18 Aug

Europa – Meditation # 212

Frohe Botschaften jenseits der Apokalypse.

Europa hat nach dem qualitativen Sprung in die Moderne, der Renaissance, dummerweise nur noch auf Qantitäten gesetzt: Weiter, mehr, höher, größer, wohlhabender…zwar schön verpackt in die frohe Botschaft vom freien Individuum, das sich nun endlich selbst verwirklichen könne, aber es blieb doch nur Hochglanzverpackung. Später kam dann noch der Glitzer-Sticker: AUFKLÄRUNG hinzu, der den homo sapiens allerding völlig blind machte für seine natürliche Rolle in der Natur.

Jetzt – angesichts der Rechnung, die den Europäern und eben nicht nur ihnen präsentiert wird – scheint guter Rat teuer. Der Glaube an wirtschaftliches Wachstum, das nur dem Mantra von „immer mehr brauchen als man braucht“ gehorcht, bekommt dramatische Risse. Denn die Kosten steigen und steigen, die Resourcen aber nicht. Und durch das bloße Wiederholung in der Werbung fallen eben doch keine Wunder vom Himmel, wachsen auch keine neuen Bäume mehr in denselben. Es werden nach wie vor sowieso zu viele abgeholzt oder abgebrannt. Mit den entsprechenden Kosten für alle auf diesem Planeten.

Jetzt – angesichts der Pandämie, die den Europäern und eben nicht nur ihnen ins Haus steht – meldet sich Frau Angst zu Wort. Und wozu rät sie? Same procedure as every year. Auch möchte man die lieb gewonnenen Gewohnheiten weltweiten Reisens und Feierns auf keinen Fall missen. Also Augen zu und durch? Die anstehende Apokalypse bekämpfen mit ihren eigenen Mitteln?

Nein.

Denn längst haben sich kleine und große Archipele von immunisierten Zeitgenossen gebildet, die keine Lust mehr haben auf die Zahlenakrobatik der Börsianer, die verzweifelt beteuern, die Kurve gehe wieder nach oben – und wie! Direkt durch die Decke, ganz sicher! Auf diesen großen und kleinen Inseln – nicht der Seligen, sondern der Besorgten – wachsen völlig andere Zukunftsvisionen. Man erkennt sich wieder als Teil des großen Schauspiels, das da heißt: Das Wissen, das wir haben, hilft uns, die Welt und alle Wesen darauf besser zu verstehen – als Verwandte, Vernetzte, Versorgte. So vieles wurde leichtfertig über Bord geworfen, als hätten wir es nicht nötig, stets sich selbst vor allem als Teil des Ganzen zu sehen, das sich so wunderbar ergänzt, vervielfältigt und verheilt.

Eine neue Ruhe kehrt ein. Die Hektik und die Terminhysterie laufen so ins Leere. Obsolet. Und durch die digitale Vernetzung können sich die Bewohner solcher aus dem stinkenden Meer der verfehlten Wirtschaftsform der letzten dreihundert Jahre neu entstandenen Archipele miteinander vertraut werden.

So viele Projekte, so viele Chancen. Weltweit.

Der Epoche der heiligen Quantitas laufen die Gläubigen davon.

Die Natur bietet jedem, der guten Willens ist, einen klaren Blick auf ihre Qualitäten. Dazu bedarf es keiner Privilegien, dazu bedarf es nur der Neugierde. Und die Natur lügt nicht und lässt sich auch nicht belügen.

18 Aug

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 105

Kurzschlüsse der drei Götterbrüder. Teil I

Natürlich bleibt Zeus und seinen beiden Brüdern nichts von dem verborgen, was die Menschenkinder so treiben. Dass die drei Brüder Europas – Kilix, Kadmos und Phoinix – ihre Suche nach der Schwester in drei Richtungen treiben, gefällt ihnen sehr. Sie werden jedem der drei Brüder ein schönes Verwirrspiel inszenieren. Darauf freuen sie sie schon. Außerdem können die drei Götter – Zeus, Hades und Poseidon – so untereinander ordentlich rivalisieren: Wem wird die klügste Irreführung gelingen, wer wird die besten Ablenkungsmanöver erzählen können, wenn sie sich wieder auf Kreta treffen? Zeus hat da ja noch eine ziemliche Rechnung offen. Und das auch noch mit einer Frau! Dieser allzu stolzen Europa. Hybris. Die wird sie unbedingt zu Fall bringen. Das haben die Götter den Menschen schon immer vor Augen geführt.

„Nun, meine Lieben, wer will denn wohin von euch?“ fragt Zeus bestens gelaunt. Hades und Poseidon schauen sich grinsend an.

„Nach dir, mein Lieber, nach dir!“ säuseln sie fast gleichzeitig.

„Freunde, so kommen wir nicht weiter! Lasst mich also mal machen: Hades, du reist nach Delos zum Orakel und sagst diesem eingebildeten Kadmos, wie er den Orakelspruch zu verstehen hat. Und du Poseidon, du widmest dich diesem Kilix, den du doch sowieso nicht leiden kannst, und ich mache eine Kurzbesuch in Theben und werde dafür sorgen, dass der dritte im Bund, Phoinix, seine Reise an den Nil nie vergessen wird!“

Großes Gelächter hallt durch die hohe Halle auf dem Olymp. Die drei umarmen sich zufrieden und machen sich auch gleich auf den Weg. Nichts wie weg, bevor wieder diese vorlaute und dreimal kluge Athene, Zeus Lieblingstochter, aufkreuzt und peinliche Fragen stellt.

So viele Menschen hier im Hafen, denkt Kilix, als er über die vielen hölzernen Krane, die vielen Lastkähne, die vielen Amphoren, die vielen Stände blickt. Was tun?

„Eindrucksvolle Szene oder?“ erschrocken dreht sich Kilix zur Seite. Unbemerkt hat sich ein Fremder neben ihm aufgebaut, der ihn nun freundlich anlächelt.

„Kann man wohl sagen. So etwas habe ich noch nie gesehen.“

„Wo kommst du denn her?“

„Phönizien, mein Vater…“ Kilix wundert sich über sich selbst, dass er so locker die Fragen des Fremden beantwortet. Poseidon aber lässt ihn gar nicht erst ausreden:

„Kenn ich, kenn ich. Die Tochter des Königs dort, Europa, soll sich ja hier in Athen aufhalten…“

„Wirklich? Wo denn?“ Kilix kann es noch gar nicht fassen. Gleichzeitig erzählen die beiden Brüder von Poseidon den beiden anderen Brüdern von Kilix jeweils ein anderes hübsches Ammenmärchen, wo Europa sich gerade versteckt. Lauter billige Lügen erzählen die Götterbrüder, bloß lauter Lügen.

15 Aug

Europa – Meditation # 211

Die Geschichten werden immer kürzer, leerer, falscher…

Erschöpfung macht sich breit im alten Europa. Die großen Tiere, die sich gerade anschicken, auf der Weltbühne das Sagen zu übernehmen, kennen kein Mitleid. Wer zu spät kommt, den betraft das Leben. Ein eher ausgeleierter Spruch aus der Medienküche.

Am Anfang kam der Schrecken. Dann das sprachlose Entsetzen. Und als es endlich vorbei schien, meldete sich bescheiden die Angst zu Wort: Sie möchte bleiben und wird es wohl auch. Und mit ihr die Ratgeber, wie wir wieder aus der Not heraus kommen können.

Und während die Europäer gekränkt in ihrem Schmerz baden – schließlich ist doch die gesamte Moderne ein Kind Europas, sagt die vorwitzige Nabelschau vor sich hin brabbelnd – wachsen die großen Datensammler jenseits des Atlantiks und im Fernen Osten so schnell, dass es keiner Meldung mehr wert scheint.

Die Zeit der großen Narrative ist wohl zur Zeit nicht mehr en vogue. Dafür umso mehr die Zeit der kleinen Peaks: Mal eine Explosion im Libanon, mal eine Prise Wirecard, Infantino darf natürlich auch nicht fehlen, selbst der Trampel aus dem weißen Haus beginnt zu langweilen mit seiner öden Lügenlitanei, und die alten Autobauer hecheln weiter den Herausforderungen eines naturnahen Zukunftsgefährts ratlos und hektisch Wind machend hinterher.

Auch die Kirchen verstehen die Welt nicht mehr!

Dabei ist das Bedürfnis nach mehr als nur Konsumieren und vor dem Spiegel oder dem Monitor Pseudo-Weihrauch anzuzünden, nicht zu überhören: Wenn Jahrhunderte lang gepflegte Sinnangebote – von der Kanzel euphorisch in vielen Sprachen und Bildern verkündet – abhanden kommen, ist in der Tat guter Rat teuer.

Das wissen Fernsehpriester und andere Gesundbeter wohl zu nutzen. Und die Besucherzahlen scheinen ihnen ja Recht zu geben.

Aber immer wieder erweisen sich die hochpreisigen Idole als hohle Fassadenkletterer, deren Vorführungen wie schlaffe Luftballons am Gewitterhimmel zerplatzen.

So werden die kleinen Kreise – europaweit – zu den letzten Zufluchtsorten menschlicher Glücksmomente. Eigentlich waren sie es ja sowieso schon immer. Nur wurde erst das Jungvolk, dann auch die Oldies von virtuellen Angeboten überschwemmt, Tag und Nacht, in Dauerschleife sozusagen. Das aber macht müde. Denn Staffeln zu Ende anzuschauen, das dauert eben. Und was bleibt? Schlafmangel, Enttäuschung, Leere.

Aber die großen von vor der Pandemie möchten gerne wieder alles zurück haben auf Anfang, auf steile Kursfahrten an der Börse, auf Gewinne. Dabei schien doch für einen Moment in der Schreckphase alles möglich, alles endlich anders zu machen. Langsamer, naturbelassener, kleiner, ehrlicher, einfach humaner.

Die Europäer sollten die Gunst der Stunde nutzen – im Windschatten der arroganten Gewinnler – umzusteigen auf den Glauben an den Traum jenseits hegemonialer Zerstörungsszenarien. Dann könnte vielleicht doch noch eine Zukunft nach Anthropozän samt Kapitalän aus der Asche wachsen.