Zeus,
der eifersüchtige Hauptgott und Gehörnte, will doch noch
Europas
Tanzfest verhindern.
Zeus
erinnert sich: vor einer Woche hatte er sich als Schafhirt –
draußen vor der Stadt – zufällig Trasopas, seinem Fischer und
Komplizen, in den Weg gestellt, als dieser von seinem Fischfang
gerade auf dem Heimweg war.
Nun,
sein erster Versuch war schief gegangen. Die Fische waren dummerweise
von den Katzen geschnappt worden, der Fischer und seine Frau hatten
Mist gebaut. Aber warum sollte er die beiden nicht noch einmal
benutzen? Sie waren so leicht zu beeindrucken. Seine beiden Brüder,
Poseidon und Hades, will er allerdings nicht einweihen. Er will es
ganz alleine schaffen, schließlich ist er ja auch der Hauptgott im
Olymp. Und Athene ist zum Glück gerade in Delphi, sie wird es also
nicht mit bekommen.
„Hallo,
Trasopas, wie war dein Fang heute?“
Der
Fischer schreckt hoch. Er ist müde. Schon wieder dieser Fremde,
denkt er. Dieses Lächeln gefällt ihm gar nicht.
„Gar
nicht übel, viel Tintenfisch war heute dabei.“
„So,
so. Tintentisch. Macht deine Frau Thiala auch eine Fischsuppe fürs
Tanzfest?“
„Natürlich,
natürlich. Alle im Viertel werden ihre besten Rezepte aufbieten.
Schließlich wird es ein großes Fest werden, da wollen wir Bürger
nicht knausern. Jeder macht die beste Suppe, die er kennt.“
Was
will der von mir, woher kennt er den Namen meiner Frau und woher weiß
er von der Fischsuppe? Trasopas wendet sich zum Weitergehen. Der soll
mich in Ruhe lassen.
„He,
du! Warte mal!“ Zeus spielt den gut gelaunten Kumpel. „Was hältst
du davon, wenn eure Hütte ein neues Dach und dichte Fensterläden
bekäme?“
„Hä?
Was hat das mit der Fischsuppe und meiner Frau zu tun?“ knurrt
Trasopas, dem es lieber wäre, er hätte diesen Typen gar nicht erst
getroffen.
„Ganz
einfach: Schau her – hier habe ich eine kleine Phiole mit einer
besonders gelungenen Würzmischung für die große Fischsuppe am
Festtag. Wenn ihr eure Suppe hineinschüttet, schüttest du einfach
die Mischung aus der Phiole hinzu. Deine Mitbürger werden sich
sicher wundern, wie köstlich diesmal die Suppe schmeckt.“
Trasopas
weiß nicht, was er von der Sache halten soll. Aber ein neues Dach
und dichte Fensterläden, das wäre wunderbar. So steckt er ohne ein
Wort die Phiole in seine Tragetasche, schaut auch dem Fremden nicht
ins Gesicht, sondern beschleunigt seinen Gang, um ihn endlich los zu
werden.
Thiala,
die ihn schon schlecht gelaunt erwartet, hört sich staunend seine
Geschichte an und weiß nicht, ob ihr Mann auf dem Meer einen
Hitzeschlag bekommen hat oder ob er die Geschichte nur erfunden hat –
wie kommt er dann aber zu dieser Phiole?
„Wir
machen es einfach, denn werden wir ja sehen, ob dieser Fremde uns
angelogen hat oder nicht.“
Eine
Woche später auf dem freien Feld vor dem Tempel der großen Göttin:
In
einem großen Kupfertopf, der auf hohen Stelzen über einem
ordentlichen Feuer steht, rühren drei Fischerfrauen in dem Sud, den
sie am Morgen angesetzt hatten. Nach und nach kommen nun die
Bürgerinnen mit ihren Schüsseln und Töpfen, um ihren Beitrag zum
Tanzfest abzuliefern: Fischsuppe. Die drei Frauen rühren und rühren.
Es riecht bereits unverwechselbar nach Fischsuppe. Und bei
Sonnenuntergang werden alle hier draußen gemeinsam Fischsuppe essen
und über das Tanzfest rätseln, das schon lange in aller Munde ist.
Das kommen auch Thiala und Trasopas mit ihrer Suppe. Nervös steigen
sie die Leiter hoch.
„Pass
auf, dass du nichts verschüttest“, zischt Thiala. Unter ihrem
weitbauschigen Sackleinenkleid hat sie in der Linken die Phiole, mit
der rechten hält sie sich an der Leiter fest.
„Hallo,
Thiala, schön, dass ihr noch kommt, ihr seid fast die letzten“
ruft ihr eine der drei Frauen zu. Thiala grinst und nickt. Sie hält
sich dicht hinter ihrem Mann an der Brüstung fest, die um den
riesigen Bottich herum gezimmert worden ist. Und als jetzt Trasopas
ihre Fischsuppe hinein schüttet, leert Thiala die kleine Phiole
heimlich mit hinein.
Dann
klettert sie wieder hinunter. Auch die drei Frauen kommen die Leiter
herab.
„So,
jetzt lassen wir die Suppe noch eine gute Stunde vor sich hin
köcheln, dann kann das große Schlürfen beginnen!“
Sie
müssen alle lachen. Alle sind gut gelaunt, schließlich wird es drei
Tage dauern, das Fest. Im Westen versinkt in verwaschenem Blutrot der
Sonnenball. Trasopas starrt still vor sich hin. Er wundert sich.
Keine Vogelstimmen. Also kein Abendkonzert heute? Thiala schließt
die Augen und träumt von einem neuen Haus. Da werden die Nachbarn
aber vor Neid staunen. Die drei Frauen haben sich auf einer
steinernen Bank neben dem Tempel hingesetzt. Keiner hat Lust zu
reden. Eigenartig. Hunde und Katzen liegen auf den warmen
Steinplatten und scheinen auch nur noch dösen zu wollen.
Und
in dem Augenblick, als Thiala ihren Mann, Trasopas am Arm fasst und
sagt: „Na komm, gehen wir, ich hab keine Lust auf Fischsuppe!“,
da beginnt ein Zittern der Erde, das schnell zu einem heftigen Beben
wird, so dass der große Suppentopf samt der Stelzen zu Boden
stürzen. Ein lauter Knall und schon ergießt sich die dampfende
Suppe über das zischende Feuer und das freie Feld. Katzen und Hunde
ziehen die Schwänze ein, knurren, winseln, jaulen, schwanken
zwischen Davonlaufen und zur Suppe Eilen. Die drei Frau und unser
Fischerpaar sind sprachlos und starr vor Entsetzen; da ist das Beben
aber auch schon vorbei.
„Was
war das? Ein Vorzeichen der Götter?“ flüstert zitternd eine der
drei Frauen.
„Blödsinn,
einfach ein Beben der Erde, kennen wir doch oder?“ erwidert
besserwisserisch Thiala.
„Seht
euch das an, jetzt machen sich die Tiere über die Suppe her!“ ruft
Trasopas erleichtert. Sie haben wohl noch einmal Glück gehabt.
Solche kleinen Beben sind sie hier auf der Insel gewohnt. Kichernd
verfolgen die drei Frauen das genüssliche Treiben der Tiere.
„Tja,
da werden aber gleich die Leute ganz schön dumm gucken. Freuen sich
auf Fischsuppe und kommen völlig umsonst!“
Dann
gefriert ihnen ihr Kichern auf den Lippen. Denn jetzt müssen sie mit
ansehen, wie die Tiere, die eben noch gierig Fischsuppe in sich
hinein leckten, sich zu krümmen beginnen, zu torkeln, zu japsen. Als
wären sie in einem Albtraum versunken. Ein eigenartiges Abendlicht
liegt nun über dem Unglücksort. Bald rührt sich keins mehr der
Tiere. Und die Menschen? Die sind langsam zurückgewichen, jetzt
liegen sie betend vor dem Tempel der großen Göttin und bitten um
Gnade. Sollen sie alle bestraft werden? Aber wofür? Warum zürnt
sie?
Da
kommt Europa und hinter ihr auch Chandaraissa. Das Beben hat sie aus
ihren Zellen geholt, sie waren durch den Tempel gelaufen, aber da
waren keine Risse, keine Brocken aus der Decke gefallen.
„Erhebt
euch, ihr Lieben! Die Göttin hat ihre schützende Hand über uns
alle gehalten, sie hat uns verschont. Kommt, lasst uns gemeinsam die
Fischsuppe essen!“
Thiala
ist die erste, die die Sprache findet:
„Hohe
Priesterin, schaut doch nur, der große Topf ist vom Gerüst
gestürzt, die Hunde und Katzen haben sich darüber her gemacht. Und
nun sind sie alle tot.“
Europa
und Chandaraissa sind sprachlos. Sofort erinnern sie sich an die
Geschichte mit den vergifteten Fischen vor ein paar Tagen.
Die
Hohepriesterin wendet sich an Trasopas und die Frauen:
„Geht
heim, sagt unterwegs den Leuten, das kleine Beben habe den Topf mit
der Fischsuppe für alle zum Kippen gebracht, sie sollen morgen
wieder kommen und das Tanzfest genießen. Von den Tieren kein Wort.
Wir werden sie noch in der Nacht verscharren.“
Europa
staunt. Ob das klug war? Jedenfalls sieht sie die Leute mit hängenden
Köpfen weg gehen.
„Chandaraissa,
da scheint jemand etwas gegen unser neues Fest zu haben. Archaikos
kann es ja wohl nicht sein, selbst der Rat der Alten hatte doch
zugestimmt. Aber wer dann?“
„Europa,
wir wissen es doch – oder? Da ist jemand wahnsinnig eifersüchtig
auf dich und dein Glück hier auf der Insel. Komm, gehen wir in den
Tempel und beten zur großen Göttin. Sie hat uns bis hierhin
beschützt, sie wird es auch weiterhin tun, komm!“
Mächtig
stolz auf seinen Geistesblitz hatte Zeus seine zwei Brüder, Poseidon
und Hades, gleich mitgenommen zur Insel, auf der Europa gerade die
letzten Vorbereitungen für den morgigen Festtanz trifft. Sie ist so
voller Freude, Dankbarkeit und Aufregung, dass sie immer wieder
meint, sie schwebe, sie falle, sie fliege.
Während
sie im großen Vorhof des Tempel der großen Göttin gerade die
zweite Generalprobe mit den jungen Priesterinnen und den Musikanten
abhält – alle natürlich in grauen Gewänder, damit die
Überraschung morgen umso größer sein wird –