13 Feb

Europa – Meditation # 253

Die virtuelle Unterhaltung taugt nicht auf lange Sicht.

Spiele und Filme gibt es jede Menge, garniert mit Nachrichtensendungen, die fast nur noch ein Thema kennen: Zahlen, Zahlen, Zahlen am besten als bunte Zeichnung statistischer Werte. Das Auge parkt sie inzwischen bereits einfach unter dem Stichwort: Papierkorb.

Tag und Nacht kann der freie Weltbürger sich in der Wolke bedienen, so auch mit seiner liebsten Sportart – in Mitteleuropa Fußball und Handball vor allem. Der Zuschauer ist jetzt ein virtueller Zuschauer, denn im Stadion ist nichts zu sehen als gähnende Leere und beängstigende Stille auf den Rängen und auf dem Platz schreien sich die Spieler ihre Tipps zu, genauso wie die Trainer vom Rande. Das klingt ziemlich schräg, wenig Ohren tauglich, fast bizarr. Es erinnert mitnichten an den Gesang und die Trommelbegleitung der Fanblöcke. Das Spiel wird doch für die Zuschauer inszeniert!

Und was soll das sein, was sich da nun schon seit Monaten auf dem Monitor als buntes Pixel-Format anbiedert? Nein, das ist wahrlich nicht das, was „Mann“ und mehr und mehr auch „Frau“ so liebte an diesem wöchentlichen Sportereignis: Die Atmosphäre, das Fachsimpeln, das Fahnen Schwenken, die Gesänge, die vertraute Nachbarschaft auf den Rängen, das Bier in der Pause und der so erbärmlich verschossene Elfmeter!

Der ausgesperrte Zuschauer gerät mehr und mehr ins Grübeln? Was machen die da eigentlich auf dem Spielfeld? Geld verdienen, sonst nichts. Ihre Verträge erfüllen, sonst nichts. Jetzt wollen sie auch noch, damit sie auch weiter ihre Verträge erfüllen können, vorzeitig geimpft werden und verbrämen es mit einem geradezu zynischen Argument: Vorbild-Charakter!

Da können doch nur alle, die zur Zeit kein Geld verdienen dürfen oder die bereits zu alt sind zum Geld verdienen, höhnisch lachen. Wie bitte? Vorbilder? Da kommen einem ja glatt die Tränen. Die wollen doch nur im Geschäft bleiben und ihren Wiederverkaufswert steigern, während Theater, Kneipen und Klamottenläden (um nur ein paar wenige Bereiche aufzuzählen!) nicht nur keinen Wert mehr anhäufen können, sondern längst mit dem Rücken an der Wand da stehen oder sogar noch schlimmer.

Dem unwilligen Zuschauer vor der Glotze ist nämlich allmählich wirklich zum Kotzen zumute. Ohne Zuschauer im Stadion ist es nicht das, wofür Leute wie Messi oder Ronaldo so märchenhaft opulent bezahlt werden, es ist eine Null-Nummer. Das sollte nicht so weiter gehen! Da köchelt nämlich eine zunehmende Wut unter dem Deckel des Lock-downs, den man nicht unterschätzen sollte: Wenn panem et circenses schon immer dazu dienten, die kleinen Leute ruhig zu stellen, dann ist es nun mit der Ruhe vorbei. Der sonst lustvoll Abgelenkte fängt an über diese Leer-Veranstaltung nachzudenken – er hat ja jetzt sogar jede Menge Zeit dafür – und könnte sehr wohl zum dem Schluss kommen, genug ist genug von dieser Art. Es erfüllt seine Aufgabe nicht schlecht und recht, sondern gar nicht mehr. Ein Soli für die Zuschauer wäre doch das mindeste jetzt und zwar nicht vom Staat, sondern von den Akteuren. Wie sollen die denn sonst in Zeiten von Corona ihre Bezüge ausgeben – oder?

09 Feb

Leseprobe zu neuen Geschichten à la Boccaccio

Die Freunde wollen die Zeit in der Isolation mit Geschichten Erzählen überbrücken – damals wie heute rücken sie zusammen.

Die dritte Geschichte – erzählt von Makarìa, der Königin des Tages.

Am nächsten Tag – sie sind alle noch voller Hingabe in ihrer Tag-Traum-Welt vom Vortag unterwegs, denn dort gelten ja nicht die kleinlichen Spielregeln von Zeit und Raum – treffen sie sich wieder auf der Lichtung des kleinen Hains im Park. Umgeben von sanften Hängen, auf denen stolz schlanke Pinien nach oben streben, machen sie es sich bequem, um auf eine neue Reise in unerforschte Gegenden ihrer Seelen aufzubrechen.

Heute ist Makaría die Königin des Tages. Sie sitzt an einen alten Kirschbaum gelehnt in der Mitte der Lichtung, strahlt liebevoll ihre Freundinnen und Freunde an und gibt Panfilo ein Zeichen mit der Hand anzufangen. Der aber zögert. Sie versteht ihn auch ohne Worte. Allein sein Blick sagt ihr alles. So fängt sie also selber an zu sprechen:

„Meine lieben Freunde“. Wie von Zauberhand geht ein leises Beben durch die Runde, denn ihre weiche, tiefe Stimme trifft in allen eine Bilderwelt, die gleich zu glitzern, zu schimmern, zu strahlen beginnt. Warm, weich und wohlig schön. Frei und ungezügelt lassen sie ihren Gefühlen jede Freiheit, die sie wollen. Frei und ungezügelt kreisen in ihrem Innern wunderbare Sehnsüchte in bunten, wallenden Kleidern und Kostümen, die sich begierig drehen, tanzend schwingen und nach und nach entkleiden, abfallen wie duftende Puderwölkchen, als wären sie fleischgewordene Atemzüge, als könnten sie jede Verwandlung selbst gestalten, vogelleicht und rotkehlchenlustig. Und Makaría spürt, wie die träumende Runde nach mehr, nach noch mehr fleht und hofft. Das tut ihr so gut. So beginnen auch in ihr sonst unvorstellbare Wünsche Gestalt anzunehmen, nehmen sie mit, um frei und ungezügelt jenseits jeder Schwere leicht und heiter zu kreisen, als wäre alles möglich, alles da, was sie sich tagträumend wünscht. Was wollte sie eigentlich erzählen? Was wollte Panfilo hören? Eben noch meinte sie es genau zu wissen, da war es aber schon davongeflogen. Selbst die Frage fällt ihr nicht mehr ein. Auch dass sie alle vor der Pest hierhin aufs Land geflohen sind, dass sie hier erzählend gegen die Zeit anrennen wollen, dass sie jetzt mehr als früher das Leben in voller Blüte leben wollen, frei und ungezügelt, all das ist ihr jetzt nicht mehr Wunsch oder Zukunft, sondern wirklich da: Wie in einem Zauberkreis wandelt sie leichtfüßig auf moosweichem Boden und lässt sich von prallem Abenteuer zu prallem Abenteuer treiben als wäre es ein Traum. Sie ist sich aber sicher – und ihren Freunden geht es genauso, das spürt sie unbedingt – dass alles, was sie gerade atmend fühlt und fühlend ahnt, ganz durch sie hindurch strömt frei und grenzenlos. Wörter werden zu Figuren, Figuren zu Welten zwischen Sonne, Mond und Sternen und sie selbst auf atemlosen Flug durch unbekannte Gefühle, das warm pochende Blut in den Ader wie ein mächtiger Strom, der jede Klippe überspült wie ein Kinderspiel grenzenlos und frei. Schon immer.

06 Feb

Europa – Meditation # 252

Der eitle Tanz Europas auf dem Stier und kein Ende?

Was für ein symbolträchtiges Tier lassen Broker gerne vor ihrem Arbeitsplatz aufstellen?

Richtig. Den Stier.

Überwältigende Kraft, Dynamik und Unerschrockenheit sollen so signalisiert werden. Weltweit. Pilgerstätte ist die vielsagende „Mauerstraße“ – auf englisch: Wall Street . Und hinter diesen Mauern wird gerne und viel gemauschelt und getrickst. Immer geht es um Zahlen, hinter denen hoffentlich opulente Profite winken. Ein altbekanntes Spiel, das unabhängig von der politischen Tagesform Tag und Nacht „on fire“ ist.

Das war zu Zeiten von Obama genauso wie zu denen von Trump und jetzt auch wieder zu Bidens Zeit. Nur das Vokabular hatte sich hin und her bewegt, nicht aber der Zweck: Größer, mehr, beherrschender.

Warum also das demonstrative Aufatmen in Europa jetzt?

Unter dem wortreichen Gebaren von „alter Freundschaft, alten Partnern, alter Verlässlichkeit“ verbirgt sich nichts anderes, als doch bitte wieder teilhaben zu dürfen am mächtigen Einsammeln der Absatzmärkte, Profite und Einflusszonen. Sah es in den letzten vier Jahren nicht so aus, als wäre man in Europa über Nacht umgeben von einer Welt von Feinden: Vorneweg das selbstbewusste China, gleich dahinter das bärige Russland und gleich vor der Tür das wild von neuer Größe phantasierende Britannien? Das sah gar nicht gut aus. Und jetzt auch noch diese ärgerliche Pandemie, die alle Prognosen zuerst einmal Makulatur sein lässt.

Aber jetzt will man dem „alten Freund“ gerne wieder den Vortritt lassen. In seinem Fahrwasser lässt sich gut fischen. Treuebekenntnisse kommen da leicht von den Lippen. (Hoffentlich haben die Amis in den letzten Jahren nicht zu genau hingeschaut und hingehört, wenn in Europa die Rede davon war: Man müsse nun selbst die Dinge in die Hand nehmen, die transatlantische Bindung sei Geschichte, ein neues Kapitel müsse aufgeschlagen werden, die USA sei in einer üblen Talfahrt begriffen, Europa müsse sich selbstbewusst gegen die großen Drei von der Weltliga aufstellen, so könnte ein völlig neues Kapitel europäischer Dominanz eingeläutet werden usw.) Wie pharisäisch ist das denn?

„Wir sitzen alle im selben Boot“.

Aber wohin soll die Fahrt denn gehen? Werden jetzt wieder neue Nebelkerzen gezündet? Blick nach vorne, „gemeinsam“?

Gemeinsam wäre es allerdings nötig, die hegemonialen Sandkastenspiele großer Kinder endlich zu beenden, die globale Vielfalt friedlicher Menschen endlich als die einzige Chance anzusehen, die Implosion des Planeten noch abzuwehren. Solche Vielfalt kennt aber keine Dominanz, keine Ausbeutung, keine Verlierer, sie braucht auch als Symbol keinen eitlen Tanz auf dem Stier mehr! Sie braucht nur die offene Bereitschaft zur Zusammenarbeit aller mit allen.