25 Nov

Europa – Meditation # 235

Blick aus dem Fernen Osten auf Europa.

Die an ihrem eigenen Selbstbewusstsein fast erstickten Europäer pflegten die restliche Welt eher von oben herab zu betrachten und zu bewerten. Schließlich hatte man ja den Globus von Europa her aufgerollt, durchforscht und „zivilisiert“. So steht es jedenfalls in vielen Geschichtsbüchern der Europäer.

Aber hatte nicht schon der bedeutende Religionswissenschaftler Klaus Heinrich kritisch angemerkt, als sich nach dem Ersten Weltkrieg die Europäer schaudernd über den „Verfall der Kultur in der Brutalität der Schützengräben beklagten“ dass „die Menschheit gar nicht so tief gefallen sei, wie es ihr schien, das sie nicht so hoch gestiegen sei, wie sie geglaubt hatte.“

Die Europäer hatten Stolz und Vorurteil blind gemacht für die große Gewaltbereitschaft, die inmitten ihres humanitären Eifers schlummerte und immer wieder weltweit bestürzend blutig ausbrach.

Inzwischen gerät Europa allerdings an den Rand des Weltgeschehens, als Vorbild scheint es nicht mehr zu taugen.

Schauen doch gerade die asiatischen Völker zur Zeit kopfschüttelnd auf die Europäer, die trotz ihres wissenschaftlichen Potentials Corona nicht in den Griff bekommen. In Vietnam, Südkorea, Japan, Singapur und China haben die radikalen Vorsichtsmaßnahmen nachhaltig gegriffen, weil die den Gemeinschaften aufgebürdeten Einschränkungen solidarisch eingehalten wurden. Die Wirkung ließ nicht lange auf sich warten.

Was ist mit den cleveren Europäern denn eigentlich los, fragen sie sich befremdet.

Eine offensichtliche Erklärung liegt dabei in Europa auf der Hand:

Während des Wiederaufbaus Europas nach dem Zweiten Weltkrieg blühte ein Gemeinschaftsgeist, der noch ganz unter dem Schock der Gräuel des sechsjährigen Krieges stand. Gegenseitige Hilfe, Rücksichtnahme, Bescheidenheit und Verständnis für die Schwäche der anderen ließen ein optimistisches Handeln und Fühlen wachsen, das dem Frieden verpflichtet war. Schleichend wurde dieses Lebensgefühl aber überformt von den neuen „Werten“ der Konkurrenz, des Egoismus und Materialismus, des Mehr und Schneller“, die nur eine Wirklichkeit zu akzeptieren bereit waren: Das eigene Ego so zu verwöhnen, dass es sich Tag und Nacht baden konnte in Bequemlichkeit und Anspruchsdenken. Vom Kindergarten bis ins Altenheim hat dieser Virus alle angesteckt und krank gemacht. Jetzt fehlen die Kräfte, um gemeinsam Corona in seine Schranken zu weisen.

„Ich will mein Ding machen, das Corona-Thema sollen gefälligst die Profis erledigen. Also komm mir nicht mit Einschränkungen, klar?!“

Die asiatischen Völker schauen auf Europa: Schaut auf uns, wir machen es euch vor, es ist ganz einfach! Aber die Europäer, besserwisserisch wie eh und je, wenden sich arrogant ab und zahlen so völlig überhöht die Zeche.

23 Nov

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 108

Die drei göttlichen Brüder – drei schlichte Blender.

Heiter und vergnügt treffen sich die drei göttlichen Brüder diesmal auf der Insel der meerschaumgeborenen Aphrodite, um sich gegenseitig zu erzählen, wie sie die drei Brüder der Europa hinters Licht geführt haben.

„Hatten wir nicht Kreta gesagt, als Treffpunkt?“ fragt bestens gelaunt Hades seinen Bruder Zeus.

„Hatten wir das?“ Zeus mimt den unwissenden. Dabei hatte er es einfach vergessen. Peinlich aber auch. Bräuchte Tochter Athene an meiner Seite, die hat ja ein unglaubliches Gedächtnis. Dabei fällt ihm ein, dass sie neulich so am Rande bemerkt hatte, vielleicht den drei Brüdern der Europa helfen zu wollen, ihre Schwester wieder zu finden.

„Was guckst du so bedrückt, Bruder?!“ kommt ihm Poseidon zu Hilfe.

„Ist doch egal, ich jedenfalls hatte großen Spaß mit Kilix in Piräus. Habe ihm tatsächlich weiß machen können, Europa sei auf dem Weg nach Olympia, um dort zu opfern. Da läuft der jetzt sicher ratlos herum und keiner weiß ihm zu helfen. Ist das nicht witzig?“

Poseidon schickt ein schallendes Gelächter hinterher, Zeus klopft ihm anerkennend auf die Schulter. Lacht. Dann schaut er zu Hades.

„Und du? Wie ist es bei dir gelaufen?“

„Bei mir? Großartig. Ich hab mich als Orakeldeuter angeboten und Kadmos weiß gemacht, er müsse Europa an der Küste Afrikas suchen, dort sei sie gestrandet und der, der sie entführt habe, sei ertrunken. Sie nun völlig allein. Da hättet ihr den sehen sollen. Hals über Kopf aufs nächste Schiff und nichts wie auf nach Afrika!“

Das schallende Gelächter der drei Lügenbolde aus dem Olymp war so heftig, dass sie vor lauter Husten kaum noch zu Atem kamen. Schließlich – mit Tränen in den Augen – prustete Poseidon los:

„Hey, Bruder, und wie ist es bei dir Am Nil gelaufen?“

Zeus hatte natürlich mit dieser Frage gerechnet und sich eine blumige Lüge zurecht gelegt – schließlich konnte er ja wohl kaum zugeben, dass dieser Lump von Phoinix ihm einen Bären aufgebunden hatte:

„Eine meiner leichtesten Übungen, wirklich. Ich hab ihm weiß gemacht, dass Europa Nil abwärts Richtung Sidon unterwegs sei, sie plane, den eigenen Vater vom Thron zu jagen! Da hättet ihr das Gesicht von Phoinix sehen müssen. Das reinste Entsetzen!“

Und wieder können die drei vor Lachen kaum Luft bekommen. Dann eine eher unangenehme Stille. Jeder hofft, dass natürlich seine Lügengeschichte gut ankommt.

Und während die drei göttlichen Brüder selbstgefällig ins Abendrot blinzeln, die drei Brüder Europas so schnell wie möglich nach Sidon zurück eilen – Mission misslungen – braut sich hinter dem Rücken von Zeus, Poseidon und Hades weiteres Ungemach zusammen: Ihr allzu lautes Lachen hatte Athene gehört. Nun eilt sie neugierig auf die Erde, um den Grund für das Gelächter herauszufinden.

18 Nov

Europa – Meditation # 234

Nach dem Frust ist vor dem Frust.

Europäer reisen gerne durch Europa, in alle Himmelsrichtungen, zu allen Jahreszeiten. Im Zeitalter der Pandemie schrumpfen die Reiseziele allerdings zu kleinen Ausflügen in Gegenden, die man bisher übersehen hatte. Warum denn in die Ferne reisen?

„Willst du immer weiter schweifen,

sieh, das Gute liegt so nah,

lerne nur das Glück ergreifen,

denn das Glück ist immer da.“

Lassen wir in Europa also einmal die Dauerschleifenberichterstattung über das Rumpelstilzchen und wundern uns stattdessen über eine Reise von Sportlern ins ferne Spanien. Denn so lernten auch sie nicht, das Glück zu ergreifen.

Eine Truppe junger Männer reiste nach Sevilla. Sie kamen aus Deutschland und trafen dort auf eine Truppe spanischer Männer. Man wollte sich messen, wer wohl besser den Ball ins gegnerische Tor zu schießen weiß. Beide Teams kennen sich aus vielen Vergleichen früherer Jahre, beide traten an, dass sie als Sieger vom Felde ziehen würden.

Im Vorfeld liefen die Medien heiß: In vielfältigen Sprachbildern wurde Siegesgewissheit an die Wand gemalt, die junge Elf aus Deutschland sei in einem erfreulichen Aufwärtstrend, man erhoffte sich einen spannenden Schlagabtausch, gar vom Gruppensieg war die Rede.

Nur eines war anders gegenüber früheren Treffen: Das riesige Stadion von Sevilla würde leichenstill da liegen, denn wegen der Pandemie ist zur Zeit jedes Publikum gesundheitshalber ausgesperrt. So auch in Sevilla. Wie tönten da früher die Ole-Rufe in den Arenen, wie glückselig sang man seine Mannschaft in den Olymp. Ein überschäumendes Lärmen, Singen, Trommeln und Klatschen, pausenlos. Ein wahrer Orkan. Demgegenüber wirkte jetzt das Spiel auf dem Feld wie ein lautloses Ballett kundiger Balltänzer, hin und her, vor und zurück, neunzig lange Minuten.

Und so war es denn auch: Das große Stadion, menschenleer, stumm, und unten laufen zweiundzwanzig junge Männer auf, die ohne dieses rauschende Stimmenfest auskommen müssen. Ungewohnt. Aber man ist ja seiner Sache kundig, hat Erfahrung, weiß Bescheid.

Dann mal los. Da ahnte noch niemand, was für ein Tondonnerwetter statt der vertrauten Geräuschkulisse durch das Stadion fegen würde. Pausenlos. Unerbittlich. Laut und fauchig.

Schon nach ein paar Minuten fällt das erste Tor. Die jungen Spanier schreien sich in Rage. Und jedes Mal, wenn sie am Ball sind, schwillt das Geschrei Unheil kündend an, auch vom Rand her brüllen harte Tongebilde über den Platz. Den jungen Deutschen wird es bang ums Herz. Solch ein ununterbrochenes Toben schlägt ihnen auf den Magen, macht die Beine schwer. Die spanischen Sprachgebilde wirken wohl wie eine anschwellende Wut- und Fauchorgie. Das schmerzt nicht nur in den Ohren. Auch das Echo in der riesigen Arena drückt den Gegner weiter in die Knie. Die sind längst weich wie Butter. Und jedes Mal – es wird von Mal zu Mal sowieso weniger – wenn die Deutschen zufällig an den Ball kommen, wird das Kriegsgeschrei noch lauter, aggressiver, böser. Als könnten sie so den Ball verhexen.

Und sie tun es auch. Eingeschüchtert verstummen die angereisten jungen Leute, sie verlässt aller Mut, die Angst nimmt sich ihrer dankbar an und lähmt sie bis in die demütigende Niederlage hinein. Dann ist es wieder still.

(Erinnert das nicht an die Kriegsgesänge der Neuseeländischen Mannschaft vor dem Spiel – ein Einschüchterungsprogramm erster Klasse.?)

Wenn jetzt der Übungsleiter gescholten wird, haben die Medien nichts verstanden. Lieber einen Mann vorführen, als die Seelenlage der Spieler beschreiben müssen. Deren Rückreise – weit von einander entfernt zusammengesunken in einer tosenden Metallröhre hockend – wird sicher wie eine Befreiung gewesen sein: Endlich wieder Ruhe, endlich raus aus diesem Hexenkessel. Aber kein Wort darüber. Klar.