28 Dez.

YRRLANTH – Blatt 186 – Historischer Roman II – Leseprobe

Boten aus Lutetia fragen nach dem Römer aus der Villa Marcellina.

„He, du, bist du der Römer Julianus?“

Obwohl fast geflüstert, wandert die Frage durch die dunkle Halle, als sollte es ein Zauberspruch sein. Die Schlafenden packen ihn mit in ihre letzten Traumbilder oder lassen sich davon zurück in den frühen Morgen holen. Wo bin ich, fragt sich Julianus, der gerade sanft an der Schulter berührt wird. Wo bin ich? Pippa neben sich – eng an ihn geschmiegt – schmunzelt und seufzt tief Atem holend vor sich hin. Sie will noch nicht wieder wach werden. Noch nicht. Denn das Eins Sein mit Julianus in dieser Nacht, das so überraschende, hält sie immer noch wie in einem Rausch gefangen.

„Bist du der Römer oder nicht?“

Jetzt ist die Frage schon etwas entschiedener und fordernder gestellt. Julianus schlägt seine Augen auf. Das Dämmerlicht verhindert, dass er den Frager erkennen kann. Aber trotzdem antwortet er jetzt leise:

„Ja, der bin ich. Warum fragst du – so früh am Morgen?“

Vorsichtig richtet Julianus sich auf, er will Pippa nicht wecken. Es muss einer von den Leuten sein, die sie gestern hierhin gebracht hatten.

„Der Kronrat aus Lutetia hat einen Boten geschickt. Die wollen dich sprechen dort.“

Julianus zuckt innerlich zusammen. Ist der Verdacht nun doch auf ihn gefallen, halten sie ihn für den Attentäter am König? Da kommt aber schon die nächste Bemerkung – in breitestem westgotischen Sprachfluss:

„Sie halten wohl dich und deine Familie für würdig, Teil des Kronrats zu werden – du sollst wohl mithelfen, den neuen König zu finden.“

Julianus meint für einen Augenblick zu träumen, dann steht er aber schnell auf, lässt sich von dem Fremden führen – er will auf keinen Fall, dass Pippa aufwacht, jetzt.

In den Nischen, an denen sie jetzt wieder vorbei kommen, liegen die Paare immer noch eng umschlungen beieinander, selig schlafend und sicher auch in sinnlichsten Träumen unterwegs. Auch an Julianus huschen die Erinnerungsbilder der letzten Nacht kurz und heftig vorbei. Er muss sie vertreiben, er muss nachdenken, was er tun soll. Bleiben, weiter reisen, nach Lutetia aufbrechen?

Kalte, klare Morgenluft empfängt ihn vor der olympischen Höhle. An einem Feuer stehen drei Männer und schauen ihm und dem Wecker entgegen.

„Du bist also dieser Römer Julianus – oder?“ fragt ihn nun der Älteste am Feuer, die beiden anderen mustern ihn neugierig von oben bis unten. Nach der feurigen Nacht mit Pippa sieht Julianus etwas zerzaust und mitgenommen aus. Er fährt sich mit beiden Händen durch sein langes Lockenhaar, räuspert sich vernehmlich, bevor er sagt, was er sich eben zurecht gelegt hat:

„Der bin ich in der Tat. Ich werde so schnell, wie ich kann, nach Lutetia reiten – habe aber kein Pferd…“

Die drei am Feuer und mit ihnen jetzt auch der Mann, der ihn geweckt hatte, grinsen breit.

„Ich habe ein Pferd mitgebracht, das wäre dann geregelt – oder?“

Jetzt erst wird Julianus klar, dass einer von den vier Männern ein Franke ist.

Julianus ist sprachlos. Hoffentlich ist das keine Falle, geht es ihm durch den Kopf, als er antwortet und sich seine Hände am Feuer zu wärmen versucht:

„Ich habe aber eine Bitte: Die Frau, der Säugling und die restliche Begleitung müssten zum Hafen im Westen gebracht werden, ich hatte ihnen nämlich versprochen, ihnen Schutz zu sichern auf ihrer Rückreise nach Yrrlanth.“

„Yrrlanth?“

Die vier Männer schauen sich verdutzt an. Als würde die Frau ans Ende der Welt reisen wollen, so kam es ihnen vor bei dem Namen Yrrlanth. Der Franke ergreift als erster das Wort:

„Nun, nun. Das ist nicht mein Auftrag, wir beide müssen so schnell wie möglich Richtung Osten, Richtung Sequana!“

Dabei betont er den lateinischen Namen besonders, um dem Römer deutlich zu machen, dass er ein gebildeter Mann ist. Erwartungsvoll schaut Julianus zu den beiden anderen am Feuer. Werden sie seine große Bitte erfüllen wollen?

Insgeheim wünscht er sich, dass er, ohne Pippa noch einmal in die Augen schauen zu müssen, sofort aufbrechen kann, denn er wäre sicher hin und her gerissen zwischen sie weiter begleiten wollen und zum Kronrat aufbrechen – schließlich könnte er so den Ruf der Marcellus-Familie weiter mehren .

„Da werden wir den Ältestenrat zusammenrufen müssen! Aber der wird sicher zustimmen.“

21 Dez.

YRRLANTH – Blatt 185 – Historischer Roman II – Leseprobe

Vielstimmiger Gesang in der hohen Halle der vielen Nischen.

Pippas Gefühle schwanken zwischen Todesangst und Seligkeit. Ist das jetzt hier in dieser Höhle das Ende meines Lebens? Hat mir die Alte in den Katakomben von Lutetia nur lauter Lügen eingeflüstert? Gleichzeitig versinken Pippas Blicke in denen von Julianus. Was hat dieser Blick zu bedeuten? Betrügt mich meine Todesangst nur, um mich in diesem letzten Augenblick stark zu machen? Auch Julianus ist völlig verwirrt. Denn hinter der großen Göttin in einer der vielen Nischen, die den kreisförmigen Raum begrenzen, erkennt er Diana, als wäre sie aus dem Tempel der Villa Marcellina hierher gekommen, um ihn zu trösten und aufzumuntern. Sumila seufzt im Schlaf vor ihm auf dem trockenen Stroh, das mit Moos gepolstert ist. Oder ist das alles jetzt nur ein Traum, der ihnen die Angst vor ihrem nahen Ende nehmen soll?

Das Flackern der Flammen in den Fackeln, die zwischen den Nischen aufgehängt sind, fluten den Moment zu einem Bad in milden Farben, die wie bunte Schlangenbänder an den Wänden auf und ab gleiten.

Jetzt beginnen die Frauen erneut ein vielstimmiges Summen. Mit geschlossenen Augen und erhobenen Armen schwanken sie genüsslich hin und her und verneigen sich lächelnd von den Götterbildnissen in den Nischen – dabei wandern sie sacht von einem Abbild zum nächsten, verneigen sich summend, jauchzen kurz und hell auf, um dann wieder weiter zu tanzen und zu summen. Völlig selbstvergessen. Die Fremden, die sie hierher geleitet hatten, haben sie längst sich selbst überlassen. Zu Füßen der großen Göttin entzünden nun zwei alte Priester kleines Geäst, das den Weihrauch in großen Schalen zum Schwitzen und Schmelzen bringt. Pippa und Julianus liegen dicht beieinander, jetzt umarmen sie sich, vereinen sich, bis die Erschöpfung nach solch einem langen Tag sie gnädig in tiefen Schlaf hinüber geleitet. Und in ihren Träumen wandeln sie noch einmal durch alte Bilder, in denen sie Somythall begegnen, die ihnen lachend entgegen winkt. Sol Invictus scheint mit Atawima in ein tiefes Gespräch vertieft – von Nische zu Nische – Juppiter Dolichenus philosophiert begeistert mit Mithras und Grannus macht überschwenglich Diana den Hof. Ein heimlicher Olymp unter der Erde. Die Götter und Göttinnen werfen dabei immer wieder wohlwollende Blicke auf das eng umschlungene junge Paar, das längst sich und alles um sie herum vergessen hat, so überschäumend haben Lust und Wonne sie verwöhnt und aufgehoben in eine Welt reinster Lebensfreude. Und erst Isis!

04 Juni

Historischer Roman II – Blatt # 181 – Leseprobe

Kennt denn das Schicksal überhaupt keine Gnade?

Der kommende Morgen in Augusta Treverorum müsste von einem Augenzeugen aufgeschrieben werden. Aber da ist kein solcher. So wird auch dieser Tag bald in Vergessenheit versunken sein, genau wie die Ruinen aus besseren Tagen hier an der behäbig dahin fließenden Mosella.

In aller Frühe entrollt ein des Schreibens kundiger Franke das schnell aufgeschriebene Urteil: Wegen Auflehnung gegen das Königsheil muss die fremde Frau aus Yrrlanth sterben. Am Galgen. Als Somythall der Richterspruch vorgelesen wird, ist im ehemaligen Amphitheater schon der Galgen aufgebaut.

„Nein, nein!“ schreit sie. Aber ihre Stimme versagt ihr. So ist es eher ein Röscheln, das ihr entfährt. Von zwei starken Wächtern wird sie kurzerhand aus dem Keller ans Tageslicht getragen. Sie wehrt sich mit Händen und Füßen. Die sind aber stramm gefesselt. Ein Zucken ihres Körpers ist alles, was ihr so gelingt. Tränen, nichts als Tränen der Wut und der Verzweiflung lassen alles vor ihren Augen verschwimmen. Schon liegt sie in einem klobigen Wagen, gezogen von einem alten Ochsen. In seinen großen Augen spiegeln sich die geschäftigen Männer, die stumm ihre Befehle ausführen. Sie kennen die Frau nicht. Ihre Geschichte und ihre Botschaft sagen ihnen nichts. Yrrlanth? Was will die denn überhaupt hier bei uns? Peitschenknall, der Karren setzt sich in Bewegung, das Tier trottet die gepflasterte Straße hinab, vorbei an den baufälligen Thermen, die niemand mehr besucht, vorbei an dem ehemaligen östlichen Tor, das kaum mehr als Tor erkennbar ist. Ein Steinbruch jetzt, mehr nicht. Bauern auf dem Weg zu ihren Feldern

sehen das Gefährt, die nebenher laufende Eskorte, aber die Frau darin sehen sie nicht. Das Poltern allein ist ihnen ein vertrauter Lärm. Da wird wohl etwas transportiert. Wegen der Wächter könnten sie Fragen stellen. Doch lieber nicht. Jetzt, wo der fränkische König ermordet ist, muss man besonders vorsichtig sein. Schnell hängen sie einem ein Schild um den Hals: Handlager der Meuchelmörder.

Auf den mit Unkraut übersäten Stufen des Amphitheaters sitzen blöd vor sich hin glotzend die Bettler, die vom Hämmern der Tischler aufgeweckt worden sind. Ein Galgen? Wer soll da gehängt werden? Hin und her gerissen zwischen dem Hunger auf etwas Essbares und der Neugierde auf das bevorstehende Spektakel haben sie sich für zweiteres entschieden. Der knurrende Magen protestiert.

Da kommt auch schon der Ochsenkarren angepoltert, flankiert von schwer atmenden Wächtern. Oho, oho! Brr! Was? Wen hat’s diesmal erwischt? Frongur, der gewählte Anführer der Bettler hier im Amphitheater, wird gleich vor geschickt:

„Geh, frag, wer sie ist, was sie verbrochen hat!“

Die Wächter schubsen ihn sehr unsanft zurück.

„He, du, pass auf, sonst bist du der nächste, der da hängt!“ Grölend verjagen sie mit Tritten Frongur, der gar nicht erst protestiert.

„Die Fremde gehört zu den Verschwörern des Königsmords, das geht euch gar nichts an, hau ab!“

Die Bettler hören alles mit. Schon beginnen sie zu tuscheln. Sie machen lange Hälse, nur ja nichts verpassen – von der Mörderin!

Somythalls Tränen sind versiegt. Wie eine Tote lässt sie sich aus dem Karren heben. Sie will diesen Angsthasen nicht ein Bild bieten, das die sich von einer Frau, einer zum Tode verurteilten Frau, machen. Sie will auch diese Welt, die da gerade um sie herum geistert, gar nicht mehr sehen. Mit geschlossenen Augen sieht sie sich neben Rochwyn auf dem Schiff sitzen, das sie neulich erst von Yrrlanth ins Reich der Franken gebracht hatte. Neulich. Fast ein Jahr ist es her. Und welch wunderbare Dinge ihr in dieser Zeit widerfahren waren. Fast gelingt ihr ein Lächeln dabei. Julianus. Wie sie im Tempel der Diana zusammen fanden, wie…Wie eine wacklige Statue stellen die Wächter jetzt die Frau unter den Galgen, legen ihr die Schlinge um den Hals. Das Rülpsen und Schmatzen der Bettler im Amphitheater rings um verstummt abrupt. Geiles Glotzen, sonst nichts. Der Anführer, der breitbeinig neben dem Galgen steht, verliest das Urteil. Somythall verweigert ihren Ohren das zu Hörende zu hören. Sie atmet jetzt ganz tief. Es schmerzt in der Brust. Sumila. Sumila. Das ist das Bild, das sie jetzt mit nimmt, als unter ihr der grobe Hocker weg getreten wird.

Die hungrigen Zuschauer klatschen grölend Beifall:

„Ey, ihr mutigen Krieger, das habt ihr gut gemacht, echt! Die ist hin!“

Die Wächter haben nur verächtliche Blicke für sie. Einer stellt neben dem Galgen noch ein Holzschild ab. Eingeritzt nur ein Wort: Mörderin. Als hätten sie schwere Arbeit erledigt, klettern sie dann ächzend in den Karren, in dem eben noch Somythall gelegen hat. Wieder knallt die Peitsche, wieder müht sich der alte Ochse mit dem Karren ab. Wieder kehrt die alte Ruhe im Amphitheater ein. Das ruchlose Schauspiel ist vorbei. Und die Augenzeugen taugen nichts. Sie können weder lesen, noch schreiben. Und schon beschäftigt sie Wichtigeres.