12 Jan

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 73

Ein neues Fest – Archaikos berichtet dem Rat der Alten

Ein ziemlich unfreundliches Raunen geht durch die Reihen der alten Räte, als der Minos von Kreta den Ratsraum betritt. Archaikos spürt förmlich ihre zornigen Blicke auf seine Haut auftreffen wie brennende Pfeile. Er atmet tief durch. Ihr könnt mich nicht umstimmen, ihr räudigen Hunde, ihr, denkt Archaikos, als er jetzt freundlich grüßend durch die Reihen geht und vorne auf dem Thron des Minos gelassen Platz nimmt.

Nach und nach verebbt das Raunen. Es wird still im Saal. Die tanzenden Delfine im Rücken des Minos scheinen nichts zu spüren von der schlechten Laune, die in der Luft zu wabern scheint. Wie übler Rauch, der aus feuchtem Holz aufsteigt, das einfach nicht richtig brennen will. Archaikos lässt sie einfach warten. Er schweigt lange. Schließlich beginnt er langsam und leise zu sprechen:

Ich habe euch heute hierher rufen lassen, weil ich euch von einem Traum berichten muss, den unsere große Göttin in letzter Nacht mir zugesandt hat.“

Die Spannung steigt. Gerne würde Archaikos jetzt die Texte, die gerade durch die Köpfe seiner Zuhörer geistern, an die Wand geschrieben sehen. Die Mienen der alten Räte werden nur noch finsterer. Natürlich werden sie längst wissen, wer ihn in dieser Nacht besucht hat. Hinter vor gehaltener Hand wurde ingrimmig getuschelt. Da ist er sich ganz sicher.

Archaikos macht eine lange Pause. Dann fährt er fort:

Das Frühlingsfest soll in einem großen Tanz zu Ehren der Göttin gefeiert werden.“

Der Minos hat den Satz kaum beendet, da gellt ein Zwischenruf durch den kalten Raum: „Und der Umzug? Soll der Umzug einfach ausfallen?“

Es war Maenothys gewesen, der Hitzkopf und Todfeind des Minos, der losgebellt hatte. Archaikos lächelt, schüttelt den Kopf und antwortet dann dem Frager gelassen und leise:

Nein, mein werter Rat Maenothys, natürlich wird auch der Umzug wie eh und je stattfinden. Der Tanz wird abends dann den Festtag abschließen. So will es die Göttin.“

Alle drehen sich nun zu Maenothys um. Keiner will dessen Reaktion verpassen. Im Innern tobt eine Wut, die nur im schnaubenden Atmen zu ahnen ist, im Gesicht versucht Maenothys aber Erleichterung zu heucheln.

Alles weitere wird euch die Hohepriesterin, Chandaraissa, bei ihrem nächsten Tempelbericht vortragen.“

Erleichterung – oder ist es Enttäuschung – macht sich breit. Man tuschelt aufgeregt. Archaikos lässt sich wieder viel Zeit. Er genießt den Augenblick.

Gibt es noch weitere Fragen?“

Sofort tritt völlige Stille ein. Keine Fragen.

Geht doch, denkt Archaikos zufrieden, als er aufsteht und gelassen den Ratsraum verlässt.

11 Jan

Europa – Meditation # 126

Europa – Im Irrgarten der selbst erfundenen Geschichten – Teil II

Die Selbstentfremdung nimmt allmählich Fahrt auf. Und die Einsamkeit der Großen beginnt sich schleichend auch auf die Kleinen zu übertragen. Die Apparate sind inzwischen fast überall dabei: Am Arbeitsplatz, in der Küche, in der Schule, in den Kirchen, auf Rastplätzen und Friedhöfen – und natürlich versorgen wir das sogenannte Weltall nicht nur mit unserem Müll (wie die Meere), sondern natürlich auch mit unseren einfachen Geräten, die außer 0 und 1 wenig zu bieten haben in ihren metallenen, kalten Hüllen.

Wie einst die Entdecker machen wir uns wieder vermessend auf die Reise (wir meinen ja zufrieden sagen zu können, dass auf der Erde kaum mehr etwas zu entdecken sei), diesmal möchten wir gerne den „Rest vor der Tür“ ordentlich vermessen, damit uns nichts mehr fremd sei.

Als wäre uns unsere Welt und wir uns selbst inzwischen vertraut geworden!

Stolz schauen wir uns die Bilder an, die unsere Sonde New Horizons von der Ferne ins Haus schickt (wie bei der Paketsendung können wir genau verfolgen, wie lange die Bildreise dauert – wie beruhigend, wir haben alles unter Kontrolle).

In manchen Journalen kann man sogar lesen: Nun sei uns sogar die Reise bis ans Ende des uns bekannten Weltalls geglückt. Das muss man sich erst einmal auf der Zunge zergehen lassen. So kartieren wir fleißig weiter und halten das Aufgezeichnete für das, was es bitte schön auch zu sein habe.

Hier vor Ort – damit uns doch nicht noch unheimlich wird angesichts der Tiefe des „Raums“, dessen Entstehung wir mit dem hübschen Wort „Urknall“ zu umschreiben wir uns angewöhnt haben – hier machen wir weiter wie gehabt: Was für eine schöne Ablenkung, was für ein Trost!

Unterhaltung auf allen Kanälen, Tag und Nacht,

Klagen über die Kapriolen des Wetters (was hatte man nicht schon gewettert über fehlenden Schnee und alles, was damit zusammenhängt: die vielen Arbeitsplätze, die rostenden Lifte, die Leerstände in wunderbaren Berghotels etc.!), Klagen über Hochwasser als Zugabe frei Haus in Kürze,

Klagen und Empörung über die Verrohung von Sprache und Alltag

und natürlich über die Unpünktlichkeit von Flugzeugen und Zügen!

Aber jedem halbwegs sensiblen Zeitgenossen wird inzwischen deutlich, dass den Machern von Banken, Politik, Wirtschaft und Militär nicht nur der bewährte Sinn abhanden zu kommen droht, sondern ihnen auch keine Medizin einzufallen scheint, wie Abhilfe – Not wendende – zu schaffen wäre.

So möge der Zeitgenosse die Dinge selbst in die Hand nehmen!

Aus der scheinbar ausweglosen (hier böte sich natürlich auch mal wieder das probate Wörtchen „alternativlos“ an) Krise gibt es nämlich auch immer den Weg, den man selbst bewusst als Ausweg wählen will.

Eine aufregende, verlebendigende und erfrischende Perspektive.

Verschieben gilt nicht – am besten gleich mit dem Nachbarn beklönen.

Dann sind es schon zwei…

04 Jan

Fabeln – Neue Serie 2019 – Leseprobe # 1

Fabeln aus dem Tal, in dem Carlorosso, der Zauberer, wohnt.

Die alten Bäume stehen staunend, summend und sich leise wiegend um die kleine Lichtung herum. Zwei wuschlig-braune Eichhörnchen schauen vorwitzig zu und kichern ordentlich drauf los. Wedeln kühn und zuckig mit ihren buschigen Schwanzwedeln hin und her, dass den fleißigen Bienen und stürmischen Libellen ganz schwindlig wird – so flirrt und sirrt die Luft dabei.

Carlorosso, der Zauberer, und Bluntlflugl, sein Freund, schauen voller Neugierde auf das bunte Vogelteppichmuster. Neben ihrem Picknickkorb hatten die großen und kleinen Vögel mit ihrem prächtig bunten Gefieder – wie gewünscht – ein Bild in die Wiese gezaubert:

Es ist ein Zirkuszelt, ein bunt gestreiftes Zirkuszelt!“

Die beiden zappelnden Eichhörnchen hören es da oben auch.

Hä? Ein Birkenfeld?“

Ratlos schauen sich die beiden an. Da fliegt kurzerhand Bluntlflugel zu ihnen hoch und wispert leise über ihnen auf der Stelle flatternd:

Ein Zirkuszelt, ein Zirkuszelt!“

Ach so“, lachen die beiden Eichhörnchen, „gibt es da auch eine Elefantennummer?“ Hihihi….

Buntlflugl versteht gar nicht, warum die beiden so lachen.

Hey, wo bleibst du denn?“ ruft von unten Carlorosso seinem Freund hoch.

Tschiwi-diwi-tschum – und schon ist der Schmetterling im Sturzflug zurück.

Von da oben sieht das Zirkuszelt noch viel schöner und größer aus!“ meint Bluntlflugl ganz begeistert.

Da schwirren die Vögel aber bereits wieder durch die Luft. Sie wollen schon das nächste Bild in die Wiese zaubern. Aber da kommt etwas Unerwartetes dazwischen.

Ein stolzer Hirsch tritt auf die Lichtung. Alles hält den Atem an. „Was ist denn hier los? Und wer bist denn du, kleiner Mann?“

Carlorosso weiß zuerst gar nicht, was er sagen soll. Er hat nämlich noch nie so ein großes Tier mit so einem riesigen Geäst auf dem Kopf gesehen.

Langsam kommt der Hirsch stolz und mit breiter Brust näher und näher, er wird dabei größer und größer.

Vorsicht! Bitte, tritt nicht auf unseren Picknickkorb, bitte!“ ruft Carlorosso sorgenvoll. Da neigt Härmänknörr – so heißt nämlich der Hirsch – bedächtig sein schweres Haupt und sieht all die Köstlichkeiten. Das Wasser läuft ihm gleich becherweise im Mund zusammen. Und schnapp-la-wapp-la-apflabaff – schnappt der sich einen verlockend rotbäckigen Apfel.

He, du! Kannst du nicht fragen, wenigstens oder so?“

Auch Bluntlflugl ist ganz aufgebracht und flattert huschi-wuschi-weidelei in steilen Kurven rauf und runter, rauf und runter – husch-di- wusch.

Härmänknörr aber dreht sich einfach bräsig um und stakst steif davon. Doch da hat er Carlorosso, den Zauberer, aber bös verkannt. Der ballt rucki-zucki seine kleinen Fäustchen und zischt seinen Zauberspruch gleich hinterher:

Hokuspokus, Carlósimus, dreimal bunter Vater… aus dem saftigen Apfel wird ein riesen Kater!“

Da erschrickt Härmänknörr aber heftigst. Lässt seine zappelnde Beute sabbernd sofort fallen und läuft in den grinsenden Wald hinein. Die alten Bäume stehen da, als würden sie heimlich Beifall klatschen: bravi-bravo-carlissimo…

Hegadom, der schwarze Kater, faucht böse hinter dem diebischen Hirsch her und macht einen großen, gefährlichen Buckel dazu:-fauch-mauz-bauz-zerkratz dich auch…!

Die vergnügten Vögel, die aus den Wipfeln der alten, lachenden Bäume alles genau beobachtet hatten, klatschen piepend und heftig mit ihren Flügeln schlagend Beifall:

Bravo, Bravo, Carlorosso! Der wird so schnell nicht wiederkommen!“

Der kleine Zauberer freut sich auch. Lachend streckt er beide Arme aus, seine dunklen Augen strahlen voller Glück und sein Freund, der Schmetterling, landet übermütig auf seiner kleinen Nase.

Und was machen wir nun?“ fragt Carlorosso zufrieden mit seinen Zauberstücken.

Ich hätte jetzt eine Idee!“ wispert Bluntlflugl. „Du musst aber raten.“

Ich?“ Carlorosso, der Zauberer, weiß sich aber gleich zu helfen. Wenn man schon ein Zauberer ist!

Schnell ballt er wieder seine kleinen Fäustchen (so dass Bluntlflugl es nicht sieht) und sagt schnell und leise nur für sich:

Hokuspokus, Carlósimus, dreimal bunter Vater … nach dem Kater bin ich der Rater!“

Und schon weiß er es.

Tschiridi-tschiridö – zwei Elstern fliegen streitend über die kleine Lichtung, machen einen Heidenlärm dabei. Hegadom, der Kater, der noch gar nicht weiß, wo er eigentlich ist, huscht verschreckt davon und : „knurr-durr-murr-durr-haut ja ab!“ hüpft er hastig in den schützenden Wald hinein.

Ich mache mich am besten erst einmal aus dem Staub – muss nachdenken, was hier eigentlich los ist. Was für ein Theater wird da auf der Lichtung gespielt, warum läuft der blöde Hirsch sabbernd davon, was soll das Gekreisch der nervigen Elstern? So viele Fragen – da könnte er glatt Kopfschmerzen bekommen, denkt Hegadom. Und weg ist er. Vorerst!

Und da rutschen auf einmal alle aus der Lichtung – wie von Zauberhand geschubst – einen langen Sandstrand hinunter:

Das Meer, das Meer!“ jubelt Carlorosso.

Juchhu, wir sind am Meer“, stimmt auch Bluntlflugl ein. Aber eigentlich schmollt er jetzt ein bisschen. Es war doch seine Idee gewesen. Wieso konnte Carlorosso es so – mir nichts, dir nichts – erraten?

Aber da – schuwu – duwu – schwibbelschaum – passiert es auch schon…