06 Dez

Europa – Vier Geburtswehen (Meditation # 21)

Vier Geburtswehen der europäischen Staatenbildung auf dem Weg zu einem friedlichen Nebeneinander.

Wie vergesslich wir doch sind und wie blutleer Namen und Zahlen von Ereignissen in der europäischen Geschichte sein können!

1. Wehe.

Sicher lesen viele jungen Leute in ihrem Geschichtsbuch etwas über die großen Religionskriege im 17. Jh. mitten in Europa. Der sogenannte dreißig-jährige Krieg. Was sollen sich die Schüler darunter vorstellen? 30 Jahre Krieg! Ganz Mitteleuropa soll Schauplatz dieser Kämpfe gewesen sein. Am Ende gab es nur noch halb so viele Menschen in diesen Gegenden wie vorher. Was für abstrakte Hauptwörter und Sätze! Aber es waren keine Sunniten, die gegen Schiiten und andere Ungläubige kämpften, sondern Katholiken gegen Lutheraner. Bald gab es Länder, die ihre Katholiken zwingen wollten, dem neuen Glauben zu gehorchen oder die Verweigerer des Landes verwiesen. Viele, viele Flüchtlinge gab es da auf einmal, die durch ganz Europa flohen, um Asyl anderenorts zu finden. Mächtige Fürsten nutzten die Gunst der Stunde, um ihren Machtbereich auszuweiten oder Konkurrenten kalt zu stellen. Alles natürlich im Namen des christlichen Gottes. So oder so. Das ist gerade mal so dreihundert Jahre her.

2. Wehe.

Oder im Geschichtsbuch wurde ausführlich über die Französische Revolution, La Grande Terreur und die späteren napoleonischen Eroberungsfeldzüge in Europa bilderreich berichtet, die Zahlen der gewaltsam getöteten Europäer ist nur schwer zu benennen, so viele waren. Und wieder waren es mächtige christliche Feldherrn und Politiker, die eine bessere Zukunft und mehr Macht versprachen; am Ende blieb vieles so, wie es war – trotz der vielen, vielen zu beklagenden toten Soldaten und der toten Bürger in den von Christen bewohnten Städten und Dörfern Europas. Das Schlachten begann 1789 und endete erst 1815 – also mehr als 25 Jahre kriegerische und gewalttätige Zeiten in Europa.

3. Wehe.

Und dann erst im 20. Jh.! Da brauchten die Europäer nicht einmal fünf Jahre, um in einem mörderischen Krieg Millionen von Menschen zu töten: Die einen an der Front oder im Schützengraben, die anderen im Giftgas oder in zerbombten Häusern in Russland oder Flandern, um nur zwei Gegenden Europas zu nennen, die unter dem menschenverachtenden Materialschlachten zu leiden hatten. Und warum? Weil die einen Europäer meinten, sie seien die besseren christlichen Europäer mit größerem Anspruch auf Macht und Einfluss als die anderen.

4. Wehe.

Und nur 25 Jahre später – die Europäer wollten wohl nicht aus dem Elend lernen, das der Krieg und der Hass über sie gebracht hatte – wurde Europa noch einmal und noch viel nachhaltiger verwüstet und noch viele Millionen mehr Menschen gewaltsam umgebracht als im letzten Gemetzel!

Immer wollten die einen über die anderen Europäer herrschen – sei es aus nationalistischen oder gar rassistischen Gründen – obwohl sie alle aus der gleichen Geschichte hervorgegangen waren und alle an der gleichen Gott glaubten, mehr oder weniger. Wunderbar verschieden in Sprachen, Kultur und Traditionen, wie sie doch nun einmal sind!

Am Ende hatte dann der Freiheitswille und die Formel „Nie wieder Krieg!“, der die vielen verschiedenen Völker Europas auf friedliche Koexistenz einstimmte, gesiegt.

Vielleicht dämmert nun dem einen oder anderen doch der Gedanke, dass der scheinbar unversöhnliche Krieg der Sunniten gegen die Schiiten nicht nur nicht morgen zu Ende gehen könnte, sondern vielmehr noch viele weitere Jahre oder gar Jahrzehnte dauern wird, weil so viele mächtige Gruppen daran beteiligt sind, die den einen oder den anderen „helfen“ wollen, um dabei selber eigene Machtzonen auszuweiten oder neu aufzubauen! Und natürlich erzeugen solche kriegerichen Auseinandersetzungen Flüchtlinge noch und noch, die alle darauf hoffen, irgendwo Asyl zu erhalten, um zumindest das nackte Leben zu retten. Und noch etwas: Am Krieg verdient immer nur der Krieg! Diese Lektion sollten die christlichen Europäer doch wohl gelernt haben?

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