29 Feb

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 93

Chandaraissa und Europa werden auf geheimnisvolle Weise gerettet.

Die drei Männer – eben noch mit einem Anschlagsplan unterwegs – werden von den drei göttlichen Brüdern kurzerhand umgedreht: Als erster Beweis dafür, dass sie dem Minos von Kreta treue Palastwächter sein wollen, sollen sie gleich eine Gelegenheit dazu erhalten. Zeus hatte nämlich gerade bemerkt, dass seine beiden Feindinnen, diese Hohepriesterin und die Phönizierin, gerade aufgebrochen waren, um zum Tempel ihrer Göttin zurückzukehren. Nervös tuschelt er mit seinen beiden Brüdern, um sie einzuweisen. Woltónos, Thórtys und Nemetos zittern vor Angst. Worin könnte der Beweis bestehen? Da gibt ihnen einer der drei Wächter ein Zeichen. Sie sollen in die nächste Gasse einbiegen. Schon laufen sie los. Die drei Götter hinterher. Jetzt sollen sie sich in einer Hausnische verstecken. Die drei Brüder tun es ebenso. Sie schauen angestrengt die Gasse hinauf. Es dämmert bereits. Nur eine streunende Katze schleicht vorbei. Mit steil hoch gestrecktem Schwanz. Ob sie die Nähe der Götter spürt? Dann sehen sie zwei Frauengestalten sich nähern.

Die sind gerade dem Zugriff der Wachen entflohen, sie wollten den Minos umbringen!“

Woltónos glaubt, sich verhört zu haben. Zwei Frauen? Die da? Das wollte doch er mit seinen beiden Helfern erledigen. Ratlos schauen sich die drei an. Vielleicht träumen sie die Szene ja bloß, vielleicht…Da aber raunt der Wächter, der ihnen gerade flüsternd diese Neuigkeit eingeträufelt hatte, erneut:

Lasst sie nicht lebend davon kommen. Es sind nur Frauen, und außerdem böse Frauen!“

Dabei glauben sie Blitze durch seine Augen fahren zu sehen. Ihnen wird eiskalt, sie zittern. Aber was bleibt ihnen übrig? Sie stehen mit dem Rücken an der Wand. Es gibt kein Zurück. Jetzt sind die beiden Gestalten schon ganz nahe. Jetzt müssen sie los. Jetzt müssen sie töten. Sie wissen es. Doch da erkennen sie hinter den beiden Frauen so etwas wie eine schwarz umhüllte Gestalt, die lautlos mit beiden Armen fuchtelt, so dass plötzlich eine große Staubwolke die Gasse verschluckt.

Statt loszuschlagen halten sich Woltónos, Thórtys und Nemetos die Hände vors Gesicht. Sand in den Augen, in den Nasen, in den Mündern. Sie sehen gar nichts mehr. Der Wind, der durch die Gasse heult, schluckt jeden anderen Ton. So hören sie auch nicht, wie die drei Götter hinter ihnen heftig zu fluchen beginnen. Und die Gestalt, die eben noch hinter den Frauen zu sehen war, ist – wie die beiden Frauen auch – wie weggewischt.

Chandaraissa und Europa fühlen sich im plötzlichen Sandsturm in einen Innenhof gedrängt, stolpern weiter, bis sie auf der anderen Seite des Innenhofes wieder eine Tür finden, durch die sie davon laufen. Was ist da gerade passiert? Europa, aber auch Chandaraissa, haben das Gefühl, gerade einem göttlichen Machtkampf entkommen zu sein. Aber wer war es?

28 Feb

Europa – Meditation # 181

 

Die Zeit der Schuldzuweisungen hat Konjunktur.

Mit Fingern wird zur Zeit auf die Schuldigen gezeigt: Sie haben entweder zu spät oder zu wenig oder sogar gar nicht reagiert. Und die Kläger waschen ihre Hände in Unschuld – landauf, landab, europaweit (vom Rest der Welt wollen wir vornehm schweigen!)

Sie hätten nämlich alles besser gemacht, eher gewusst und immer schon unnachsichtig hingeschaut; aber da haben die Verantwortlichen ja stets abgewunken, verständnisvoll genickt und geschmunzelt (Schau sie dir doch an: Wie sie eifern, wie sie geifern, wie sie Speichel spuken!): „Euer Eifer in Ehren, aber wir haben alles unter Kontrolle, wir haben Notfallpläne in den Schubläden und üben immer wieder den ‚worst case‘ !“

Und nun das! Die anschwellenden Angstwellen lassen viele die Vernunft im Kleiderschrank hängen und stecken andere gerne mit ihrer Angst ordentlich an. Dabei sind die Vorgänge – tödliche Anschläge gegen solche, die man als fremd stigmatisiert hat, wütende Tiraden gegen solche, die man als inkompetent disqualifiziert. (Im politischen Feld genauso, wie im medizinischen.) – als angstmachende Vorgänge doch allzu offensichtlich.

Dabei könnten wir hier in Europa gerade hautnah und grundsätzlich erleben, wie sehr unser Glaube an Wissenschaft, an Vorhersagen, an Genauigkeit (Tabellen, Statistiken etc.) eben auch nur ein Glaube ist, der in der Not unsere existentielle Unsicherheit und Ratlosigkeit bloßlegt, weil wir hartnäckig auf ein Pferd setzen, das sich jeder Dressur nachhaltig widersetzt. Wir wollen es nur nicht wahrhaben.

Angesichts eines denkbaren und vorgezogenen Todes erweisen sich die soliden Schubladen unserer Denkmuster und Verfahren als das, was sie sind: Wolkige Wunschprogramme, die bei Schönwetter ja auch zu funktionieren scheinen, in der wirklichen Krise allerdings zusammenfallen wie kleingärtnerische Kartenhäuser bei der ersten besten Brise. Krise also.

Sie kann aber auch ihr Gutes haben: Die Europäer rücken näher zueinander, helfen sich bedenkenlos, reißen das Trennende ein und erleben, dass wir alle enger miteinander verwandt sind, als kulturelle Unterschiede es für möglich halten.

Der Fremde in uns meldet sich zurück – wir hatten ihn nur aus Bequemlichkeit und Unsicherheit auf andere, schwächere projiziert.

25 Feb

Europa – Meditation # 180

Zuhause entstehen die Prägungen fürs Leben.

Europa hätte fast seinen Kompass verloren – wären da nicht Onkel Trump und Vetter Johnson. Es muss wohl erst nachhaltig ans Eingemachte gehen, bevor wir bereit sind zuzugeben, aufs falsche Pferd gesetzt zu haben. Das gilt im Kleinen wie im Großen. Die Großmäuler entblöden sich eben nicht, ihre Fassaden als Fassaden vor sich herzuschieben. So kann auch der Dickhäutigste überzeugt werden: Es wird gelogen und betrogen, dass sich die Balken biegen. Da sind keine Gemeinsamkeiten mehr – jenseits von Kaufverträgen – nur noch das Schachern in die eigene Tasche. Und wir Europäer glaubten doch wirklich, Amerika sei das Land der unbegrenzten Möglichkeiten und wir in Europa seien einfach nur eingesperrt in unseren eigenen kulturellen Fesseln, die wir „nur“ abzulegen hätten, um teilzuhaben an dieser frohen Botschaft aus Übersee. Die Briten – die Inseleuropäer im Westen – laufen ihrem Rattenfänger hechelnd hinterher, weil er neue Größe verspricht: Was die Amerikaner können, konnten wir schon vorher. Das Empire lässt sich zurückgewinnen, wenn wir uns nur aus den Fesseln der EU befreien! Am Ende dieses Lockrufes wird ein Kater warten, der die Frustrierten vielleicht noch weiter in die Hände noch radikalerer Rattenfänger treiben wird.

Da sei Rest-Europa vor! Besinnen wir uns auf die eigenen Grundsätze, wie friedliches und gedeihliches Zusammenleben verwandter Völker eines Kontinents gelingen kann: Schaffen wir in den Familien wieder ein Klima des Forderns und Förderns und nicht mehr nur des Abgrenzens gegen die anderen, die Hinzugekommenen, gegen das hohle Loblied des Verwöhnens und das uferlose Nachgeben. Denn sonst werden solche Kinder wenig Respekt und Wertschätzung lernen – im Kindergarten und später in der Schule werden sie eigensinnige Respektlosigkeit und mangelnde Wertschätzung im Kleinen üben und verbessern, bis es ihnen zur zweiten Haut geworden ist. Erwachsen können dann solche Prägungen fatale Kurzschlüsse herbeiführen: Der kleine Mann in seinem großen Auto fühlt sich plötzlich mächtig, stark, berechtigt, eigenen Frust über das Gaspedal auszuleben. Er fühlt sich ermächtigt, uneinsichtige Frauen zu bedrohen, zu schlagen, zu überfahren. Er glaubt dann sogar, dass innere Stimmen ihm sagen, in der feindlichen Welt selber unnachsichtiger Richter über Leben und Tod spielen zu müssen, um dem eigenen Fremdsein etwas Starkes entgegen zu setzen.

Zuhause – im Schutz der eigenen vier Wände und so unbemerkt für die Umgebung – werden dem kleinen Kind die Prägungen wieder und wieder eingeprägt, dass es nicht der Vater oder die Mutter sind, die etwas falsch machen, die Angst den eigenen Kindern aufbürden, sondern dass es die anderen draußen sind, die schuld am Elend der eigenen Familie sind.

Wer die Frage für das Explodieren von Gewalt im öffentlichen Raum stellt, sollte also nicht nur nach einem stärkeren Staat rufen, sondern sich genauso an die eigene Nase fassen, denn die Familie ist meistens der Anfang der Gewaltgeschichte, der wir später oft so ratlos gegenüber stehen.