01 Apr

YRRLANTH – Historischer Roman II – Blatt 174 – Leseprobe

Die Fischer am Ufer der Sequana wissen wie immer Bescheid.

Während in Augusta Treverorum der Kronrat des Frankenreichs den Prozess gegen die noch unbekannten Mörder des Königs vorbereitet, die Tage wärmer und wärmer werden – das frische Grün auf den Feldern sehnt sich vergeblich nach Regen – sind in Lutetia die Fischer wie jeden Tag damit beschäftigt, mit ihren kleinen und großen Schleppnetzen Beute aus der Sequana zu ziehen.

„Sag ich doch!“ bellt Herquardt seinen Nachbarn an.

„Ach was, die Söhne habe ich heute morgen doch gesehen, wie wie mit Graf Berowulf davon ritten°, bellt Wultart zurück.

„He, passt auf, das ist meine Stelle!“ krächzt Onembas wütend.

„Ja, ja – du und deine Stellen, ist ja gut!“ versucht Wultart zu schlichten. Als er jetzt sein Netz an Land holt, beginnt er laut zu lachen: Ein guter Fang, gleich beim ersten Mal. Onembas verdreht die Augen und wechselt das Thema:

„Der Truchseß ist einfach abgehauen; das macht den doch sehr verdächtig – oder?“

„Der Bardov? Der hat Angst bekommen, dass er auch dran glauben muss!“

„Du musst es ja wissen, Herquardt, du kennst ihn ja persönlich – stimmt‘s?“ stichelt Wutart dagegen. Guter Witz, denkt Onembas.

„Und? Wer sind denn deiner Meinung nach die Mörder?“

„Mörder? Woher weißt du denn, dass es mehrere waren?“ fragt Onembas listig.

„Genau, genau!“ pflichtet ihm Wutart bei.

„Der Bader hat von zehn Einstichen gequatscht!“

„Der Bader! Der macht sich doch nur wichtig!“

„Außerdem kann einer auch mehrmals zugestochen haben – oder?“ Herquardt findet, dass er richtig klug dazwischen geht.

„Jedenfalls werden die Herren Grafen schon jemanden finden – ganz gleich, ob er es war oder nicht. Die Leute hier in Lutetia wollen endlich wieder jemanden gevierteilt sehen – nach der Burgunderin!“

Unseren Fischern läuft es wohlig den Rücken runter. So lange sie nicht selber dran glauben müssen, erscheint ihnen eine Vierteilung für einen Königsmord das Mindeste.

31 Mrz

YRRLANTH – Historischer Roman II – Blatt 172 – Leseprobe

Julianus kühne Wendung in eine ungewisse Zukunft.

Der jähe Tod von König Chlotar liegt nun schon zwei Wochen zurück. Julianus‘ Gewaltritt nach Arelate war zwar gefährlich und anstrengend gewesen, aber er hatte die richtige Entscheidung getroffen. Gerüchte liefern abenteuerliche Hintergründe: Berowulf, der Vormund der Söhne des Königs, soll seine Hand im Spiel gehabt haben. Von Julianus redet niemand, auch der Name Bordov fällt in keiner der vielen Erzählungen vom Königsmord.

Jetzt sitzt er mit seinen Verwandten im Atrium der Villa in Arelate und hört einfach nur zu:

„Die Zeiten haben sich geändert, wir als Senatsfamilien müssen unseren Einfluss besonders den Comes Civitatis gegenüber besser geltend machen.“

„Nein, Gaius, viel wichtiger ist es meiner Meinung nach, als viri sacerdotales aufzutreten und frei werdende Bischofssitze zu erobern.“

„Da müsste man aber zumindest getauft sein – und zwar nicht arianisch!“ meldet sich Julianus nun doch zu Wort. Großes Gelächter lässt das weite Atrium fast beben.

„Gut, gut, mein Freund!“ erwidert der Hausherr und Senator, Fabricius, gut gelaunt, „also, lass dich taufen und schon steigen deine Chancen rapide in Lutetia.“

Julianus hebt abwehrend beide Arme und Hände.

„Gott bewahre, Gott bewahre!“

„Welchen Gott meinst du denn, Julianus?“ und wieder ist das Gelächter groß. Die Männer in der Runde wissen, dass ihr Reichtum und ihr Einfluss den Fluss rauf und runter ihnen alle Türen öffnen, seien es nun Ämter an der Seite der Grafen, seien die neuen Hausmeier-Posten oder eben die einflussreichen Bischofsämter.

Julianus staunt über sich selbst in diesem Moment: Er meint sogar seinen Vater flüstern zu hören: Warum denn nicht mein Sohn? Du bist nicht nur gebildet, ein fähiger Truppenführer und ein erfolgreicher Verwalter einer großen Villa, nein, du könntest auch noch mehr als das, glaub es mir, mein Sohn! Warum denn nicht, denkt er nun selbst.

„Würdet ihr denn meine Bewerbung um das vakante Bischofsamt in Divodurum Mediomatricorum unterstützen?“ Julianus weiß selber nicht, wie er auf diese Idee kommen konnte. Bischof Arnulf jedenfalls ist hingerichtet, der Bischofssitz seitdem vakant. Da wird es plötzlich still im Raum. Blicke von Mann zu Mann. Die doch so stolzen Römer wittern Morgenluft. Sie müssen neue Verbündete, neue Ämter, neue Felder für sich gewinnen. Den Franken gegenüber, die immer noch nicht lesen und schreiben können – das müssen nach wie vor die Mönche für sie erledigen – muss ein neues römisches Selbstbewusstsein entwickelt werden. Jetzt! Alle spüren den k a i r o s :

„Das könnte der Anfang einer neuen Epoche für uns alle werden, Julianus – ich jedenfalls werde dich unterstützen!“ platzt es aus seinem Onkel, Gaius Mersatorius, heraus. Da gibt es kein Halten mehr im Raum. Alle stürmen auf Julianus los, wollen ihm die Hand reichen, ihm ihre Unterstützung zusagen. Julianus aber schwankt hin und her: Soll ich, soll ich nicht? Wie konnte ich nur solch eine Frage stellen?

Später – er hatte sich einen Tag Bedenkzeit erbeten – sitzt er in der großen Bibliothek seines Onkels, um in Xenophons ANABASIS zu lesen. Könnte der sein Vorbild sein? Philippus hatte öfters bei der gemeinsamen Lektüre zu Hause sehr lobend über Xenephon gesprochen: Wie dieser über sich hinaus gewachsen sei. Wie er nach der Schlacht bei Cunaxa über Nacht zum Führer der 10 000 griechischen Söldner wurde und sie in sehr entbehrungsreichen Märschen bis zum Schwarzen Meer führte. Und wie er damals bei der gemeinsamen Lektüre mit seinem Lehrer getadelt wurde: „Julianus! Was starrst du so die Götter an den Wänden an? Du bist nicht bei

der Sache!“ „Oh, verzeiht mir Philippus, ich sehe gerade weder Dionysos noch Apoll, ich stelle mir nur vor, wie die erschöpften Truppen überglücklich endlich das Meer sehen und immer wieder rufen: Thalata, Thalata!“ Auch Xenophon wurde in einer scheinbar ausweglosen Katastrophe zum jungen Führer, der wieder Hoffnung zu verbreiten vermochte. Vielleicht stehen auch mir noch ganz andere Tage bevor als dieser scheinbar unaufhaltsame Abstieg der Senatorenfamilien im noch ungefestigten fränkischen Königreich. Vielleicht wäre da die machtvolle Stelle eines Bischofs von Divodurum der Schlüssel zu einer Wende seines Schicksals – jetzt nach dem erschütternden Mord an seinem Vater und dem verdienten Ende des Königs.

Unbemerkt rinnen ihm Tränen die Wangen herunter. Draußen jubilieren die Grillen, als gäbe es etwas zu feiern. Langsam wächst der noch vor Tagen unvorstellbare Plan in seinem müden Kopf. Ich muss mich also taufen lassen. Ich muss die Menschen in den beiden Pachthöfen, die schon auf meiner Seite stehen, zu meiner Schutztruppe machen. Ich werde zwischen Divodurum und Lutetia hin und her pendeln müssen, werde mich dem neuen König unentbehrlich machen, werde die alten Götter weiter an meiner Seite wissen und gleichzeitig die Texte der Apostel lesen, um mit christlicher Denkweise vertraut zu werden.

18 Mrz

YRRLANTH – Historischer Roman II – Blatt # 169 – Leseprobe

Julianus und Bordov greifen ins Rad der Geschichte.

„Das Morden muss ein Ende finden“, murmelt Bardov vor sich hin. Aber wie? Der König hat ihn erneut auf die Güter des hingerichteten Bischofs Arnulf geschickt. Der Sohn des Römers, des vergifteten Herrn der Villa Marcellina an der Liger, soll da gerade nach dem Rechten sehen., heißt es. Chlotar hatte die beiden Höfe ja dem Römer als Lehen gegeben.

Als Bardov von seinem Pferd steigt, kommt gleich aus einer der nächsten Hütten ein Leibeigner und mustert ihn misstrauisch.

„Wer seid ihr?“ fragt der Mann Bordov mutig.

„Na, wer schon, du Idiot. Ich bin Bardov, der Truchseß des Königs. Und wer bist du, hä?“

Der Mann weicht zurück, weiß nicht, was er tun soll.

„Ich? Äh, ich steh hier nur so rum“, und fängt blöde zu kichern an.

Bordov würde ihn am liebsten seine Peitsche spüren lassen, aber er hat Wichtigeres zu erledigen.

„So, so. Wo ist denn dein Herr, hä?“ setzt Bordov drohend nach.

„Unser Römer?“ der Mann dreht sich um, sucht mit Blicken das Gelände ab, zieht die Schultern hoch, hebt ratlos seine Arme.

„Keine Ahnung, Herr!“

Na bitte, geht doch, denkt Bardov, der kriegt ja fast schon ganze Sätze hin.

Da sieht er auch schon den Gesuchten über die noch unbestellten Felder heran reiten.

Bardov hält weiter sein Pferd am Zügel fest, als jetzt Julianus dicht vor ihm halt macht und absteigt.

„Bardov, hätte gar nicht gedacht, dass wir uns schon so bald wieder sehen.“

Bardov spürt ein Ziehen im Magen. Den soll ich umbringen? Niemals. Es reicht, es reicht.

„Ich auch nicht!“ erwidert Bardov und reicht Julianus die Hand.

„Bring uns was zu trinken raus, ja?“ bittet er den ziemlich blöd dastehenden Mann. Der nickt und verschwindet in seiner Hütte.

Beide binden ihre Pferde an und warten schweigend, dass der Mann zurück kommt. Dann stoßen sie freundlich lächelnd an und Julianus fragt:

„Was kann ich für dich tun, Bardov?“

„Wir müssen reden“, ist alles, was er zur Antwort bekommt.

„Gut, komm, gehen wir in mein Haus. Du bist sicher auch hungrig.“

Bardov nickt.

Später sitzen sie im Dämmerlicht des herunter gekommenen Pächterhauses, essen und trinken und reden und reden. Und je länger sie reden, umso mehr wird beiden klar, dass dieser König der Franken mehr und mehr zu einem Monster mutiert, das über Leichen geht und anscheinend dabei immer größeren Hunger verspürt.

Dann wird es still im Raum. Die Sonne verschwindet gerade im Westen, die Kälte kriecht unter der klapprigen Tür durch und lässt die beiden frösteln.

Sie kommen zwar beide aus zwei sehr verschiedenen Leben, der junge Römer und der altgediente Franke, aber sie haben doch mehr gemeinsam, als diese großen Unterschiede nahe legen.

Schließlich treffen sie leise, sehr leise eine Entscheidung, verabreden sich für den nächsten Tag in Lutetia. Bardov wird dem König melden, dass Julianus um eine Aussprache bittet – es gehe um den Ausbau der beiden Lehen und um die Zukunft der Villa Marcellina am Liger. Das wird den König bestimmt neugierig machen. Bardov wird dabei dem König auch indirekt zu verstehen geben, er habe bei ihrem Treffen auf den beiden Gütern dem Wunsch des Königs nicht entsprechen können, wolle das aber bei dem Besuch von Julianus in Lutetia auf jeden Fall nachholen. Auf jeden Fall. So wird der König kein Misstrauen hegen, wird Julianus einladen und Bordov dazu holen, damit der tut, was er soll.

Und während die beiden gerade schwer wiegende Entscheidungen treffen, deren Folgen das junge fränkische Königreich nachhaltig verändern werden, zieht Somythall unter dem Geleitschutz der Leute von Rochwyn weiter Richtung Westen. Yrrlanth. Mit Pippa und Sumila an ihrer Seite reiten sie in eine sehr ungewisse Zukunft. Ob Voegrun noch lebt? Was wird er sagen, wenn Somythall ihm erzählt, dass..? Nein, nein, nicht jetzt. Jetzt träumt sie sich lieber in eine Zukunft, in der ihre Tochter Sumila groß und stark geworden ist…

„Somythall“, fragt sie Pippa jetzt, „sollen wir Halt machen? Die Lichtung da vorne scheint mir sehr geeignet.“

Somythall nickt und schweift schon wieder in Gedanken ab. Jullianus. Ja, in manchen Augenblicken stellt sie sich vor, dass sie zur Villa Marcellina umkehren, dass sie heiraten und gemeinsam Sumila am Liger aufziehen. Der alte Lehrer Philippus könnte ihr Lesen und Schreiben beibringen. Vielleicht könnte sie ja später am Hof des Frankenkönigs eine Stelle finden, vielleicht.