Die fast schon vergessene Botschaft vom Glück (Historischer Roman II)

YRRLANTH – Roman – Hörbeispiel – Blatt # 89
YRRLANTH – Roman – Hörbeispiel – Blatt # 89
Die Weissagungen der Alten
Pippin kann es einfach nicht glauben. Dass er sich hierhin hat schleifen lassen. Und jetzt diese Alte. Die Schrumpelhaut ihres Gesichts erinnert ihn an Eidechsen. Wie diese schließt und öffnet sie immer wieder einen Spalt weit die kleinen Augen. Wiegt sich hin und her, hin und her. Und was ist das für ein Geruch? Pippa schaut ihn von der Seite grinsend an:
„Das ist Weihrauch, Dummkopf. Guck nicht so blöd!“
Kichernd wendet sie sich wieder der Alten zu. Die brummt nun lauter werdend vor sich hin. Dann hört er sie sprechen. Als wären es lauter Zischlaute, so presst sie die Wörter aus ihren schmalen, aufgerissenen Lippen hervor:
„Blut, Blut. Ich sehe viel Blut. Schreiende Männer. Lachende Männer. Weinende Kinder.“
Das Sprechen scheint sie sehr anzustrengen. Pfeiftöne entfahren ihr, während sie ächzend Luft holt. Dabei kreisen ihre Schultern weit nach vorne und wieder zurück. Ihr alter Leib ist völlig mit stinkenden Lumpen dick umhüllt. Zum Glück hat sie Weihrauch angezündet, denkt Pippin. Aber was soll das Gerede von Blut und kreischenden Männern? Da fährt sie aber auch schon fort mit ihrem schrillen Geraune.
„Säulen, brennende Säulengänge, fremde Laute, fremde Laute.“
„Verstehst du, was sie meinen könnte?“ fragt Pippa leise und völlig ratlos. Er schüttelt unwirsch mit dem Kopf.
„Die brabbelt doch bloß irgendetwas vor sich hin. Unsinn, lauter Unsinn. Was denn sonst?“
Pippa schaut ihn ungläubig an.
„Die Alte“, flüstert sie noch schnell, bevor die Druidin mit ihrem Orakel fortfährt, „die Alte weiß genau, was sie sagt. Sie hat noch nie falsch gelegen. Das sagt jeder, schon immer.“
Natürlich glaubt auch Pippin zu wissen, was sie meint. Die Todesschreie der Mithrasleute schwirren nämlich noch immer wie üble Stechmücken in seinem Gehirn herum. Die Alte hat nur den Raum verwechselt. Es war doch ein Kellergewölbe und kein Säulengang.
„Komm, lass uns gehen“, antwortet er ungehalten. „Ich kann nichts damit anfangen.“
Da bannt aber doch wieder die Alte die jungen Leute in ihre Flüsterbotschaft:
„Viel Schweiß, viele Lügen, viel Angst sehe ich da in seinen Augen, als ihm sein Kopf zertrümmert wird. Viel Geschrei. Keine Gnade, keine Gnade.“
Dann fällt sie in sich zusammen. Die Audienz bei der Druidin ist zu Ende. Erschrocken durch diesen abrupten und schlimmen Schluss raffen sich Pippa und Pippin auf und laufen durch die Gänge des ehemaligen Amphitheaters davon. So hatte sich Pippin das Treffen allerdings nicht vorgestellt. So nicht. Er wollte sie haben. Ihm ist so heiß, dass er kaum Luft bekommt dabei.
Pippa und Pippin wolllen es wissen
Während der Bischof sich von seinen zwei Nymphen weiter verwöhnen lässt, treffen sich Pippa und Pippin völlig verfroren und durchnässt ganz in der Nähe am ehemaligen Eingang zum Amphitheater. Pippin will ihr heute alles gestehen, will sie aber auch besitzen. Wie soll er das nur anstellen? Als sie im Dunkeln nun wortlos voreinander stehen, möchte er sie gleich umarmen, sie küssen. Sie aber nimmt kurz entschlossen seinen Arm und läuft los, als könnte sie es gar nicht erwarten, seine Körperwärme endlich wieder zu spüren. Wo läuft sie denn hin, fragt sich Pippin enttäuscht.
„Hey, wir müssen da den Gang lang, den kenn ich genau“, flüstert er ihr zu. Sie schüttelt nur den Kopf und läuft wild entschlossen weiter. Das verblüfft ihn noch mehr. Woher kennt sie dieses Gewirr von unterirdischen Gängen? Und warum grinst sie so? Was hat sie vor? Er hat sich doch für heute hier die Nische ausgesucht, wo sie sich lustvoll vergnügen können – ungestört und von den warmen Dämpfen des warmen Wassers verwöhnt. Er kann kaum Schritt halten, so forsch läuft sie durch die düsteren Gänge und Gewölbe. Manchmal sehen sie in der Ferne ein Licht flackern, hören von weit her ein Lachen, aber Pippa stürmt weiter. Dann bleibt sie abrupt stehen. Ihr Atem geht schnell. Mit einer Hand gibt sie Pippin zu verstehen, still zu sein. Jetzt wird ihm auch klar, was sich verändert hat: Ein starker Kräuterduft liegt in der Luft. Wo führt sie ihn denn nur hin? Langsam macht sie die nächsten Schritte, Pippin stolpert völlig verwirrt hinter ihr her. Wo wird das enden?
Da öffnet sich vor ihnen der niedrige Gang in einen kleinen Kuppelraum. Lichter, kleine Öllämpchen vielleicht, scheinen in Vertiefungen im Mauerwerk zu glimmen, irgendein Ton schwirrt durch den leeren Raum. Fledermäuse huschen oben im Gewölbe hin und her. Pippa verneigt sich leicht, aber vor wem? Pippin beugt sich vorsichtig vor, um an ihrer Schulter vorbei zu schauen. Dann sieht er sie auch. Schmutzige Strähnen hängen ihr ins Gesicht, der uralten Frau, die aus kleinen Augen ihnen entgegen starrt. Mit einem Finger der linken Hand winkt sie den beiden näher zu kommen. Irgendetwas scheint sie zu summen. Dabei wiegt sie sich mit ihrem Körper langsam vor und zurück.
„Sie ist die Tochter eines Druiden, der schon lange vor ihr Hilfesuchende hier beraten hat“, sagt Pippa leise. „Sie ist sehr bekannt im Königreich und auch darüber hinaus. Wusstest du das nicht?“
Pippin schüttelt nur den Kopf. Was sollen sie denn bei so einer jetzt? Er wüsste die Zeit wirklich lustiger zu verbringen, als sich weise Sprüche anzuhören, denkt er trotzig. Das ganze gefällt ihm nicht. Er wollte bestimmen, was sie im Amphitheater machen. Jetzt soll er einer uralten Frau zuhören. Wut kocht in ihm hoch. Bilder vom Gemetzel im Mithras-Keller kommen ihm dazwischen, höhnisches Gelächter des Bischofs mischt sich darunter. Am liebsten würde er einfach nur davon laufen. Stattdessen geht er jetzt wie Pippa vor ihm in die Knie, verneigt sich sogar vor der Alten und staunt über das, was diese hässliche, fremde Alte nun zu ihnen spricht.