31 Okt

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 127

Athanama und Chaturo – ein glücklicher Zufall?

Der Kapitän Chaturo atmet tief ein. Er schaut sich zu, wie er mit dem Dolch spielt. Jetzt nur nicht in ihre Augen schauen, denkt er aufgeregt. Fast möchte er über sich selbst lachen: Dass ihm so etwas passiert!

Das leise Rauschen der Wellen, das draußen am Bauch des Schiffes entlang zu hören ist, bietet ihm Beruhigung an. Die braucht er aber auch jetzt wirklich sehr.

Die Fremde, Athanama, schmunzelt. Das Kerzenlicht gibt ihrem Gesichtsausdruck einen wohligen Schimmer. Glücksgefühle fließen durch ihren Körper. Wie das? Ich werde einfach wortlos warten, denkt sie vergnügt. Frau Angst hat sich einfach so lautlos verabschiedet. Hält die große Göttin also ihre schützende Hand über sie?

„So, so, Priesterin!“

Chaturo würde sich am liebsten ohrfeigen: Was für ein Gestammel ist das denn, geht es ihm brausend durch den Kopf. Ich muss sie einfach anschauen. Wenn sie am Hofe von König Agenor Priesterin war und auch noch Freundin von dessen Tochter Europa, dann, dann…habe ich sie vielleicht ja schon einmal gesehen. Der kleine Dolch entgleitet ihm nach und nach.

Athanama spürt ihre Hände auf ihren Oberschenkeln ruhen. Diese Hände würde jetzt gerne auf seinen ruhen, durchfährt es sie heiß.

„Wie lange wird die Fahrt bis nach Kreta dauern?“

Wie komme ich denn jetzt zu dieser dummen Frage? Chaturo blickt auf. Sie baut mir eine Brücke. Was für eine Brücke denn? Er schaut sich dabei zu, wie er langsam aufsteht – sie tut es auch – und wie er erregt auf sie zu geht. Sein Atem verrät ihn: Ich bin nicht mehr Herr meiner Sinne, sie haben übernommen. Als sie sich wie in einem langsam weiter schwebenden Traum getaucht umarmen, ist ihr befreiendes Stöhnen die unmissverständliche Botschaft sinnlicher Sehnsüchte, die jetzt wirklich werden. Behutsam helfen sie sich gegenseitig aus ihren Umhängen und Unterkleidern, genießen vorsichtig den Augenblick, in dem sich Haut auf Haut legt. Ein Oben und Unten, ein Außen und Innen brechen in ihrem Bewusstsein zusammen, zerfallen in schweißnasse, heiße Berührungen tiefer Vereinigung. Hände suchen, was längst vertraut gewesen war, in zahllosen Tagträumen. Und die Wucht dieses sinnlichen Augenblicks lenkt ihnen die gnädige große Göttin in ein wollüstiges Spiel ihrer hingebungsvollen Körper. Und dieser Duft, diese Wärme!

Währenddessen gleitet der große Segler elegant durch wogende Wellenberge, wiegt die beiden hin und her, als wären sie kleine Kinder. Auch wissen sie nicht, was die große Göttin noch alles mit ihnen vorhat, wenn sie in Kreta angekommen sein werden. Ein glücklicher Zufall? Ja und nein. Denn alles hängt mit allem zusammen und nichts geht verloren. Athanama weiß es und Chaturo ahnt es wohl auch.

31 Okt

Europa – Meditation # 293

Als wäre ein Vulkanausbruch bloß ein bunter Comic…

Unsere Sinne betrügen uns nicht! Meinen wir zu wissen. Aber die Bilder und Worte, die dazu umgehend in uns ungefragt auftauchen, liefern sofort beruhigende Botschaften – frei Haus. Die kennen wir natürlich in- und auswendig, meinen wir schmunzelnd. Denn wir sind ja die Damen und Herren in unserem Haus, die wahre Kompetenz-Monster-Ausweise vorzeigen können: Klar, im Erdinnern, im Kern dieses kleinen geschundenen Planeten geht es ziemlich heiß her, klar. Weiß doch jeder. Was wir jedoch nicht fassen können, ist die Zeitschiene, auf der das lautlos durch Zeit und Raum rast – wie lange denn schon? Und wie lange noch? Das lassen wir dann lieber einfach eine rhetorische Figur sein, solch eine Frage – oder?

Außerdem liefert der Alltag genügend Ablenkung – wie immer: In Berlin bastelt man gerade völlig unbeeindruckt von diesem Palma-Fanal an einer neuen Botschaft, die ganz sicher die Erlösung kurz vor dem sonst drohenden Ruin auf allen Ebenen liefern wird, klar. Jeden Abend dürfen wir die freundlichen Gesichter und Reden bestaunen, die höflich an die Türen unserer Wohnzimmer klopfen: Dürfen wir reinkommen? Klar doch, an aller Seeligen tut ein aufmunterndes Wort für eine hoffnungsfrohe Zukunft allemal der Seele gut – oder? Notfalls helfen auch alle Heiligen…

Wieder tanzen die Wörter Tango mit uns, die sich gerade erst eine aus dem Nichts auftauchende Stunde großherzig geschenkt haben.

So oder so, der Vulkan als Fanal nicht für Untergang, sondern für Morgenrot, Aufbruch. Wie schön die Wörter doch unsere Ängste zu beschwichtigen verstehen!

Verschwörungstheorien frei Haus versus bestens recherchierte News frisch auf den Tisch – wir wähnen uns als souveräne Denker und Entscheider, sind aber nicht mehr und nicht weniger als brave Nachbeter unserer eigenen Erfindungen, Kopfgeburten, die pausenlos exakt vermessen und kritisch in neuen Untersuchungsreihen experimentell von uns beinhart überprüft, durchleuchtet und neu ausgewertet werden – als stünden wir in einem gläsernen Labor, das uns schützt und wärmt.

Wie in einem bunten Comic liefern wir dazu auch noch kleine Wortblasen, die schön schimmern und glänzen. So berauschen wir uns als niedliche spezies an uns selbst wie Artisten in der Zirkuskuppel ratlos, die zitternd

das Beben spüren und wegdiskutieren. Auch eine Ampel hat ja schöne Farben – oder?

10 Okt

Yrrlanth – Historischer Roman II – Blatt 141 – Leseprobe

Abt Ambrosius und das rote Martyrium Teil II

Es sind viele, die da mit ihren langen Speeren zwischen den alten Buchen angerannt kommen. Rochwyn und seine Leute aber rühren sich nicht. Sie warten gehorsam auf ein Zeichen des Ducs. Ganz anders dagegen Ambrosius und seine Mitbrüder.

Kommt, meine lieben Brüder, bringen wir ihnen unser heiliges Buch und das Kreuz unseres Herrn Jesus Christus, des Allherrschers! Wir bitten dich, erhöre uns!“ ruft der Abt ergriffen und laut. Es scheint keine Furcht in ihm zu sein. Oder doch? Als sie jetzt forsch dem Baumgott entgegen gehen, halten Somythall, Sumil, David und Ruth, die Amme, erschrocken die Luft an. Sie spüren förmlich die Gefahr, die sich gerade über die große Lichtung herabzusenken scheint.

Die Krieger stehen ihnen jetzt stumm gegenüber, als die Mönche näherkommen. Abt Ambrosius hebt mit der einen Hand das dünne hölzerne Kreuz hoch und mit der anderen die handgeschriebene Bibel.

Seid willkommen, Brüder, wir bringen euch frohe Botschaft!“ schreit er überlaut in Latein in die beklemmende Stille hinein. Als die sich nicht rühren, sondern weiter nur feindlich und kampfbereit dastehen, geht Ambrosius wild entschlossen weiter bis zum hohen Baumgottbaum und schlägt mit seinem Kreuzlein gegen einen der nach oben ausgestreckten Astarme des Baumgottes. Erschrocken weichen die Krieger einen Schritt zurück, Entsetzenslaute sind zu hören. Rochwyn schüttelt nur mit dem Kopf, als er sieht, was Ambrosius gerade tut.

„Was für ein Dummkopf!“ zischt er entrüstet. Als der Abt jetzt sogar erneut mit seinem Holzkreuz auf den Ast einschlägt, geschieht das, was wohl alle befürchtet hatten: Der Arm des Baumgottes zersplittert und bricht ab.

Ein tiefes, ächzendes Stöhnen entfährt den Kriegern. Dann aber wird ein fürchterlicher Kriegsschrei daraus und viele Speere zischen durch die Luft und durchbohren die stöhnend zu Boden gehenden Mönche. Noch im Sterben – der Abt sackt dabei langsam in sich zusammen – ruft er immer wieder in Latein: „Herr, mein Herr, Christus, komme über sie und strafe sie für diese Untat!“

Jetzt greifen die Krieger, die wie Wutgötter rächend über den getroffenen Mönchen stehen, ihre Kurzschwerter und beenden das Sterben mit vielen Hieben und Stichen. Blut breitet sich wie ein roter Teppich um sie herum aus. Und eine fast schmerzende Stille.

Rochwyn und seine Leute rühren sich nicht. Aber sie sind bereit. Sie werden sich nicht wie diese dummen Mönche einfach abschlachten lassen, sie werden kämpfen. Duc, gib das Zeichen, wir sind bereit!

Der aber gibt das Zeichen nicht. Er wartet, atmet tief aus und ein und wartet. Auch Somythall schaut erwartungsvoll und sprachlos zu ihm hin: Rochwyn, warum tust du nichts? Wir werden alle sterben – hier, denkt sie zitternd und drückt ihr Töchterchen Sumil fest an ihre Brust.