04 Feb

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 112

Wie die Tochter dem Vater die Leviten liest. (1. Teil)

„Hallo, Athene, liebes Töchterchen, als führe Helios mit seinem Feuerwagen über den Olymp!“ Er streckt mit strahlender Miene seine Arme aus, die beiden Brüder schauen verlegen ins Nirgendwohin.

Zeus ist mächtig stolz auf sich, dass er trotz des Schreckens, der ihm durch die Glieder fuhr, als seine Tochter so völlig unvermittelt vor ihnen steht, zu solch einem blumigen Bild als Begrüßung fähig war. Athene lächelt eher gequält. Sie kennt ihren Vater, weiß um seine doppelten Böden. Sie wird doch nicht etwas gelauscht haben?

„Schön gesagt, Papa, aber das beantwortet meine Frage nicht!“

„Deine Frage? Welche Frage?“

Seine beiden Brüder verdrehen die Augen, räuspern sich vernehmlich, rutschen auf ihren weichen Kissen verlegen hin und her, nippen nervös an ihrem Nektar und Ambrosia.

Athene antwortet auf seine Fragen nicht. Sie wartet einfach, zieht die Augenbrauen hoch.

„Ach so“, während Zeus anfängt zu sprechen, weiß er noch gar nicht, was er sagen soll, „ach so, ja, ja, wir drei halten gerade Kriegsrat.“

„Kriegsrat in der Bar auf dem Olymp? Also wirklich, Papa, für wie dumm hältst du mich eigentlich?“

Zeus kann den etwas schärferen Ton in der Stimme seiner Tochter nicht überhören, er muss sofort für gute Stimmung sorgen. Sofort.

„Aber Athene! Wir hatten einfach Durst, schließlich liegt die Bar ja direkt hinter dem Beratungssaal, da ist es doch naheliegend, kurz hier…“

„Ja, ja. In Ordnung. Dann will ich dir mal etwas erzählen.“ Sie lehnt sich lässig an eine Säule und legt los:

„Ich komme gerade von Kreta“. Dabei beobachtet sie die drei Brüder genau und sieht natürlich auch, wie die bedeutende Blicke wechseln. Wespennest, denkt sie, Volltreffer.

„Soll ja eine schöne Insel sein“, steuert nun Poseidon auch mal etwas bei, natürlich nur um seinen Bruder aus der Schusslinie zu bekommen.

„Stimmt, Onkel Poseidon. Aber es gibt dort auch eine Hohepriesterin im Tempel der…“

Sofort unterbricht sie ihr Vater, er will nichts davon hören:

„Tochter, wir müssen wirklich wichtige Dinge besprechen, weil…“

Athene lässt ihn nicht ausreden:

„und diese Priesterin, Chandaraissa, betreut nicht nur eine vielversprechende Schar von jungen Nachwuchspriesterinnen, sondern auch eine fremde Frau, Europa, die als Flüchtling dort untergekommen ist und die demnächst den Minos von Kreta, Archaikos, heiraten wird, wie du sicher weißt – oder? Ich finde übrigens, sie ist eine sehr selbstbewusste und schöne Frau.“

Die drei Brüder ein Dreigestirn in aschfahler Blässe, jetzt.

01 Feb

Europa – Meditation # 251

Brandbeschleuniger unterwegs?

Wenn wir Europäer uns mit unserer Geschichte befassen, dann benutzen wir immer wieder Bilder und Narrative aus der Antike, vor allem der römischen.

Viel Bücher befassen sich schon seit langem mit der Frage: Wie konnte solch ein gut funktionierendes System überhaupt zusammenbrechen und was waren die Faktoren?

Wir späteren haben „natürlich“ schwerwiegende Argumente parat, um die eine oder andere These als ziemlich glaubwürdig weiter zu erzählen.

Dabei steht im Mittelpunkt fast regelmäßig der Begriff der „K R I S E“ , der gesellschaftlichen, militärischen, philosophischen, ökonomischen und natürlich der Migranten, gemeinhin als „Völkerwanderung“ bezeichnet. Aber sie dauerte, die Krise. Im Innern sollen es wohl die Eliten gewesen sein, die nicht mehr die althergebrachte Moral der Vorväter im Augen hatten, sondern nur Genuss, Geld und exzessive Feste, Eliten, deren Besitzungen – von Sklaven bestellt – so große waren, dass sie im heutigen Maßstabe Nationen wären. Die auch körperliche Ertüchtigung und Bildung lieber in spektakulären Inszenierungen – panem et circenses – passiv genossen, als selbst ihren Kindern vorzuleben. So wie heute die osteuropäischen Schwarzgeld-Nannys und Krankenpfleger die Kernarbeit für die wohlhabenden und gestressten Westeuropäer erledigen, so taten es damals vor allem die gebildeten Sklaven aus Griechenland und Kleinasien oder Nordafrika. Und die Legionen rekrutierten sich mehr und mehr aus Ausländern, die im römischen Heer Karriere machen durften. Also war es im Innern der geistige Verfall, die Dekadenz, also etwas nicht wirklich Greifbares, Sichtbares, das den Boden für den eigenen Untergang bereitet haben soll, und im Äußeren – sehr sichtbar und militärisch präsent – die fremden Soldempfänger, die kein Latein sprachen, von Griechisch ganz zu schweigen, die nie etwas von Vitruv und seinen Büchern zur Architektur und Mörtelvarianten gehört hatten usw.

Heute scheint es eher umgekehrt: Die Äußere Bedrohung ist völlig unsichtbar, aber massenhaft unterwegs – fast wie ein Tsunami – und überspült die innere Substanz europäischer Kultur und Identität. Sichtbar in der ungerechten Vermögensverteilung, in der Chancenungleichheit der nachwachsenden Generationen, in den explodierenden Größtunternehmen, die über alle wichtigen Daten der kleinen Leute verfügen, die nicht mehr wissen, wie sie die nächsten Monaten finanziell überleben sollen, alles sehr sichtbar, offensichtlich, aber wie naturgegeben hingenommen, von denen, die es trifft. Die Kultur der sogenannten Post-Moderne stellt sich dar als ein nicht mehr zu überbietendes Fest der wenigen im Angesicht der vielen, denen der Sinn europäischer Kulturgeschichte vollkommen abhanden gekommen ist und die nun aus Angst vor dem unbekannten Äußeren, das ihnen überall aufzulauern scheint und wie ein Brandbeschleuniger wirkt, das kaputt machen wollen, was sie kaputt macht, und die nun bereit sind, das Auslaufmodell Europa ad acta zu legen. Auch ohne eine klare Perspektive. Wer so mit dem Rücken an der existentiellen Wand steht, dem helfen eben keine frommen Beteuerungen mehr, der ist einfach bereit sich zu verabschieden. Er hat ja sowieso nichts zu verlieren.

Wie wird das Narrativ aussehen, das künftige?

Angesichts der Klimakatastrophe, der Verschwendung von Steuergeldern für neue Atomwaffen- und -kraftwerke, der Zerstörung der Regenwälder und der Ozeane zielt ein neues Narrativ sicher gerne auf eine endgültige Abschaffung eines kulturellen Irrtums der Europäer, das zu viele erbärmlich hinter sich zurücklässt und den Strahlebegriff Demokratie als riesigen Betrug entlarvt, den man schnellstens hinter sich lassen sollte.

Gerade in den Familien mit Kindern, die mit digitalen Plastikbrosamen abgespeist werden, und in den schrägen Hallräumen von Single-Apartments wächst die Verzweiflung, die Wut, die sich nicht mehr lange wird besänftigen lassen mit Netflix und Tip-kik-Fußball, für den die Profis auch noch horrende Summe abkassieren dürfen.