21 Aug

Europa – Meditation # 283

Wie die Bilder unsere Einbildungen bedienen.

Kürzlich – als Trump noch als Rumpelstilzchen Präsident der USA spielte – war die Empörung groß, weil er fast pausenlos Unwahrheiten in Umlauf brachte: über seine politischen Gegner, über die treulosen Europäer, die bösen Chinesen und die guten Follower. Die Medien hatten Futter en masse.

Unsere vorgefassten Bilder in unserer Erinnerungen wurden reichlich bedient mit neuem Material. Ein Dauer-Aufreger. Und hinterher hatten wir es natürlich alle gewusst. Er habe die amerikanische Gesellschaft gespalten, er sei geradezu eine Gefahr für den Weltfrieden u.s.w…

Dann kam mit knappster Mehrheit der „neue Mann“ Biden. Da stimmte dann wieder der Ton, die Themen, die Konzepte. Und was war mit der gespaltenen Gesellschaft? Ein Angstszenario, das sich als Trugbild herausstellte? Nein. Wir hatten uns nur in unseren Bildern täglich neu beschwichtigen lassen.

Dann hieß plötzlich das neue Bild „Bergamo“. Direkt vor unserer Tür.

Jetzt war es die Angst, die unsere Bilder auf Trab brachte.

Dann waren es die Großbrände in Californien, im Mittelmeerraum.

Dann die Sturzflut an der Ahr, Swistbach und Erft

Dann Afghanistan.

Unser Weitblick will es nun immer schon gewusst haben: Es sei von Anfang an (!) falsch gewesen, dorthin unser Demokratie-Modell exportieren zu wollen und und und…wie flüchtig die Bilder doch sind!

Europa, die weitsichtige, schmunzelt: Habe ich euch nicht schon immer gesagt, bleibt auf eurem kleinen Kontinent, genießt das Klima dieser gemäßigten Zone, freut euch an eurer kulturellen und landschaftlichen Vielfalt und mäßigt eure Weltbeglückungsphantasien!

Die Menschen in Afghanistan passen nicht in unser Bilderwelt, das ist offensichtlich, aber da wir die eigenen Irrtümer nicht eingestehen wollen, basteln wir fleißig an einem üppigen Feindbild, dem gegenüber wir selbst wie nur auf Nachhaltigkeit bedachte Altruisten aussehen.

Auch für die Flutwellen haben wir plötzlich das Bild im Kopf, schon immer gegen Bodenversiegelung, Flussbegradigungen und flussnahe Bebauung gewesen zu sein. Nur habe uns eben – wie einst schon Kassandra – niemand zuhören wollen.

Zu all diesen Katastrophenbildern hält unser eigener Bildervorrat entsprechende Unterschriften parat, die wir nur wortlos abnicken. „Wir“ haben es schon immer gewusst. Schuld sind die anderen. Welche anderen eigentlich?

Und mit Irak, Syrien und Palästina (wer weiß eigentlich noch, dass wir Europäer es waren – Franzosen und Engländer – die vor gerade mal 100 Jahren willkürlich Grenzlinien festgelegt hatten, die nichts mit den angestammten Verhältnissen der dort Lebenden zu tun hatten?) Legen wir doch lieber Bilder eines militanten Glaubens darüber, das ist entlastender.

20 Aug

YRRLANTH – Historischer Roman II – Leseprobe – Blatt 138

DER GROSSE STROM ZEIGT SICH GNÄDIG

Langsam nähert sich die Reise ihrem vorläufigen Ende, dem Gebiet der Heiden jenseits des großen Stroms.

Aber Duc Rochwyn und seine Leute trauen den Botschaften nicht, die ihnen entgegen kommende Händler missmutig preisgeben: Die Furt bei Mogantiacum sei passierbar, im Moment. Wo sie denn hin wollten, werden sie immer wieder gefragt. Doch der Duc gibt das Ziel ihrer Reise nicht preis.

Abt Ambrosius, der schweigend und wütend zugleich mit seinen Mitbrüdern zuhört, verdreht nur die Augen. Dass sein Gott ihnen aber auch so viele Prüfungen bereits vor dem Ziel auferlegen würde, hätte er sich niemals auch nur träumen lassen. Da hilft nur beten, beten, beten.

Somythall in ihrer bequemen Sänfte gibt gerade Sumil die Brust. Ruth, die neue Amme, geht neben ihr her und lässt sie nicht aus den Augen.

„Ein gutes Mädchen, ein gutes Mädchen“, flüstert sie wieder und wieder. Und die drei neuen Männer, die seit dem Halt in Argentovaria Rochwyns Schutztruppe verstärken, stehen unter strenger Aufsicht von Wytgos.

„He, Berolos, was hältst du von den dreien, können wir denen trauen?“

Berolos denkt nach. Dass die drei Männer aus der kleinen jüdischen Gemeinde von Argentovaria stammen, stört ihn überhaupt nicht. Sollen sie doch glauben, was sie wollen. Die bedingungslos Treue zu ihrem Duc, das allein ist ihm wichtig. Aber woher sollen sie wissen, was sie im Schilde führen?

Die ehemalige römische Handelsstraße ist in einem sehr schlechten Zustand: tiefe Löcher, wo einmal Pflastersteine waren. Unkraut, vollgelaufene Radspuren. Sie müssen höllisch aufpassen. Von Wegelagerern ganz zu schweigen. Da sind drei unzuverlässige Männer kein Spaß.

„Mh, keine Ahnung, Wytgos, frag mich nicht! Dass sie so schweigend vor sich hin trotten, muss ja nicht heißen, dass sie Schlimmes planen oder?“

Jonas, Isaak und Jakob spüren allzu deutlich, dass sie unter Beobachtung stehen. Was sollen sie machen? Ihr Rabbi hat sie ausgewählt, es sei Gottes Wille, sie sollen ihren Sold sparen, damit sie nach der Rückkehr ihre Familien unterstützen können. Es ist längst abgesprochen, dass sie nach Aquitanien fliehen wollen, dort sollen sie vor Verfolgung sicherer sein, heißt es.

Jetzt öffnet sich der lichte Wald zum Rhenus hin. Überall Fuhrwerke, grasende Pferde, Zelte, offene Feuer. Und im Fluss gerade mehrere Fahrzeuge, von starken Bullen gezogen, Peitschen knallen, Wagenlenker brüllen Befehle, bis fast über die großen Räder waten sie quer zur Fließrichtung der großen Stroms.

„Los, Leute, gleich hinterher, wer weiß, wie lange das Wasser noch so tief steht!“

Rochwyn ruft es seinen Leuten zu. Er hilft Somythall mit Sumil im Arm aus der Sänfte, nimmt sie zu sich aufs Pferd und reitet so vorne weg in den Fluss. Somythall summt ihr Lied, das ihr ihre Großmutter beigebracht hat in Yrrlanth. Es soll wie ein Zauberspruch den Fluss besänftigen. Rochwyns warmer Körper stärkt ihre Zuversicht: Es wird ihnen nichts geschehen, nichts. Bald ist der Saum ihres Kleides vom Wasser durchtränkt, doch ihre Beine zittern nicht, so groß ist ihr Vertrauen.

„Göttin, steh uns bei!“ betet sie dabei.

„Hab keine Angst, Somythall, der Fluss zeigt sich heute sehr gnädig. Wir schaffen es.“

Insgeheim aber ist Rochwyn doch sehr überrascht, wie stark die Strömung ist, als sie jetzt die Mitte der Furt erreichen. Tiefer sollte es nun wirklich nicht gehen, denkt er. Doch dann – mitten im Flussbett – scheint eine große Felsplatte unter ihnen – wie eine rettende Unterwasserinsel – sie höher steigen zu lassen, als wären sie schon am gegenseitigen Ufer. Doch sein Pferd gerät gefährlich ins Rutschen. Die Hufe finden keinen Halt. Es wiehert ängstlich. Rochwyn streicht ihm besänftigend über die Seite.

„Schon gut, schon gut, Worwa, schon gut. Du machst es gut, nur weiter!“

Am anderen Ufer rollen gerade die Wagen vor ihnen heil ans Ufer.

„Schau Somythall, die haben er schon geschafft, wir gleich auch“.

Somythall ist jedes Mal verblüfft, wie sehr seine Stimme ihr Kraft gibt, Ängste vertreibt, Glücksgefühle in ihr aufsteigen lässt, immer wieder. Sie nickt. Das Wasser ist sehr kalt, sehr, sehr kalt. Die tief hängenden Wolken sehen so aus, als wollten sie auch noch von oben Wasser hinzuschütten.

„Bitte nicht, bitte!“ fleht sie zu ihrer Göttin. Ruth, die mit einer Hand die ihre hält, wirkt gar nicht zuversichtlich. Wie auch? Sie hat Angst vor dem Fluss, sie sieht sich schon ertrinken. Eigentlich will sie mit ihrer Hand ihre neue Herrin stützen, aber im Augenblick ist es ganz und gar umgekehrt. Die Hand ihrer Herrin ist ihr letzter Halt in diesem mächtigen Element.

„Lass bitte nicht los, Herrin, bitte!“ fleht Ruth insgeheim.

Aber bald haben sie es geschafft. Da war zwar noch einmal eine Stelle, als sie schon dachten, es gehe aufwärts, als sie fast bis zur Hüfte im Wasser wateten, aber dann geht es wirklich zügig aufwärts: Sie haben es geschafft. Und auch ihre Brüder, Jonas, Isaak und Jakob sind nicht abgetrieben oder ertrunken. Alle schaffen es – zwar triefend nass und vor Kälte zitternd – ans andere Ufer. Das laute Lachen und die Zurufe verraten überdeutlich: alle hatten sie große Angst gehabt, keiner hatte es zeigen wollen, jetzt ist es endlich vorbei. Geschafft!

„Wytgos, such uns in der Nähe des Ufers einen günstigen Lagerplatz. Wir wollen Feuer machen, unsere Kleider trocknen. Wir ziehen morgen weiter!“

Alle hören die sonore Stimme von Duc Rochwyn, alle sind erleichtert. Er ist ein guter Mann. Ihm sich zu fügen, ist da nicht schwer. Und Somythall ist so stolz auf ihn, ihren Mann, den Mann ihrer Tochter. Sumil.

19 Aug

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 122

Das plötzliche Ende der drei Brüder der Europa.

„He, wer sind denn die drei, die da tuschelnd auf den Trümmern des Königspalastes stehen?“

„Sehen ziemlich verdächtig aus. Fremde, bestimmt!“

„Los, kommt, die schauen wir uns mal aus den Nähe an!“ ruft der nächste aus der Gruppe der vom Beben verschreckten Männer.

Die drei Brüder der Europa, Kilix, Kadmos und Phoinix, die unverrichteter Dinge von der Suche nach ihrer Schwester Europa nach Sidon, ihrer Geburtsstadt, zurückgekehrt waren, wollen sich aus dem Staub machen. Die Horde wütender Männer, die da angerannt kommt, lässt sie Böses ahnen.

„Kadmos, Phoinix, nichts wie weg hier“, ruft Kilix leise. Und schon stolpern sie los. Aber vergeblich. Da ist kein Weg mehr, keine Straße, nichts, nur Trümmerberge, die im Wege stehen.

In den Köpfen des Männertrupps, der nichts mehr ist als ein Bündel aus Angst und Schrecken – ihre Stadt gleich zweimal zerstört, erst dieser blutrünstige König Ufroras aus Assyrien, dann das Beben, das die Götter hinterher schickten – schreit alles nach einem Sündenbock. Und sie spüren atemlos vor Zorn und Rage, dass die drei fliehenden Männer wie von den Göttern geschickt scheinen: Die müssen wir kriegen, die müssen wir opfern, dann wird alles wieder gut! Kurzer Prozess, klar. Auf sie mit Gebrüll!

Auf Kreta hat währenddessen Europa Albträume: Diese Giftanschläge, dieses Beben! Sind es Warnungen der großen Göttin oder sind es nur Zufälle? Der eine von missgünstigen Männern, der andere von neidischen Göttern? Warum muss ich gerade jetzt an meine Familie denken? An meine strenge Mutter, meinen herrschsüchtigen Vater, meine lustigen Brüder? Sie weiß es nicht.

Phoinix, der hinter seinen beiden Brüdern her rennt, stolpert, fällt.

„He, so wartet doch, he!“ ruft er. Er hat sich den Fuß umgeknickt. Kilix zerrt Kadmos am zerrissenen Hemd zurück.

„Komm, Bruder, wir müssen ihm helfen!“

„Nein, da kommen sie doch schon, die werden uns umbringen!“ schreit Kadmos und will sich losreißen. Vergeblich. Kilix zwingt ihn mit zum stöhnenden Bruder.

Dann geht alles furchtbar schnell: Der Mob ist da, über ihnen, schreit, schlägt, tritt, flucht, lacht grässlich; die Brüder flehen um Gnade. Sie seien doch des Königs Söhne, Prinzen alle drei.

„Habt ihr das gehört? Ist das nicht dreist?“

„Die wollen uns wohl noch belügen, diese Fremden, Mistkerle, aber auch!“

„Ne, ne, hört mal, die Gesichter kenn ich, die sind wirklich…“

Aber der erstaunte Mann kommt gar nicht mehr dazu zu sagen, was er meint. Die anderen haben schon Steine aufgehoben, werfen nun voller Wut auf die drei Männer, was sie in die Hände bekommen. Steinflug, fast wie Hagelschlag. Es dauert aber, bis sich keiner von den dreien mehr regt.