21 Nov

Europa – Meditation # 297

Europa – lautlos rauscht er heran, der Bumerang.

Die Medien übertreffen sich gegenseitig – wie immer – im Übermitteln von eindrucksvollen Kurven und Statistiken, damit der eigenständig denkende europäische Bürger sich ein möglichst ausgewogenes eigenes Bild von der Krise machen kann. Und natürlich möchten sich die Europäer auch ununterbrochen mit den außereuropäischen Verhältnissen messen: „Wer ist der schlauste im ganzen Land?“

Und vor lauter Starren auf die äußeren Krisen, gerät das innere Gerüst des europäischen Selbstverständnisses immer mehr in den Hintergrund. Innen-Perspektive? Was soll das denn sein?

Der Bumerang, der da lautlos heran rauscht, ist die mangelnde Zuwendung und konkrete Sorge um die eigene Brut: Längst wird sie am scheinbar bequemen digitalen Betreuer abgegeben; die Ruhe ist nicht nur trügerisch, sondern auch toxisch. Toxisch?

Und wie!

Seitdem die Verweildauer unserer Kleinen vor den Flimmerkisten exponentiell zunimmt, die Stille in den Wohnungen scheinbar wohltuend den Nerven schmeichelt, nimmt die Bereitschaft zum Selber Lesen, Schreiben oder zumindest Zuhören im Unterricht ebenfalls exponentiell ab. Und damit werden nicht nur Begabungspotentiale mehr und mehr verschüttet, sondern auch die nachwachsende Generation mehr und mehr in scheinbar ausweglose Abhängigkeit von KI und digitalen Helfern gebracht. Lautlos, nachhaltig und unbarmherzig endgültig. Und dann kommt das neue „Betreuungsmuster“ als lautloser Bumerang auf Europas überalternde Gesellschaften unbarmherzig zurück:

Die Betreuung der Alten und deren Begegnung mit den Jungen verkommt zu einer bloß noch digitalen Erfahrung, deren Kälte und Austauschbarkeit nicht mal mehr als solche erkannt wird.

Eine Welle des Verstummens überrollt so die Alten wie die Jungen, sie entfernen sich wehmütig voneinander, als gäbe es keinen Weg aus diesem digitalen Labyrinth.

Immer deutlicher werden die Probleme vor allem in den ersten Klassen unserer Grundschulen, weil die Kinder, die dort um Wissen und Kenntnisse nachsuchen sollen, weder Geduld noch soziale Kompetenzen mitbringen, die ein gemeinsames analoges Lernen – und damit ein ertragreiches Lernen – unbedingt benötigt würde.

15 Nov

Neue Geschichten 2021 – Leseprobe

Zwei alte Freunde tauchen aus dem Nebel auf. Geschichte # 16

Haben Levin und Jonathan das nicht alles nur geträumt? Diesen irren Tanz des Laber-Dämons eben mitten in dem Meerestrichter? Die beiden Freunde kneifen sich gegenseitig in die Arme.

„Aua!“ jault Levin auf.

„Hä?“ jault Jonathan zurück, „war also doch kein Traum?“

„Weiß nicht, is ja auch egal, ich will jetzt endlich wieder nach Hause, echt!“ schiebt Levin hinterher. Seufzend schließen sie die Augen, während Walambo, ihr treuer Wal, langsam wieder Fahrt aufnimmt, nebenher natürlich verlässlich Boso, der wunderschöne Mantarochen. Meerwind streicht über das salzige Wasser, Nebel kommt auf.

„He, ihr zwei, statt zu schlafen, solltet ihr besser mal mit aufpassen, dass Walambo in diesem Nebel nicht mit einem Container-Riesen-Schiff kollidiert“, poltert Boso mürrsich.

Pomme de Terre, ihr Hasenfreund, schnüffelt währenddessen neugierig an der Klinge von Malsung, dem gläsernen Schwert, als wäre es essbar. Die Nebelschwaden zaubern einen feinen Glanz auf seine Schnuppernase. Jonathan öffnet wenigstens einen Spalt weit die Augen, um so zu tun, als wolle er Bosos Aufforderung nachkommen. Container-Schiff, so ein Blödsinn, denkt er dabei. Neben ihn fängt Levin glatt zu schnarchen an.

Da meint er plötzlich im Nebel doch etwas zu sehen, etwas Zappelndes, etwas wie zwei große, dünne Streichhölzer. Streichhölzer, hier auf dem Meer im Nebel? So ein Quatsch aber auch. Augen zu! Dann will er es aber doch wissen, also Augen wieder auf, so ein bisschen wenigstens.

Ne, das gibt es doch nicht: Diese beiden zappelnden Streichhölzer im Nebel werden größer und größer, sie scheinen auf einem Floß zu tanzen, das näher und näher kommt. Wie Michael Jackson und sein Double, so tanzen sie – Arme und Beine wild hin und her schlenkernd – und das Floß, das gerät dabei ziemlich in Schieflage. Wenn die nicht mal ins Wasser fallen, denkt Jonathan und schubst Levin in die Seite:

„Siehst du auch, was ich sehe, da vorne? Michael Jackson im Doppelpack?“ fragt er leise seinen Freund. Der traut seinen Ohren nicht und erst recht nicht seinen Augen:

„Bitte, lass mich doch schlafen, bis wir zu Hause sind, bitte!“ murmelt er grantig.

„Na gut, dann eben nicht!“ Jonathan ist sich inzwischen aber ziemlich

sicher, dass es keine Fata Morgana ist, auch kein Nebelgeist, auch keine Streichhölzer sind es, sondern zwei Jungens, die auf dem Floß heftig tanzend und winkend auf ihn zu driften. Denn trotz des Nebels kann er sie jetzt deutlich erkennen, denn Walambo steuert geradewegs auf sie zu: Nein, das glaube ich nicht, das, das – in seinem Kopf purzeln nur so die Gedanken, Namen und Bilder durcheinander – das, das – die beiden sehen aus wie Jack und Moritz, seine zweitbesten Freunde! Vor Schreck verschluckt sich Jonathan dabei an der eigenen Spucke. Er hält die Luft an. Doch dann fast er sich ein Herz und brüllt los wie ein Löwe:

„Jääääääääck – Mooooooritztztztzt – hey – wo kommt ihr denn her?“

Und ob das nun doch alles nur ein Traum ist, der da in seinem Kopf Saltos schlägt, oder ob das wirklich wahr ist trotz Nebel, trotz Laber-Dämon, trotz allem, das erfährst du aber erst in der nächsten Folge der Geschichte von Malsung, dem gläsernen Schwert, das dabei eine wichtige Rolle spielen wird. Wird jetzt aber nicht verraten….hihihi….

14 Nov

Europa – Meditation # 296

EIN ALTER MYTHOS NEU ERZÄHLT:

Die Europäer hatten schon immer eine Menge Phantasie. Vor langer Zeit erfanden sie sich nicht nur all die Wörter, um das Dauerfeuer auf ihre Sinne in ihrem Gehirn scheinbar zu bändigen und zu entzaubern, nein, sie erfanden auch ein Gesellschaftsspiel, dass den Mann zum Herrn über die Frau verewigen sollte – die Patrix. Passend dazu natürlich auch einen unsichtbaren Gott, der ihre Erfindungen erst ermöglicht habe. Da sie sich nicht nur an die Macht ihrer Wörter und ihres unsichtbaren Gottes, sondern auch an die über das andere Geschlecht gewöhnten und ihre Wahrnehmungen als Wahrheiten postulierten, lieferte ihnen das Wort „Natur“ alle Antworten für alle Fälle. Der Name Europa stand dabei für „die Weitsichtige“, sie war überwältigt und vergewaltigt worden – nun standen die Männer sehnsüchtig an Europas Gestaden und segelten neugierig los in die weite Welt.

Ihre Sicherheit im Umgang mit ihren erfundenen Begriffen brachte sie so weit, dass sie Dinge zu erfinden verstanden, die durch bloßes Nachdenken und durch Versuche zu erstaunlichen Ergebnissen führten, die ihnen das „Recht“ gaben einer scheinbar grenzenlosen Inbesitznahme von Welt und fremden Kulturen und Menschen. Längst war vergessen, dass alle Vorstellungen von sich und der Welt wortreiche Erfindungen waren, die nur oft genug wiederholt worden waren, um nicht mehr bloß als Vorstellungen zu gelten, sondern endlich auch als unumstößliche Wirklichkeiten, Gesetzmäßigkeiten, denen sich anzupassen, bzw. zu unterwerfen, wahre Freiheit bedeutete.

Viele Jahrhunderte lang legte sich dann das Netz dieser klugen Worterfinder über den Rest der Welt. Ihre Erfolge schienen ihnen Recht zu geben: Ein Weltreich von Europa aus kontrolliert, der Reichtum zu Hause prachtvoll ausgestellt in Architektur, Kunst und Mode. Man(n) wurde nicht müde, solche Herrschaft als gottgewollt (manifest destiny) herzuleiten, Ausbeutung und Unterdrückung der betroffenen Kulturen waren so also auch kein moralisches Problem und das erfundene Gesellschaftsmodell aus Griechenland (auch dort durften nur die wohlhabenden Männer wählen und mitbestimmen, Sklaven und Frauen waren „natürlich“ draußen vor) – die demokratia – passte wunderbar zu diesem Bereicherungs- und Vernichtungsmodell: wieder liefern die Wörter – in einer Endlos-Werbeschleife – den Text zur natürlichen Herleitung solcher unnatürlichen Verhältnisse.

Aber ein Fremdwort liefert nun die Bezeichnung für die Bruchstelle im Wortsystem der Europäer: Der B u m e r a n g.

Wortgebilde wie Klimawandel, Umweltschmutz, Arten Sterben, Pandemien fallen nun auf ihre Erfinder und Verursacher zurück. Weder der ehemals so mächtige unsichtbare Gott, noch die uneinsichtigen Männer selbst mögen allerdings solche einer neuen Erzählung europäischer Geschichte folgen.

Doch da erscheint auch der Name Europa – die weitsichtige – in neuem Bedeutungslicht: Der alt gewordene Selbstbetrug, der den Wortbau zu Babel zum Einsturz bringt, ist auf weite Sicht ein eher peinliches Auslaufmodell scheppernder Worthülsen geworden. Und die neuen Wörter, die die Europäer nun erfinden müssen, werden alle jenseits der Matrix Patrix zu bilden sein: sehr weiblich, sehr langsam, sehr geduldig und sehr mitverantwortlich für eine Umkehr, zu der es keine wirkliche Alternative mehr gibt – es sei denn: Die Männer kneifen die Augen zu, halten die Luft an und stürmen dann brüllend wie verrückt gewordene Bonobos los – wohin auch immer und wozu auch immer, jedenfalls erbärmlich kopf- und wortarm: „Lügen, nichts als Lügen!“ In diesen verzweifelten Slogan wollen sie sich flüchten, längst wissend, dass es eine ziemlich ungemütliche und fatale Sackgasse geworden ist!
Mehr Phantasie als je ist angesagt – ganz neue Wörter gilt es einzuüben, jetzt!

Wenn wir nicht wie Lemminge alle in den Abgrund rennen wollen, hat das Warten auf frohe Botschaften von oben keinen Wert mehr. Das gute Gefühl, das sich mit den neuen Wörtern und Vorstellungen bei jedem von uns einstellt, ist der Gradmesser für die Möglichkeit eines Auswegs aus der selbstverschuldeten Untergangsperspektive; Zahlen und Tabellen sind da nur wie Nebelkerzen – Intuition und Bauchgefühl sprechen dagegen eine wohltuend rettende Sprache. Wir Europäer müssen sie jetzt lernen – und zwar in einem Schnell-Kurs! Konferenzen wie die in Glasgow sind da nur noch peinliche Beispiele für unangebrachte Sandkastenspiele.