28 Feb

Europa – Meditation # 181

 

Die Zeit der Schuldzuweisungen hat Konjunktur.

Mit Fingern wird zur Zeit auf die Schuldigen gezeigt: Sie haben entweder zu spät oder zu wenig oder sogar gar nicht reagiert. Und die Kläger waschen ihre Hände in Unschuld – landauf, landab, europaweit (vom Rest der Welt wollen wir vornehm schweigen!)

Sie hätten nämlich alles besser gemacht, eher gewusst und immer schon unnachsichtig hingeschaut; aber da haben die Verantwortlichen ja stets abgewunken, verständnisvoll genickt und geschmunzelt (Schau sie dir doch an: Wie sie eifern, wie sie geifern, wie sie Speichel spuken!): „Euer Eifer in Ehren, aber wir haben alles unter Kontrolle, wir haben Notfallpläne in den Schubläden und üben immer wieder den ‚worst case‘ !“

Und nun das! Die anschwellenden Angstwellen lassen viele die Vernunft im Kleiderschrank hängen und stecken andere gerne mit ihrer Angst ordentlich an. Dabei sind die Vorgänge – tödliche Anschläge gegen solche, die man als fremd stigmatisiert hat, wütende Tiraden gegen solche, die man als inkompetent disqualifiziert. (Im politischen Feld genauso, wie im medizinischen.) – als angstmachende Vorgänge doch allzu offensichtlich.

Dabei könnten wir hier in Europa gerade hautnah und grundsätzlich erleben, wie sehr unser Glaube an Wissenschaft, an Vorhersagen, an Genauigkeit (Tabellen, Statistiken etc.) eben auch nur ein Glaube ist, der in der Not unsere existentielle Unsicherheit und Ratlosigkeit bloßlegt, weil wir hartnäckig auf ein Pferd setzen, das sich jeder Dressur nachhaltig widersetzt. Wir wollen es nur nicht wahrhaben.

Angesichts eines denkbaren und vorgezogenen Todes erweisen sich die soliden Schubladen unserer Denkmuster und Verfahren als das, was sie sind: Wolkige Wunschprogramme, die bei Schönwetter ja auch zu funktionieren scheinen, in der wirklichen Krise allerdings zusammenfallen wie kleingärtnerische Kartenhäuser bei der ersten besten Brise. Krise also.

Sie kann aber auch ihr Gutes haben: Die Europäer rücken näher zueinander, helfen sich bedenkenlos, reißen das Trennende ein und erleben, dass wir alle enger miteinander verwandt sind, als kulturelle Unterschiede es für möglich halten.

Der Fremde in uns meldet sich zurück – wir hatten ihn nur aus Bequemlichkeit und Unsicherheit auf andere, schwächere projiziert.

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