11 Jan

Euopa – Mythos # 24

Europas erstes Kind: Wie soll es heißen?

Monate später. Die Gerüchte am Hof in Paito gehen genauso gemächlich wie die Wellen am nahen Strand. Der eine behauptet, Archaikos werde die Fremde zu seiner Hauptfrau machen, die gerade nuschelnd zerfallende Wellenkette scheint so etwas wie, ist doch eh alles egal, zu raunen, der andere weiß mal wieder nur aus bester Quelle, dass die Fremde gar nicht schwanger sei. Das sei bloß die üble Nachrede der wütenden Kriegsherrn vom anderen Ende der Insel. Der Minos von Kreta habe sie schwer beleidigt – beim letzten Empfang am Hof, als diese Fremde aus dem Land der Zedern angespült worden war. Er habe die zwielichtige Frau mehr beachtet als sie im Thronsaal, sei mit ihr sogar gemeinsam ins Innere des Palastes losgezogen. Das müsse man sich mal vorstellen. Wieder andere flüsterten in dunklen Ecken etwas von einer Zauberin: Sie habe ihn in ihrer Gewalt. Sie brauche ihn nur anzusehen und schon werde er schwach. Wenn das nicht Unheil für alle bedeutet! Sollte man sie nicht besser steinigen? Oder einfach auf ein Floß schnallen und ins Meer stoßen, auf nimmer Wiedersehen?

Die Berater des Minos von Kreta kommen gerade zusammen. Sie haben einen Auftrag bekommen. Sie sollen Archaikos einen Namen für das Kind vorschlagen. Also doch schwanger?! Also hat er sie doch zu seiner Hauptfrau gemacht? Also ist sie doch eine Zauberin? In den Gängen des Palastes herrscht aufgeregtes Schweigen. Niemand bekommt die Frau zu Gesicht. Seit Wochen, seit Monaten nun schon. Einer der Berater erzählt gerade seinen Kollegen, er habe in der letzten Nacht einen eigenartigen Traum gehabt: Ihm seien drei Männer erschienen, verschwitzt in einer düsteren Höhle, die hätten ununterbrochen auf ihn eingeredet, er habe sie aber nicht verstehen können. Ihre Stimmen waren zu leise, zu nuschelig. Nicht ein Wort, nicht ein Zeichen? Ja, vielleicht. Ja, was denn? Raus damit! Unerwartet tritt Archaikos ein.

„Nun? Habt ihr einen Namen? Wenn ich eure Gesichter so sehe, dann

weiß ich auch schon die Antwort!“

Die drei Berater schweigen betreten und nicken zögerlich. Da spricht der Minos von Kreta aber auch schon weiter:

„Was ich euch noch sagen wollte, euch Schlaumeiern: Ich hatte letzte

Nacht einen Traum, da erschienen mir drei Priester, hohe Priester sogar,

in einem dunklen Tempel und redeten zornig auf mich ein. Ich konnte

aber ihre Sprache nicht verstehen. Als ich sie das wissen lasse, lachen

sie ganz grässlich und mein Traum ist vorbei. Was könnte das zu bedeuten

haben?“

Als die drei das hören, sind sie fassungslos. Völlig verschreckt. Ängstlich blicken sie sich im Raum um, ob jemand ihnen zuschaut, ob jemand da ist, der die Träume erklären könnte, der Bescheid weiß. Oder der sie ihnen geschickt haben könnte?  Archaikos versteht die verstörten Gesichter seiner Berater nicht. Schließlich beginnt einer von ihnen zu erzählen. Leise und stotternd. Als er fertig ist, fühlt sich auch der Minos von Kreta, Archaikos, wie von einem unheimlichen Wind berührt, der sie alle schonungslos zu streifen scheint. Um das bleiern schwere Schweigen zu beenden, wagt sich schließlich einer der dreien vor und sagt etwas, von dem er selber nicht weiß, wie es ihm in den Sinn gekommen ist:

„Wenn es ein Sohn wird, sollte er den Namen Minos bekommen.“

Alle starren den Sprecher an. Seine beiden Kollegen, weil sie sich wundern. Das wüssten wie aber, wenn sie das beschlossen hätten. Sie sind wütend auf ihn. Dürfen es aber nicht zeigen. Zumal Archaikos‘ Miene sich aufhellt, als er auf das Gehörte antwortet:

„Minos? Was für ein kühner Gedanke! Minos. Das passt zu ihr.“

Und ohne weitere Reaktionen abzuwarten, verlässt er fluchtartig den Raum. Was dann unter den drei Beratern abgeht, das sollte besser dem Gebot der Verschwiegenheit unterliegen. Denn sonst müssten viele unschöne Sätze aneinander gereiht werden, die sowie so nichts mehr ändern können. Der Name steht fest. Minos.  Archaikos eilt gerade zu der Hochschwangeren. Als sie es hört, freut sie sich sehr. Alles wird gut, denkt sie.

05 Jan

Europa – die Mitte mal wieder zwischen allen Stühlen – verraten und verkauft ?!? (Meditation # 25)

Mitteleuropa – mal wieder zwischen allen Stühlen – verraten und verkauft?!?

In der SZ vom Dienstag (05-01-16) bringt es ein sehr behutsam formulierter Artikel von Martin Mosebach auf den Punkt: „UND ICH? …In Europa ist Deutschland das Land, das die Verbindung zu seiner Vergangenheit am vollständigsten gekappt hat. Es ist das modernste aller europäischen Länder. Der Fortschritt ist deutsch. Wer sich dem Rhythmus des Fortschritts nicht beugen will, der ist hier fehl am Platz.“

Als könnte man seine eigene Geschichte an der Garderobe abgeben und nackt den neuen Tanz des TTIP orgiastisch tanzen – bis zum Umfallen. Was als Redewendung einen besonders hohen Grad an Begeisterung meint, könnte in diesem Falle aber auch wörtlich zu nehmen sein: Es könnte der letzte Tanzschritt um das goldene Kalb des fortschreitenden Wirtschaftens sein, der sich jubelnd und kreischend nur noch um Konsum, mehr Konsum, mehr Schnäppchen, mehr Gewinn drehen wird, bis die Sinne schwinden, das eigene System sich einfach selbst abschaltet und auf Ohnmacht setzt. Das Erwachen könnte dann nicht nur der allseits bekannte Katzenjammer sein, sondern der Anfang vom Ende einer Geschichte, die auch ganz anders hätte laufen können, wäre man nur ein bisschen weniger bereitwillig der eigenen inneren Stimme gefolgt, die geduldig flüstert: „Langsam, langsam! Es genügt. Weniger ist wirklich mehr!“

Die Mitte ist das Anspruchsvollste, das Schwierigste – deshalb auch das Beste. Seit der Antike wohlbekannt, ein einfaches Axiom, scheinbar. Sich dahin aufzumachen, sollte allemal der Mühe wert sein. Denn die Extreme verzerren den Menschen nur zur Fratze oder zur Karikatur. Gibt es dafür in der individuellen wie in der sozialen Geschichte nicht genügend anschauliche Beispiele? Allein um diese wichtige Frage zu beantworten, täten die Mitteleuropäer gut daran, die Verbindung zu ihrer eigenen Vergangenheit nicht so leichtfertig zu kappen.

03 Jan

Europa – Verraten und verkauft ?!? (Meditation # 24)

Europa – verraten und verkauft?!? – Alles schon vergessen??

Als würde ein neues Mittelalter über Europa hereinbrechen, als hätte die Wiedergeburt der Antike in Renaissance und Aufklärung gar nicht stattgefunden, hätten Heraklit, Epikur, Lukrez und Seneca, Giordano Bruno, Montaigne, Kant, Schopenhauer und Nietzsche gar nichts geschrieben und gedacht über den Sinn des Lebens, die menschliche Seele und die zufällige Kollision der Atome im Kosmos mit all ihren unglaublichen Folgen für unser Bewusstsein und Gedächtnis!

Genau: Als würde ein neues Mittelalter über Europa hereinbrechen; denn ähnlich kopflos und in Panik leben viele in diesen Tagen vor sich hin. Ähnlich? Damals zogen die rechtgläubigen Christen im Namen ihres Gottes auch gegen Irrgläubige – im Süden Frankreichs und brachten alle um; auch Frauen, Kinder und Alte. Die das Schwert führten, erzeugten Angst und Schrecken, wo immer sie auftauchten – oft unerwartet und stets mordend, Christen alle.

Erst die Ideen der Aufklärung öffnete den unterdrückten Christen den Weg in Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit.

Verraten und verkauft – so scheinen in diesen Tagen die Sicherheiten und Gewissheiten der europäischen Kulturgeschichte.

Vergesslich, immer nur noch nach vorne blickend, hechelnd, jagend.

Aus der Bevormundung und der Unterdrückung der kirchlichen und weltlichen Herren flohen viele damals in die Neue Welt. Dort wollten sie ein neues, friedliches und gewaltfreies Jerusalem errichten – jenseits der Zwänge der Alten Welt. Sie nahmen zwar ihre Sprache, ihre Geschichten und Familien mit, vergaßen aber nach und nach den Zauber der europäischen Kultur und ersetzten ihn durch die scheinbare Zauberkraft einer neuen Idee: Sie seien von Gott bestimmt, die Neue Welt von Osten bis nach Westen in Besitz zu nehmen und den Völkern dort die Segnungen ihres Fortschrittsglaubens angedeihen zu lassen.

Die aber wollten solche Segnungen nicht. Die katholischen Spanier und Portugiesen im Süden und die protestantischen Engländer im Norden konnten das gar nicht verstehen. Wie starrköpfig sie doch waren, diese Indianer und Indios! Aber der christliche Gott der Europäer half, diesen Widerstand zu überwinden.

Bald schon schien ihnen ihr Erfolg Recht zu geben: Gott ließ es in den neuen Villen, Straßen und Eisenbahnlinien nur zu deutlich werden – sie waren ihrem Gott wohlgefällig, er zeichnete sie schon auf Erden aus. Mit Reichtum und Besitz, mit Einfluss und Vermögen.

Das Recht auf Glück schrieben sie sogar in ihrer Verfassung fest und natürlich auch die Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz. Was für ein Fortschritt und was für Chancen für alle, die bereit waren, anzufassen, sparsam hauszuhalten und solide zu wirtschaften!

Dabei gerieten allerdings die alten europäischen Werte mehr und mehr in den Hintergrund – fast schon wie verblassende Sagen und Märchen aus undenklichen Zeiten.

Verraten und verkauft, allesamt.

Stattdessen gewann ein neuer Glauben mehr und mehr Anhänger: Der selbst erwirtschaftete Erfolg, das bequeme Leben, mit Gütern im Überfluss. Eine endlos sich drehende Spirale in eine Zukunft von immer mehr Gütern, immer mehr Geld, immer mehr Waren – für alle. Ein Gott war nun wirklich nicht mehr vonnöten. Der neue Gott hieß: Der Mensch, der mit seinem vor Neugierde strotzenden Verstand immer neue Bereiche erobert, einebnet und sich unterwirft. Die Wissenschaften kannten auch bald keine Grenzen mehr – genau wie im Zeitalter der Frontier.

Und wir Europäer?

Wir riefen sie zu Hilfe! Die halfen gerne -natürlich nicht ganz selbstlos und die Umstellung von Kriegswirtschaft auf Friedenswirtschaft in der ehemaligen Neuen Welt  klappte nach 1945 ausgezeichnet. Bewies nicht auch das wieder, dass der neue Glaube richtig war?

Seit den Weltkriegen im letzten Jahrtausend scheinen wir nun nur noch damit beschäftigt zu sein, unseren Freunden aus der Neuen Welt – unseren ehemaligen Brüdern und Schwestern – nachzueifern, und huldigen auch dem Gott der Zahlen. In alten Erzählungen war einmal die Rede vom goldenen Kalb gewesen, um das alle wie berauscht getanzt hatten – Tag und Nacht. Was für ein rührendes Bild! Natürlich längst vergessen. Altes ist längst völlig wertlos geworden, ein Ballast, sonst nichts. Wir Europäer machen doch ein glänzendes Geschäft dabei: Altes gegen Neues zu tauschen. Möglichst noch als Schnäppchen!