie schon die Ausmaße des Hauptschiffes erkennen, auch der anschließende Grundriss des Kreuzgangs wäre ihnen ins Auge gefallen, wenn sie dafür einen Blick hätten. Stattdessen halten sie Ausschau nach Essensresten.

Der Architekt tritt gerade aus dem unfertigen Gemäuer, geht ehrfürchtig in die Knie, als Arnulf aus dem Sattel steigt. Der hat es eilig:

„Schon gut, steht auf, Meister Wisigund, wir wollen euch nicht in eurer Arbeit stören. Ich will Pippin nur kurz zeigen, was sich hier zur Ehre unseres christlichen Gottes gerade so tut.“

Mit gönnerhafter Geste schickt er Wisigund wieder weg. Dabei dreht er sich breit lächelnd zu Pippin um, der auch gerade absteigt und sich fragt, was das alles soll. Kein Wort hatte der Bischof mit ihm geredet, als sie sich unterwegs trafen und dann gemeinsam weiter ritten.

„Wir stehen hier an einer bedeutsamen Stelle, Pippin. Der König möchte, dass hier die neue Grablege der Königsfamilie entsteht. Dementsprechend eindrucksvoll und natürlich Gott preisend soll dieser Tempel der Kirche werden. Was sagst du dazu?“

Pippin traut dem Braten nicht. Was hat Arnulf vor, warum zeigt er mir diese langweilige Baustelle?

„Großartig, großartig“, so hört er sich selbst antworten. Huldvoll winkt Arnulf gerade seinen Baulauten zu, die sich demütig verneigen. Auch der Vorarbeiter tut jetzt so, als wenn alles bestens wäre. Pippin friert. Er bräuchte wärmere Kleider für den Winter. Aber woher nehmen, wenn nicht stehlen? Und ein Haus, ein eigenes, mit Pippa. Ich hasse diesen eingebildeten Bischof. Ich hasse ihn, knurrt er in sich hinein. Ich hasse ihn so sehr.

„Es freut mich, dass es dir gefällt. Noch mehr wird dir sicher gefallen, was ich mir für dich ausgedacht habe.“

Breit grinsend steht der Bischof vor dem frierenden Pippin, der nicht weiß, ob er sich freuen oder Angst haben soll.

„Für mich?“ fragt Pippin ehrlich überrascht. Nebeneinander gehend gelangen sie gerade zu der kleinen Gedenkkapelle für den heiligen Mann und Märtyrer Dionysius, dem auch der neue Tempel geweiht werden soll. Pippin interessiert das überhaupt nicht. Er möchte endlich wissen, was dieses Treffen hier soll.

Bischof Arnulf bleibt vor der offenen Kapelle stehen und wendet sich nun mit einer Ernst und Bedeutung vortäuschenden Mimik an den ratlosen Frankenmann Pippin.

„Wir stehen hier an einem wichtigen Ort. Der König macht diesem Dionysius eine Schenkung nach der anderen. Was da hinten gebaut wird, wird einmalig sein. Groß, erhaben, unseren christlichen Gott zum Wohlgefallen. Und genau hier möchte ich dir verkünden, was der König (Arnulf ist natürlich klar, dass der König davon gar nichts weiß, zum Glück) und ich uns ausgedacht haben – als Anerkennung für deine tollkühne Mithrasaktion.“

Arnulf hält inne. Er will die Wirkung im Gesicht von Pippin studieren, sich freuen an der inneren Gespanntheit seines Gegenübers. Der ahnt nichts Gutes. Mit fragendem Blick starrt er den verhassten Mann zähneknirschend an. Und schweigt.

„Mein Gutspächter Brodlyn versinkt in Misswirtschaft. Der König und ich haben uns deshalb entschlossen, dir dieses Gut als Pächter anzuvertrauen.“

04 Jan

Die fast schon vergessene Botschaft vom Glück # 74

Pippin sucht Kraft bei seiner Pippa

Es wollte einfach nicht hell werden, als Pippin durch die Schlammpfade stampft. Aus vielen Hütten steigt Rauch auf. Lutetia wacht auf. Hunde sträunen und bellen hier und da. Pippin erinnert sich plötzlich an den Ort, wo sie arbeitet und übernachtet, meistens. Und als er jetzt nach vorne schaut, unsicher mit flauem Gefühl im Bauch, meint er auch das Haus wiederzuerkennen. Raben fliegen ihm schreiend schräg durchs Bild. Das macht ihm natürlich Angst. Diese Schreihälse, so früh am Morgen. Was wollen sie ihm zukreischen? Er weicht in einen Nebenweg aus, kurz vor seinem neuen Ziel. Ein Schwein schrabbt grunzend an seinen Beinen vorbei. Vertrauter mieser Geruch. Hau ab, du blöde Sau, zischt er dem Tier hinterher. Aus seinen kleinen klugen Augen schaut es zu ihm fragend zurück. Was hab ich denn gemacht? Kann sein, dass das Schwein das gerade denkt, schafft sich Pippin grinsend etwas Luft in seinem niederdrückenden Denkgebäude. Er lacht. Jetzt steht er hinter dem Haus, in dem seine Pippina hoffentlich gerade am Herd steht. Ein kurzer Blick in die tief hängenden Wolken, als wenn von dort ihm vielleicht Mithras – wie kommt er denn jetzt gerade auf den? – ein aufmunterndes Zeichen geben sollte. Die Bilder vom Gemetzel im Mithräum melden sich prompt zurück. Weg damit! Weg! Schluckend wendet er sich wieder dem Türchen hinter dem Haus zu und hofft, Pippa tritt jetzt heraus.

Da öffnet sich knarzend die klapprige Tür und Pippa tritt noch völlig verschlafen und mit wild um sie herum wallendem Haar ins Freie. „Pippa!“ ruft Pippin freudig erschrocken, „ich kann es gar nicht fassen!“

Sie glotzt ihn an, als sei er eine dämonische Erscheinung, die es auf sie abgesehen hätte.

Mit der Hand hinter sich die Tür suchend stottert sie ungläubig:

Was willst du denn hier, hä?“

Ich musste dich unbedingt sehen“, dabei kommt er langsam näher, er will sie auf keinen Fall verscheuchen, er braucht sie jetzt so sehr, „der Bischof will mich sprechen und ich weiß nicht, was ich davon halten soll.“

Da fällt das Misstrauen von ihr ab wie welkes Laub und sie probiert schnell ihr schamlosestes Lächeln aus:

Ach was?! Der Bischof. Dieser miese Hund. Der sucht sicher wieder kostenlose Helfer für eines seiner nächsten Untaten, bestimmt. Also lass dir von dem nur keine Angst einjagen, der ist selber ein Angsthase.“ Dabei stemmt sie ausgelassen ihre Hände in die Hüften. Ihre Brüste bringen ihn fast um den Verstand. Und wie die redet!

Pippin kann nur staunen. Wo nimmt die denn ihre Dreistigkeit her, warum hat die keine Angst vor diesem Monster? Aber es tut gut, sie so reden zu hören. Das lässt ihn wieder etwas unbeschwerter atmen.

Könnte schon sein, das könnte dahinter stecken. Hab ich mir auch schon gedacht“, schiebt er noch schnell hinterher. Pippa durchschaut ihn natürlich sofort. Aber er gefällt ihr. Vielleicht kann sie ihn ja schön herrichten für sich, denkt sie lustvoll. Der ist ja richtig anhänglich. Gut, dann soll er mal hängen bleiben.

Was hältst du davon, wenn wir uns nach meinem Treffen mit diesem aufgeblasenen Arnulf in den Kellergewölben des Amphitheaters treffen. Da könnte ich dir gleich alles brühwarm erzählen.“

Pippin findet seine Rede richtig gut. So ganz ohne Angst war das herausgekommen, obwohl die Angst vor dem Treffen immer noch dadrunter rumort. Pippa nickt grinsend und läuft dann ohne noch etwas zu sagen los, schnappt sich den kleinen Bottich, um Wasser zu holen. Pippin schaut ihr gierig hinterher. Dieser Gang: Eine lockende Versuchung. Jetzt fühlt er sich schon viel besser. Der Bischof soll ja nicht meinen, er könne ihn einschüchtern. Pippa hat ja so recht.

03 Sep

Lesprobe # 4 – Die fast schon vergessene Botschaft vom Glück – Teil II /Blatt 70

 

In commendam anno sechshundertundzehn

Der Bischof hatte schlecht geschlafen. Üble Albträume ließen ihn erschreckt und schweißgebadet immer wieder aufwachen. Sol invictus wurde da geflüstert, sol invictus. Der launige König hatte ihn arg beschimpft, ausgelacht und von der Tafel gestoßen. Aus Bäumen tropften großäugige Winzlinge herab, die auf ihn angesetzt schienen. Gräßlich sahen die aus, mit überlangen nagellosen Fingern. Das Gegröhle seiner Gefolgsleute raubte ihm fast den Atem. Und als er jetzt immer noch hechelnd atmend auf seinem Lager hockt, packt ihn die Angst. Was hat dieser Traum zu bedeuten? Mit sol invictus hat er nichts zu schaffen, er hält zu seinem christlichen Gott. Wird der König miesen Einflüsterern folgen und ihn über die Klinge springen lassen? Muss er um sein Leben fürchten? Was sind das für Stimmen, da draußen? Wer schleicht da um sein Haus? Tief einatmen, dann zum Gegenschlag ausholen, das ist die Losung jetzt, raunt er sich zitternd zu. Er weiß genau, dass er niemandem hier in Lutetia trauen kann. Niemandem. Das muss ich sofort ändern, denkt er missmutig. Sofort. Nachlässig fährt er sich durchs wirre Haar, wirft sich den schmutzigen Umhang um, bindet seine Stiefel fest und bespritzt sich das schweißmüde Gesicht mit kaltem Wasser aus dem Trog neben dem umgefallenen Schemel. Wieso liegt der am Boden? Ein neuer Angstschauer sucht ihn heim. Dann schüttelt er zornig den Kopf. Wer bin ich denn? Wer kann mir denn das Wasser reichen? Niemand hier, nicht einmal der flatterhafte junge König. Und der unbesiegbare Sonnengott und seine heimlichen Anbeter sind doch längst erledigt. Oder etwa nicht? Die Mithrasleute machen ihm da noch mehr Sorgen. Hastig geht er den Berg Briefe durch, die sich auf dem Schreibpult stapeln. Wie sie ihn, Arnulf, Bischof von Dividorum, alle hofieren, ihm schmeicheln! Nur um seine Gunst zu erkaufen, nur um dem eigenen Weiterkommen zu dienen. Aber die sollen sich noch wundern, diese Speichellecker, diese hinterlistigen Lügner! Unwirsch wischt er die Blätter vom Pult. Das schafft ihm Erleichterung. Wahllos greift er ein Schreiben auf: Zwei seiner kleinen Landgüter nicht weit von Dividorum entfernt – geplündert, niedergebrannt. Sie betteln um Hilfe, die armen! Wie ein Blitz durchfährt ihn ein kühner Gedanken: Ich werde mir Geschöpfe schaffen, denen ich blind vertrauen kann. Ich werde sie mir kaufen – um einen Preis, den sie nicht ablehnen können. Ein breites Grinsen schleicht sich da über die Angstgrimasse hin und beschwichtigt den Angsthasen in ihm gründlich. Den Hof des unzuverlässigen Brodyn und den Hof des alten Karstain, ich werde sie in commendam an Pippin und an Withudsin geben. Die können sich nicht leiden, der windige und der lahme. Das ist das richtige Gespann für meinen Plan. Sie suchen meine Gunst, ich will sie ihnen gewähren. Arnulf würde sich am liebsten selbst auf die eigene Schulter klopfen, so unwiderstehlich gut findet er seine Idee. Da hat dieser Albtraum doch noch sein Gutes, murmelt er vor sich hin. Dabei stellt er sich schon mal die Gesichter der beiden vor, wenn er ihnen – heute noch, gleich – eröffnen wird, dass er den Hof von Brodyn und von Karstain in commendam an sie geben will. Wenn sie einverstanden sind. Es soll scheinbar ganz in ihrem eigenen Ermessen liegen, anzunehmen oder abzulehnen. Da bekommt er einen Lachanfall: Wie sie ihn blöd anglotzen werden, verlegen schlucken, von einem Bein auf das andere wechseln, Blicke untereinander wechseln, halb verschreckt, halb gierig, halb dümmlich ihn anstarren. Wie sie ihn dann stotternd fragen werden: „Äh, äh, was meint ihr denn mit IN COMMENDAM?“ Wie er genüsslich und scheinbar gönnerisch den beiden dann erklären wird, dass er ihnen die Güter treuhänderisch anvertrauen werde, fast so als wenn es ihre eigenen wären. Wie er breit grinsen wird und wie die beiden sich einfach nicht trauen werden noch weiter nachzufragen, was denn treuhänderisch meint.  Arnulf gönnt sich noch einen wohltuenden Lachanfall. Jetzt geht es ihm schon viel besser. Über Nacht erschafft er sich so zwei Paladine, zwei Geschöpfe, zwei Spione, die ihm unbedingt verpflichtet sein werden – was auch immer er von ihnen fordern wird. Schließlich haben sie über Nacht und eigentlich völlig unverdient in commendam ein Gut anvertraut bekommen. Großartig, denkt er. Einfach großartig. Im Kampf mit dem König verfüge ich so über zwei wertvolle Schatten, die mir bedingungslos dienen werden. Über sie werde ich immer wissen, was der König plant. Und da es zwei sind, kann ich auch immer sicher sein, dass ich tatsächlich erfahren werde, was sich wirklich zutrug beim König. Der eine wird es mir so sagen, der andere so – ich werde mir dann denken können, wie es wohl wirklich war. Mit Donnerstimme ruft er nach seinem Leibwächter: Er will die beiden Kandidaten auf der Baustelle für die neue Kirche des Heiligen Dionysius empfangen. Wo bleibt sein Pferd? Wo ist die Tasche mit Brot und Käse? Rasch, rasch, es ist höchste Eile angesagt! Schau nicht so blöd, schaff sie mir her – wenn die fahle Sonne im Mittag steht, will ich sie vor mir sehen bei St. Dionysius‘ neuem Tempel! Los!

In commendam – Arnulf kann nur noch lachen. So habe ich sie in der Hand – so lange es dauert, so lange mir danach ist!