08 Apr

Leseprobe – Historischer Roman II Blatt # 108

Arnulf, Bischof im ehemaligen Dividorum, zeigt, wie man Gefolgschaft

schafft – 2. Reise

Pippa und Pippin hatten sich nach ihrer „kleinen Reise“ zu den Knochenbergen, wie sie es immer wieder erschauernd nennen, oft gefragt, was der Bischof wirklich mit ihnen vorhat. Will er sie fördern oder will er sie klein halten? Aber warum?

Der Winter in diesem Jahr hatte mild begonnen. Aber jetzt will er wohl noch einmal zeigen, was er kann. Es ist eiskalt. Pippa und Pippin frieren erbärmlich. Nachts liegen sie eng aneinander geschmiegt in Pippins windschiefer Hütte und frieren trotzdem. Lutetia scheint im Winterschlaf erstarrt. Die Einwohner verlassen kaum ihre ärmlichen Behausungen, nur im steinernen Palast des Königs hält in der großen Halle ein Feuer die Leute halbwegs bei Laune.

Gerüchte sirren durch den Bau. Chlotar hat Brunichild in seiner Gewalt. Man hat fürchterliches Geschrei aus der Folterkammer gehört. Was hat er mit ihr vor? Sie ist eine alte, gebrochene Frau. Lange war sie stolze Königin und Vormund am Königshof in Burgund gewesen, hatte viele Kriege für ihre Söhne und Enkelkinder führen lassen. Alles umsonst. Jetzt ist sie am Ende. Chlotars Macht wächst Tag um Tag. Er ist getaufter Christ, er könnte sie in ein Kloster schicken. Er könnte. Jetzt ist der Arnulf, der Bischof von Dividorum, bei ihm. Sie reden. Die Wachen hängen übermüdet in ihren Matten. Auch sie frieren um die Wette. Manche flüstern, die Kälte habe auch das Herz des Königs und des Bischofs erfrieren lassen. Draußen liegen Erfrorene am Ufer des zugefrorenen Flusses. Sie kleben am Eis. Man kann sie nicht einmal wegschaffen, geschweige denn in der gefrorenen Erde beerdigen. Ist die Kälte die neue Pest? So wie vor zwei Generationen unter Kaiser Justinian, Belisar und Narses die letzte?

Jetzt kommt Bewegung in den großen Steinbau. Ein Herold sattelt sein Pferd. Schon steht er auf dem leeren Marktplatz, er hat einen Soldaten an seiner Seite, der mit zwei Trommeln einen Wirbel nach dem anderen trommelt. Die Leute von Lutetia wissen, was das bedeutet. Der König braucht wieder ein Publikum.

„Euer Herr und König, Chlotar der zweite, lässt hiermit wissen und tut kund, dass heute, wenn die Sonne im Mittag steht, alle hier zusammen kommen müssen. Der König will zu Gericht sitzen und alle sollen es hören und sehen!“

Dreimal Trommelwirbel, dreimal die gleiche Ansage. Nach und nach waren die frierenden Lutetianer aus ihren Hütten gekrochen, hatten sich wortlos die Ankündigung des Herolds angehört und waren wortlos wieder gegangen. Die Nachricht wird sich – trotz fahlen Lichts, trotz klirrender Kälte – schnell in der Stadt verbreiten. Sie wissen, wer nicht erscheint, muss mit harten Strafen rechnen. Ihr Herr König ist ein strenger Herr. Auch Pippa und Pippin wissen, dass sie da sein müssen. Diesmal wird die Reise nicht weit gehen.

Nur bis zum Marktplatz. Aber sie spüren bereits, dass am Ziel auch dieser Reise ein großes Erschrecken stehen wird. Sie spüren es einfach, können es sich nicht erklären, aber sie spüren es. Pippa zittert und hat wieder Tränen in den Augen. Aber es sind keine Tränen der Traurigkeit, nein, es sind Tränen des Zorns, der sie sogar ein bisschen wenigstens zu wärmen scheint. Pippin ahnt nicht, was in ihr vorgeht. Er glaubt, sie habe einfach nur Angst und sei eben eine schwache Frau. Die Stunden bis Mittag verbringen sie mit vor sich Hinstarren, mit Hände warm Reiben, mit Atmen, mit Angst, die sie einfach nicht mehr los werden. Der kleine Raum – düster und eisig – schützt sie nicht vor dieser Angst. Das Stück Brot, das sie runter würgen, ist fast so hart wie ein Stein. Einen Schluck Wasser haben sie im kleinen Topf über der kleinen Feuerstelle aus dem Eisstück heraus getaut, das den verbeulten Napf ausfüllt.

Dann gehen sie los. Um Füße und Hände und Kopf haben sie sich schmutzige Lappen drapiert. Ihre Mäntel schützen sie nur schlecht vor der Kälte, die sie empfängt. Auch aus den anderen Hütten schleichen Menschen Richtung Marktplatz. Man spricht nicht, man schaut zu Boden. Viele beten, dass es schnell vorbei sein möge, was ihr König da vor ihren Augen vorführen wird: Er will zu Gericht sitzen. Es geht um die Burgunderin. Das ist allen klar. Klar ist ihnen auch, was sie erwartet.

Und als jetzt die Lutetianer wie ein verlorenes Völkchen auf dem Marktplatz herum stehen – jeder mit einem kleinen hellen Wölkchen vor dem Mund – , sehen sie die Prozession vom Palast kommen. Wieder Trommelwirbel, diesmal aber nur eintönig und mit großen Pausen. Vorneweg gehen die Wachen. Alle tragen schwarze, lange Mäntel, ihre eisernen Helme blinken kaum im spärlichen Licht dieses eiskalten Wintertages, dann folgt ein Fuhrwerk – ein Ochse zieht den Karren – und oben liegt etwas unter filzigen Decken, das sich kaum bewegt. Das muss die Burgunderin sein. Dahinter dann hoch zu Pferd Chlotar und gleich hinter ihm Bischof Arnulf. Dann zu Fuß der gesamte Hof: In Rüstung und unter Waffen, auch sie haben alle schwarze Mäntel übergezogen. Ein Trauerzug. Nein, kein Trauerzug, ein Zug hagerer Männer, die sich aufs Töten verstehen. Und dahinter ein Mann, der sich mit vier Pferden abmüht – ohne Sattelzeug trotten sie vor sich hin. Sie wären sicher lieber heute im Stall geblieben.

Schließlich erreicht der traurige Zug den Marktplatz. Die frierenden Leute haben ihre kleinen Kinder unter ihre löchrigen Umhänge gezogen, das wird zwar kaum gegen die Kälte helfen, aber vielleicht wenigstens gegen den Anblick, den sie alle nun über sich ergehen lassen müssen. Es ist sehr still. Nur das Schnauben der Pferde hallt laut über den Richtplatz.

Wieder ein Trommelwirbel. Diesmal lang und immer schneller werdend, dann bricht er ab. Chlotar gibt seinen Wächtern ein Zeichen. Sie holen die Burgunderin vom Karren. Sie gibt keinen Laut von sich, kann sich ohne das Zupacken der Wächter gar nicht mehr bewegen. Sie ist zerbrochen.

Sie ist eine Frau von fast siebzig Jahren. Alt und gebrochen. Keiner will das sehen müssen. Aber sie alle müssen es sehen. Dann ist es der Bischof, der das Wort ergreift – Chlotar hatte auch ihm ein Zeichen gegeben. Er räuspert sich, steigt in die Steigbügel, richtet sich hoch auf:

„Euer Herr und König, Chlotar, hat erfolgreich den Krieg gegen die Burgunder beendet. Brunichild, die feindliche Burgunderin, ist durch Gottes Hand in seiner Gewalt. Er hat sie verhören lassen, sie hat alles gestanden und ist bereit zu sterben. Wegen der teuflischen Anschläge, die sie gegen euren Herrn und König, Chlotar, ausgeheckt hat, soll sie als Strafe auch einen bösen Tod sterben.“

Arnulf fällt zurück in seinen Sattel, der König blickt zufrieden zu ihm herüber und gibt das Zeichen zum Vollzug. Erneuter Trommelwirbel, lange, sehr lange. Währenddessen nehmen die Wächter die vier Pferde, binden jeweils einen Strick an Beinen und Armen der Burgunderin fest und versuchen gleichzeitig die Tiere zu beruhigen, die unruhig hin und her tippeln.

Pippa und Pippin wissen, was jetzt passieren wird. Sie wollen es nicht sehen, müssen aber. Pippa ist sehr wütend. Unter ihrem Mantel faltet sie ihre Hände und schickt ein Bittgebet zu ihrer großen Göttin.

„Bitte, große Göttin, lass diese böse Tat den Tätern auf die Füße fallen, lass sie dafür büßen. Und wenn du mich dafür benutzen willst, ich werde alles tun, was du mir aufträgst, alles.“

Pippin spürt das Zittern, das bei diesem Stoßgebet durch Pippa wallt, ganz deutlich, aber er denkt nur wieder, sie hat eben Angst. Er darf keine Angst zeigen, denn jetzt sieht er auch, wie Arnulf auf ihn schaut und fast unmerklich lächelt und nickt. Das ist wohl die zweite Prüfung, die ich noch bestehen muss. Pippin ist sich ganz sicher, dass Arnulf ihn auch durch diese Teilnahme an der Hinrichtung der Burgunderin zu einem harten Krieger erziehen will. Meinetwegen, denkt er trotzig, meinetwegen.

Als Pippa und Pippin hinterher nach Hause schleichen, reden sie in Wortfetzen mit sich, es will einfach kein Gespräch werden:

„Die Leute, die Leute, hast du gehört, wie…“

„Arnulf hat die ganze Zeit zu uns geschaut…“

„Warum hat sie keinen Ton von sich gegeben? Warum hat sie…?“

„Die Pferde, die Pferde waren aufgebracht, sie haben gewiehert, als wenn..“

„Sie hat nicht geschrien. Warum?“

„Chlotar hat ganz woanders hin geschaut, die Memme…“

„Oder war sie schon tot?“

„Bei der Folterung hat sie sicher so laut geschrien, dass ihre Stimme hin war.“

„Ist das dein neues Christentum, ja?“

„Was hast du gerade gesagt…?“

07 Apr

Leseprobe – Historischer Roman II – Blatt 107

Arnulf, Bischof im ehemaligen Dividorum, zeigt, wie man Gefolgschaft schafft – 1. Reise

Mitten im Winter? Der Bischof nickt. Mitten im Winter. Das ist die beste Zeit, dem Bösen ohne Schaden zu begegnen. Pippin macht große Augen, schaut kurz zu Pippa, die auch völlig ahnungslos vor sich hin starrt, und fragt dann leise:

„Warum im Winter?“

Bischof Arnulf kichert in sich hinein. Was für Angsthasen aber auch. Mit großer Geste weist er auf den zugefrorenen Fluss.

„Der Satan hasst die Kälte.“

Pippin atmet erleichtert auf.

„Ach so, das verstehe ich gut!“ und lacht dazu, als hätte der Bischof ihm gerade eine lustige Geschichte erzählt. Pippa ist das aber eher peinlich und verzieht keine Miene. Sie traut dem Bischof nicht über den Weg. Wenn der mit ihnen eine „kleine Reise“ machen will, dann kann das nur Schlimmes bedeuten. Sie fühlt es ganz genau, tief in sich, in ihren Eingeweiden. Als habe sie Steine verschluckt. Lutetia schläft aber noch. Keiner sieht, wie da drei Reiter die frierende Stadt verlassen. Arnulf führt die beiden nach Norden. Pippin hatte schon gedacht, sie müssten schon wieder zu seiner Lieblingsbaustelle kommen. Es vergeht ja auch kein Tag, dass Bischof Arnulf auf den Neubau zu Ehren des heiligen Dionysios zu sprechen kommt.

„Dort werden die fränkischen Könige ihre Grablege finden“ posaunt er immer wieder heraus. Pippin macht sich große Sorgen in diesen Tagen: Zwar hat er weiter den Auftrag, im Frühjahr die römische Villa des Marcellinus bei Cenabum zu vernichten, doch König Chlotar II ist gerade mit seinem Lieblingsfeind zugange, mit Königin Brunichild, der Burgunderin. Sie ist seine Gefangene, man munkelt schlimme Geschichten. Chlotar II hat sie immer gefürchtet. Sie hat klug taktiert, sich immer wieder aus jeder Schlinge heraus gewunden. Bis zuletzt. Ob die „kleine Reise“ damit zusammen hängt? Ihm ist gar nicht wohl. Und Pippa sieht auch nicht so aus, als wäre sie guter Dinge. Arnulf hält sein Pferd immer zwischen die beiden, so dass sie keine Gespräche führen können, ohne dass er mithört. Dann diese Kälte.

Inzwischen sind sie schon an drei Kommenden des Bischofs vorbei gekommen. Ohne Halt geht es jedoch weiter. Die Sonne schafft es heute nicht durch die tief hängende grau kalte Wolkendecke. Die Pferde scheuen immer wieder, weil ihre Hufe auf Eisflächen ins Rutschen geraten. Die Decken, die sie sich über gezogen haben, schützen auch nur wenig gegen die Kälte. Jetzt hält Arnulf an:

„ Wir haben es bald geschafft. Pippin, du weißt, ich halte große Stücke auf dich – wie der König ja auch – darum sollte nichts Böses dich überraschen können. Darum heute diese kleine Reise.“

Pippa und Pippin schauen sich ratlos an. Was soll das heißen?

Gerade kommen sie aus einem großen Waldstück wieder auf

eine freie Fläche. Der Bischof steigt vom Pferd. Pippa und Pippin tun es ihm gleich. Die Stille, das fahle Tageslicht, die leere Heidelandschaft vor ihnen, alles lässt ihnen den Augenblick als unwirklich, als schweren Traum erscheinen.

„Wir sind da.“ Pippa und Pippin schauen sich ratlos an. Arnulf genießt ihre Ahnungslosigkeit auf eine sehr erniedrigende Art und Weise. Er lächelt, macht Gesten, die so etwas wie Leichtigkeit andeuten sollen. Jetzt geht er voran, die beiden angespannt und voller Angst hinterher. Dann bleibt er wieder stehen. Es ist, als wären sie in einer stummen Vorhölle, so kommt den beiden dieser Ort vor – kein Leben, breit und weit. Frost, sonst nichts. Die kahlen Äste der Baumreihen, die den weiten Raum begrenzen, blinken in stumpfen Lichtflecken, die das Eis entlang des Geästs spiegeln. Dämonen, hier wohnen bestimmt Dämonen, geht es Pippin wie ein Blitz durch den Kopf. Vor Schreck drückt er Pippas Hand so fest, dass sie leise aufschreit. Arnulf dreht sich überrascht um zu ihnen.

„Habt ihr etwa Angst?“ Geringschätzung schwingt in der Frage mit.

„Kommt, schaut euch das an – danach werdet ihr bestimmt keine Angst mehr kennen!“

Mit seiner rechten Hand zeigt er nach unten. Das hatten sie gar nicht bemerkt. Vor ihnen öffnet sich ein tiefes und weites Erdloch, so groß wie eine Therme in Luxovium, denkt Pippin. Gleichzeitig muss er an das Blutbad im Mithras-Heiligtum denken, das er dort angerichtet hat. Denn jetzt sieht er auch warum. Pippa und Pippin schauen hinunter und können es nicht fassen. Da liegen unzählige fahl weiß schimmernde Gebeine, Schädelknochen. Der gesamte Boden ist übersät damit. Zum Teil sind sie sogar übereinander gestapelt. Pippa glaubt, dass diese Schädel sie direkt anstarren. Entsetzt fährt sie zurück. Pippin steht wie angewurzelt da, sein Unterkiefer zittert, sein Atem stockt.

„Was hat das zu bedeuten?“ presst er leise aus sich heraus. Pippa ist wortlos zurück zu den Pferden gelaufen. Jetzt steht sie dort, hält sich am Zaumzeug fest, streichelt das dampfende Fell ihres Pferdes und weint.

Vorne an der großen Grube hält der Bischof von Dividurum währenddessen einen Vortrag, in gemessenem Ton, als berichtete er über ein Kapitel aus dem Alten Testament.

„Hast du nie davon gehört, wie unter Kaiser Justinianus unser strenger Herr und Gott eine Seuche über uns alle schickte, um uns zu strafen, weil wir nicht fest genug an ihn glaubten. Mein Großvater, Gott habe ihn selig, der ja Bischof von Camaracum gewesen war, erzählte uns Enkelkinder immer wieder die Geschichte von Gottes Strafgericht. Die Menschen starben wie die Fliegen. Und weil sie nicht mehr zu beerdigen waren und keiner sie verbrennen wollte, weil sie den Rauch nicht einatmen wollten und dann auch elend zu sterben, brachten sie die Toten auf Karren zu solchen Gruben

wie dieser – weit weg von jeder Ansiedlung oder einem Kloster des Heiligen Benedikt.“

„Nie davon gehört“ stammelt Pippin, „wann war das denn? Unter welchem Kaiser hier im Imperium?

Arnulf schaut lange in sein Gesicht. Vielleicht ist Pippin doch nicht mein Mann, denkt er dabei. Aber er lächelt gönnerisch und legt väterlich seine kalte Hand auf Pippins Arm.

„Justinian herrschte damals im Osten, in Konstantinopel, seine Feldherrn führten erfolgreich Kriege hier im Westen, vernichteten die Ostgoten, drängten die Westgoten weiter zurück und besiegten auch die Vandalen. Hier gab es nur noch kleine Könige, keine römischen Kaiser mehr, das weißt du doch, oder?“

Pippin will auf keinen Fall als unwissend dastehen, das könnte ihm jetzt sehr schaden. Er nickt.

„Chlotars Vater, wird es wohl noch erlebt haben, denke ich.“

Bischof Arnulf schmunzelt und wiegt den Kopf hin und her. War das jetzt eine gute Antwort oder eher nicht? Pippin ist sich da gar nicht sicher. Aber er reckt sich jetzt, denn das kurze Gespräch hat etwas von dem Grauen weg gewischt, das ihn erfasst hatte. Durchatmen, keine Angst zeigen.

„Nun, Pippin, du bist mein Gefolgsmann, ich habe dir ein Gut kommendiert, du hast in Luxovium gute Arbeit geleistet und der König erwartet im Frühjahr eine weitere Glanzleistung von dir, in dem du uns diesen eitlen Römer nahe Cenabum aus dem Weg schaffst.“

Pippin versteht überhaupt nicht, was das alles mit dem hier zu tun haben soll. Doch zu fragen, traut er sich nicht.

„Da könnt ihr sicher sein, vollkommen“, erwidert Pippin mit wieder erstarkter Stimme. „Gut, gut. Das höre ich gern. Das ist auch der Grund, warum ich euch hier her geführt habe. Es ist mir wichtig, dass ihr seht, was unser strenger Gott mit uns macht, wenn wir nicht an ihn glauben und ihm nicht in allem dienen. Er kennt dann keine Gnade, zumal wir ja immer noch umgeben sind – hier und da zumindest – von ungläubigen Franken, geheimen Glaubensgruppen und unbelehrbaren Arianern. Vergesst also die Strafe nicht, die er über uns ausgießt, wenn wir ungehorsame Christen sind.“

„Ihr habt mich getauft, ich bin also Mitglied der Gemeinde der Christen und werde alles tun, dass Gott mit mir zufrieden ist.“

„Genau das wollte ich hören.“

Arnulf drückt mit seiner kalten Hand fest Pippins Arm, klopft ihm dann noch kurz auf die Schulter und wendet sich, ohne noch einen Blick in die Grube zu werfen, zurück zu den Pferden, wo Pippa immer noch zitternd steht und weint. Als Arnulf und Pippin näher kommen, wischt sie sich betroffen die Tränen aus dem Gesicht und blickt beschämt zu Boden. Doch die beiden Männer verlieren kein Wort, besteigen ihre Pferde und reiten einfach los. Pippa ist erleichtert und bedrückt zugleich. Hat sie versagt?

26 Jan

Leseprobe – Historischer Roman II Die fast schon vergessene Botschaft vom Glück Blatt 104

Ein unglaubliches Gespräch zwischen Göttern und Menschen

Sie waren zügig voran gekommen – trotz Sänfte, trotz Winter, trotz den unsicheren Zeiten. Somythall ist voller beflügelnder Bilder: Rochwyn, wie er sich sorgt und sorgt um sie; die Wolken und Wälder im Winter, wie sie sie wohlwollend zu begleiten scheinen. Ihre lautlose Kraft, ihre Beständigkeit und ihr Wandel. Das gleichbleibende Schwanken der Sänfte auf ihrem Marsch, die scheinbar nie erschöpften Sänftenträger. Es hatte nur etwas mehr als zwei Tage gedauert. Jetzt sind sie gut empfangen und untergebracht im hölzernen Gästehaus der Priesterinnen und alle ruhen sich aus.

Ihre Amme Bruniguld weicht nicht von ihrer Seite. Wenn sie Rast machten, erzählte sie Somythall immer wieder von den Priesterinnen: „Es sind unsere Vestalinnen!“ flüsterte sie verschwörerisch, und noch bevor Somythall überhaupt fragen konnte, wie sie das meine, legte sie ihren Zeigefinger auf die Lippen und sagte dann: „Herrin, du wirst sehen, warte nur!“

Sie soll mich nicht immer Herrin nennen, denkt Somythall; aber sie ist nicht davon abzubekommen. Jetzt ist es Zeit, hinauf zum Tempel der Göttin Atawima zu gehen. Rochwyn hatte ihr am frühen Nachmittag berichtet, was es alles über diesen breiten Hügel an Geschichten gab und gibt: Der Hügel sei ein Grab. Das Grab einer keltischen Prinzessin, die hier wie eine Göttin mit kostbaren Geschenken, ihrem Lieblingspferd, ihren Prachtkleidern bestattet worden sei. Vor mehreren hundert Jahren. Aus den kleinen Pfahlbauten der Wächter sei dann später eine Niederlassung von Priesterinnen der Isis geworden.

Isis?“ fragt Somythall hellhörig geworden.

Ja, als Gallien noch römische Provinz war, ist hier wohl mal eine Legion auf ihrem Weg nach Britannia vorbeigekommen und die hatten anscheinend viele Götterbilder mit dabei, unter anderem auch die von Sol, von Mithras und eben auch von Isis, mit ihrem Kind auf dem Schoß. Da sind dann welche hier hängen geblieben und haben einen geheimnisvollen Kult begründet. Man sagt, es sei eine Schlangengöttin, die hier nachts im Frühjahr erscheine. Atawima.“ Dabei schmunzelt Rochwyn. Er hatte sich nämlich in Luxovium nur unwissend gestellt, als sie ihn gefragt hatte, ob er sie begleiten wolle. Somythall spielt die empörte: „Du hast mich also betrogen!“ „Nein, ich wollte mich nur nicht vordrängen. Bruniguld hatte das ja schon für mich erledigt.“ Somythall ist sprachlos. So wunderbar umsorgt zu sein, tut ihr gut.

Jetzt, als sie kurz vor dem Hügelplateau schwer atmend angekommen sind, wird der weitere Weg beidseitig gesäumt von den Priesterinnen, die mit Fackeln da stehen und sich leicht verbeugen. Somythall kann es nicht glauben, denn alle haben auf ihren langen grauen Gewändern ein rötliches Zeichen aufgenäht, das sie aus ihrer Heimat kennt, aus den Erzählungen ihrer Großmutter: Ein Kreis, der auf einem Baum steht, mit zwei dicken Ästen quer darunter. Und dazu hatte ihre Großmutter immer eine Melodie gesummt. Altes Lied, sehr altes Lied, war alles, was sie dazu sagte, wenn Somythall sie danach fragte. „Wir Frauen sind die Wächterinnen einer frohen Botschaft, wir fühlen es einfach, wie Glück geschehen kann – wenn wir die Göttin nicht vergessen.“

Dann sind sie direkt vor dem Tempel, und diesen Augenblick wird sie nie, nie vergessen können. Ihr Blick fällt direkt durch das offene Tor ins Innere des Tempels, sie hat Weihrauch in der Nase und weit hinten, im schwachen Licht von Kerzen kann sie auch eine große Statue erkennen.

Oh, Göttin, mein Leben will ich…“ spricht Somythall lautlos in sich hinein; aber sie wird unterbrochen, es verschlägt ihr die Sprache, denn hinter dem Tempel, im fahlen Abendsonnenlicht ist der weite Himmel über und über mit tief hängenden schwarz-grauen Wolken verhängt, darunter noch ein dünner Streifen helleres Firmament; und jetzt fahren Blitze durch dieses düstere Gewölk, mehrere, und Somythall weiß, dass es die Göttin sein muss, die ihr diese großen hellen Zeichen sendet.

„Sie antwortet mir.“

Auch glaubt sie ein fernes Grollen zu vernehmen. Und das mitten im Winter. Sie verliert fast die Besinnung, sie muss sich fest am Arm von Bruniguld abstützen.

Herrin, ist dir nicht gut?“ fragt erschrocken die Amme. Aber Somythall schüttelt lächelnd den Kopf, lässt sich einfach in den Tempel geleiten, mit geschlossenen Augen, denn sie ist jetzt im Gespräch mit der Göttin, der Blitze schleudernden, der Schlangengöttin, der Lichtfrau:

Wenn du mich bis hierhin begleitet hast, dann wirst du sicher auch noch den Rest meiner Reise schützend verfolgen oder?“ fährt sie fort in ihrem Gebet. Jetzt wird der Geruch von Weihrauch über stark, ihr wird leicht übel, sie sinkt auf die Knie, streckt die Arme aus und legt sich auf den steinernen Boden, direkt vor dem Abbild der Göttin. Sie weiß nicht: „Ist mir heiß oder ist mir kalt?“ Bruniguld tuschelt besorgt mit Rochwyn: vielleicht war diese Reise doch zu viel für eine schwangere Frau. Aber Rochwyn beschwichtigt sie.

Und Somythall glaubt die Stimme ihrer Göttin zu hören, während hinter ihnen die Priesterinnen gerade eine Melodie zu summen beginnen, die ihr irgendwie bekannt vorkommt.

Sorge dich nicht, Somythall, ich halte meine Hand über dich. Vertraue den Deinen – sie werden auch deine Niederkunft helfend und rettend begleiten.“

Später, als Somythall ihre Augen aufschlägt, ist sie allein in ihrer Zelle, die ihr die Priesterinnen für ihren Aufenthalt zur Verfügung gestellt hatten. Wie ist sie hier hin gekommen? Was ist passiert? Eben noch hatte sie doch mit der Göttin gesprochen, sie hatte ihr sogar geantwortet, meint sie. Warme Decken hüllen sie ein, fahles Mondlicht fällt durch das kleine Oberlicht. Sie ist allein. Da fühlt sie wieder das Strampeln ihres Kindes in ihrem Bauch und kann vor Glück kaum still sein. Singen möchte sie, singen vor Glück.