05 Jan

Europa – Meditation # 244

Ein europäischer Dramatiker spricht Klartext.

Wir müssen wirklich nicht das Rad neu erfinden,

Wir müssen wirklich nicht meinen, das Sahnehäubchen zu sein,

Wir müssen wirklich nicht lange suchen, um genügend Stimmen zu finden, die uns – gerade in diesen düsteren und dystopischen Tagen – wie in einem Spiegel unseren kulturellen und historischen Hochmut zu zerbröseln, wie allzu süßer Zuckerguss.

Einer von den Künstlern in Europa, die zufällig relativ in der Mitte zuhause waren – wie Beethoven, Heine oder eben Dürrenmatt – hat zeitlebens kein Blatt vor den Mund genommen, wenn es um die Selbstsicherheit und Selbstüberheblichkeit der Europäer ging.

Dürrenmatt. Vor 100 Jahren geboren.

Da wir ja zur Zeit eine heftige Breitseite von der Natur ertragen und abfedern müssen, könnte eine Zitat von Dürrenmatt vielleicht zu denken geben, zumal wir genügend Zeit haben, einen Text bewusst und nicht nur quer zu lesen.

„Die Natur, so stur sie ist, wird die Dummheit, Primaten zu schaffen, kaum wiederholen.“

Das Lachen bleibt einem hoffentlich ordentlich im Halse stecken, uns herum hampelnden und humpelnden Primaten, die sich so viele Wörter erfunden haben, um sich und das, was sie sinnlich wahrnehmen, zu einem etwas Vertrauten, Verfügbaren, ja sogar Beherrschbaren zu machen, – als wären es nicht willkürliche Kopfgeburten, die nur gut klingen. Und wenn man sie oft genug wiederholt, auch für „wahr“ halten wird.

Zufällig überfällt uns gerade ein Virus und schon geraten wir ins Schleudern. Unsere Geschichten, unsere altbekannten Deutungen von Welt, Mensch und Natur: Zufällige Vereinbarungen zu zufälligen Vorgängen von zufälligen Primaten? Schauen wir zur Zeit nicht ziemlich ratlos aus der europäischen Wäsche? Narziss lässt grüßen?

Wäre es da nicht der rechte Augenblick, solchen Bildern „Welten entgegenzusetzen“, in denen sich die hoch entwickelten Primaten trauen, kreativ – als Künstler also – von sich und dem mutwillig Statuierten Abschied zu nehmen, wohl wissend, dass auch das neue Kunstwerk, das unser Hirn mit uns dabei erdenkt, wieder bloß eine probeweise Weltsicht darstellen wird, probeweise begehbar, probeweise austauschbar, aber nie wie ein Estrich, auf dem man prachtvolle Hölzer aufklebt, die vergessen machen sollen, dass es lediglich eine neu erdachte Welt ist?

Mutig hält man sich an den Händen fest, damit man nicht verloren geht, aber auch, damit man nicht im Selbstgespräch versinkt und zufrieden vor sich hin dämmert und brubbelt– den alten Dummheiten neue überstülpt. In uns widerspricht ja niemand.

Memento mori!

„Die Natur, so stur sie ist, wird die Dummheit, Primaten zu schaffen, kaum wiederholen.“

04 Jan

Europa – Meditation # 243

Der Neinsager und der Jasager. (Forts.)

R (Rufer in der Wüste) – Zum Beispiel die leeren Stadien, was sagen die dir?

Z (Zeitgenosse) – Dass es Zeit wird, dass wir da wieder hin können.

R – Die vielen, vielen Menschen, die seit Monaten da nicht mehr waren, was haben die denn stattdessen so getrieben?

Z – Blöde Frage. Die haben sich die Spiele eben zu Hause angeschaut.

R – Macht aber gar keinen Spaß. Es sind nämlich gar nicht die Ballwechsel, die entscheidend sind, sondern die Kommentare neben, hinter, unter ihnen, die sie vollmundig kontern. Schließlich ist man selbst ja der Profi.

Z – Und dann in der Halbzeit! Was da alles abgeht!

R – Genau. Im Theater und in den Konzertsälen ist es doch genauso: Man will quatschen, will gesehen werden, will flirten, will strunzen.

Z – Schon übel, dass das jetzt alles wegfällt.

R – Wir sind eben Wesen, die den anderen brauchen. Erst durch dessen Kommentar sehen wir uns selbst bestätigt in dem, was wir glauben. Und das läuft nur in der wirklichen Wirklichkeit ab, nur da.

Z – Aber der Lockdown schmelzt diese Erfahrung fast auf null – oder?

R – Und damit wären wir da, wo es echt interessant wird: Was lernen wir daraus?

Z – Dein Oberlehrerton kannst du dir sonst wo hin schmieren, echt.

R – Gerade werden unsere neugierigen Kinder voll digitalisiert, damit sie weiter lernen können.

Z – Und? Findest du das etwa nicht gut?

R – Meine alte Rede dazu: Ertragreiches lernen findet nur in der persönlichen Begegnung zwischen Lernendem und Lehrendem statt.

Z – Alte Leier. Bald werden wir diese Berufsgruppe nur noch als technische Assistenten brauchen, die die soft-ware am Laufen halten.

R – Das mag schon sein. Nur werden die digital Lernenden bloß noch ihren Kurzzeitgedächtnis-Speicher bedienen – so für ein paar Minuten, maximal – also müssen sie am Tropf bleiben, weil der nämlich „weiß“, was sie nicht mehr in ihr Langzeitgedächtnis rüber reichen können.

Z – Dein Pessimismus nervt.

R – Dann werden wir noch größere Stadien und Säle nötig haben, um den gelangweilten Nicht-Wissern eine Erholungspause vom PC-Lernen als Dope zu spritzen.

Z – Und was ist deine Message?

R – In kleinen Gruppen die Welt kennenlernen, gemeinsam darüber reden; und KI lassen wir die Ernährung der Weltbevölkerung optimieren und gerecht verteilen und regional anbauen. Es ist nämlich mehr als genug da, niemand müsste hungern und alle können lesen und schreiben lernen und…

Z – Träum weiter, echt!