05 Aug

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 119

Zeus, der eifersüchtige Hauptgott und Gehörnte, will doch noch

Europas Tanzfest verhindern.

Zeus erinnert sich: vor einer Woche hatte er sich als Schafhirt – draußen vor der Stadt – zufällig Trasopas, seinem Fischer und Komplizen, in den Weg gestellt, als dieser von seinem Fischfang gerade auf dem Heimweg war.

Nun, sein erster Versuch war schief gegangen. Die Fische waren dummerweise von den Katzen geschnappt worden, der Fischer und seine Frau hatten Mist gebaut. Aber warum sollte er die beiden nicht noch einmal benutzen? Sie waren so leicht zu beeindrucken. Seine beiden Brüder, Poseidon und Hades, will er allerdings nicht einweihen. Er will es ganz alleine schaffen, schließlich ist er ja auch der Hauptgott im Olymp. Und Athene ist zum Glück gerade in Delphi, sie wird es also nicht mit bekommen.

„Hallo, Trasopas, wie war dein Fang heute?“

Der Fischer schreckt hoch. Er ist müde. Schon wieder dieser Fremde, denkt er. Dieses Lächeln gefällt ihm gar nicht.

„Gar nicht übel, viel Tintenfisch war heute dabei.“

„So, so. Tintentisch. Macht deine Frau Thiala auch eine Fischsuppe fürs Tanzfest?“

„Natürlich, natürlich. Alle im Viertel werden ihre besten Rezepte aufbieten. Schließlich wird es ein großes Fest werden, da wollen wir Bürger nicht knausern. Jeder macht die beste Suppe, die er kennt.“

Was will der von mir, woher kennt er den Namen meiner Frau und woher weiß er von der Fischsuppe? Trasopas wendet sich zum Weitergehen. Der soll mich in Ruhe lassen.

„He, du! Warte mal!“ Zeus spielt den gut gelaunten Kumpel. „Was hältst du davon, wenn eure Hütte ein neues Dach und dichte Fensterläden bekäme?“

„Hä? Was hat das mit der Fischsuppe und meiner Frau zu tun?“ knurrt Trasopas, dem es lieber wäre, er hätte diesen Typen gar nicht erst getroffen.

„Ganz einfach: Schau her – hier habe ich eine kleine Phiole mit einer besonders gelungenen Würzmischung für die große Fischsuppe am Festtag. Wenn ihr eure Suppe hineinschüttet, schüttest du einfach die Mischung aus der Phiole hinzu. Deine Mitbürger werden sich sicher wundern, wie köstlich diesmal die Suppe schmeckt.“

Trasopas weiß nicht, was er von der Sache halten soll. Aber ein neues Dach und dichte Fensterläden, das wäre wunderbar. So steckt er ohne ein Wort die Phiole in seine Tragetasche, schaut auch dem Fremden nicht ins Gesicht, sondern beschleunigt seinen Gang, um ihn endlich los zu werden.

Thiala, die ihn schon schlecht gelaunt erwartet, hört sich staunend seine Geschichte an und weiß nicht, ob ihr Mann auf dem Meer einen Hitzeschlag bekommen hat oder ob er die Geschichte nur erfunden hat – wie kommt er dann aber zu dieser Phiole?

„Wir machen es einfach, denn werden wir ja sehen, ob dieser Fremde uns angelogen hat oder nicht.“

Eine Woche später auf dem freien Feld vor dem Tempel der großen Göttin:

In einem großen Kupfertopf, der auf hohen Stelzen über einem ordentlichen Feuer steht, rühren drei Fischerfrauen in dem Sud, den sie am Morgen angesetzt hatten. Nach und nach kommen nun die Bürgerinnen mit ihren Schüsseln und Töpfen, um ihren Beitrag zum Tanzfest abzuliefern: Fischsuppe. Die drei Frauen rühren und rühren. Es riecht bereits unverwechselbar nach Fischsuppe. Und bei Sonnenuntergang werden alle hier draußen gemeinsam Fischsuppe essen und über das Tanzfest rätseln, das schon lange in aller Munde ist. Das kommen auch Thiala und Trasopas mit ihrer Suppe. Nervös steigen sie die Leiter hoch.

„Pass auf, dass du nichts verschüttest“, zischt Thiala. Unter ihrem weitbauschigen Sackleinenkleid hat sie in der Linken die Phiole, mit der rechten hält sie sich an der Leiter fest.

„Hallo, Thiala, schön, dass ihr noch kommt, ihr seid fast die letzten“ ruft ihr eine der drei Frauen zu. Thiala grinst und nickt. Sie hält sich dicht hinter ihrem Mann an der Brüstung fest, die um den riesigen Bottich herum gezimmert worden ist. Und als jetzt Trasopas ihre Fischsuppe hinein schüttet, leert Thiala die kleine Phiole heimlich mit hinein.

Dann klettert sie wieder hinunter. Auch die drei Frauen kommen die Leiter herab.

„So, jetzt lassen wir die Suppe noch eine gute Stunde vor sich hin köcheln, dann kann das große Schlürfen beginnen!“

Sie müssen alle lachen. Alle sind gut gelaunt, schließlich wird es drei Tage dauern, das Fest. Im Westen versinkt in verwaschenem Blutrot der Sonnenball. Trasopas starrt still vor sich hin. Er wundert sich. Keine Vogelstimmen. Also kein Abendkonzert heute? Thiala schließt die Augen und träumt von einem neuen Haus. Da werden die Nachbarn aber vor Neid staunen. Die drei Frauen haben sich auf einer steinernen Bank neben dem Tempel hingesetzt. Keiner hat Lust zu reden. Eigenartig. Hunde und Katzen liegen auf den warmen Steinplatten und scheinen auch nur noch dösen zu wollen.

Und in dem Augenblick, als Thiala ihren Mann, Trasopas am Arm fasst und sagt: „Na komm, gehen wir, ich hab keine Lust auf Fischsuppe!“, da beginnt ein Zittern der Erde, das schnell zu einem heftigen Beben wird, so dass der große Suppentopf samt der Stelzen zu Boden stürzen. Ein lauter Knall und schon ergießt sich die dampfende Suppe über das zischende Feuer und das freie Feld. Katzen und Hunde ziehen die Schwänze ein, knurren, winseln, jaulen, schwanken zwischen Davonlaufen und zur Suppe Eilen. Die drei Frau und unser Fischerpaar sind sprachlos und starr vor Entsetzen; da ist das Beben aber auch schon vorbei.

„Was war das? Ein Vorzeichen der Götter?“ flüstert zitternd eine der drei Frauen.

„Blödsinn, einfach ein Beben der Erde, kennen wir doch oder?“ erwidert besserwisserisch Thiala.

„Seht euch das an, jetzt machen sich die Tiere über die Suppe her!“ ruft Trasopas erleichtert. Sie haben wohl noch einmal Glück gehabt. Solche kleinen Beben sind sie hier auf der Insel gewohnt. Kichernd verfolgen die drei Frauen das genüssliche Treiben der Tiere.

„Tja, da werden aber gleich die Leute ganz schön dumm gucken. Freuen sich auf Fischsuppe und kommen völlig umsonst!“

Dann gefriert ihnen ihr Kichern auf den Lippen. Denn jetzt müssen sie mit ansehen, wie die Tiere, die eben noch gierig Fischsuppe in sich hinein leckten, sich zu krümmen beginnen, zu torkeln, zu japsen. Als wären sie in einem Albtraum versunken. Ein eigenartiges Abendlicht liegt nun über dem Unglücksort. Bald rührt sich keins mehr der Tiere. Und die Menschen? Die sind langsam zurückgewichen, jetzt liegen sie betend vor dem Tempel der großen Göttin und bitten um Gnade. Sollen sie alle bestraft werden? Aber wofür? Warum zürnt sie?

Da kommt Europa und hinter ihr auch Chandaraissa. Das Beben hat sie aus ihren Zellen geholt, sie waren durch den Tempel gelaufen, aber da waren keine Risse, keine Brocken aus der Decke gefallen.

„Erhebt euch, ihr Lieben! Die Göttin hat ihre schützende Hand über uns alle gehalten, sie hat uns verschont. Kommt, lasst uns gemeinsam die Fischsuppe essen!“

Thiala ist die erste, die die Sprache findet:

„Hohe Priesterin, schaut doch nur, der große Topf ist vom Gerüst gestürzt, die Hunde und Katzen haben sich darüber her gemacht. Und nun sind sie alle tot.“

Europa und Chandaraissa sind sprachlos. Sofort erinnern sie sich an die Geschichte mit den vergifteten Fischen vor ein paar Tagen.

Die Hohepriesterin wendet sich an Trasopas und die Frauen:

„Geht heim, sagt unterwegs den Leuten, das kleine Beben habe den Topf mit der Fischsuppe für alle zum Kippen gebracht, sie sollen morgen wieder kommen und das Tanzfest genießen. Von den Tieren kein Wort. Wir werden sie noch in der Nacht verscharren.“

Europa staunt. Ob das klug war? Jedenfalls sieht sie die Leute mit hängenden Köpfen weg gehen.

„Chandaraissa, da scheint jemand etwas gegen unser neues Fest zu haben. Archaikos kann es ja wohl nicht sein, selbst der Rat der Alten hatte doch zugestimmt. Aber wer dann?“

„Europa, wir wissen es doch – oder? Da ist jemand wahnsinnig eifersüchtig auf dich und dein Glück hier auf der Insel. Komm, gehen wir in den Tempel und beten zur großen Göttin. Sie hat uns bis hierhin beschützt, sie wird es auch weiterhin tun, komm!“

Mächtig stolz auf seinen Geistesblitz hatte Zeus seine zwei Brüder, Poseidon und Hades, gleich mitgenommen zur Insel, auf der Europa gerade die letzten Vorbereitungen für den morgigen Festtanz trifft. Sie ist so voller Freude, Dankbarkeit und Aufregung, dass sie immer wieder meint, sie schwebe, sie falle, sie fliege.

Während sie im großen Vorhof des Tempel der großen Göttin gerade die zweite Generalprobe mit den jungen Priesterinnen und den Musikanten abhält – alle natürlich in grauen Gewänder, damit die Überraschung morgen umso größer sein wird –

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