17 Dez

Europa – Meditation # 302

Mit wachsendem Tempo durchs turbulente Trugbild der Sprache

D i a l o g # 2

Der eine: „Die Leute haben einfach keine Lust mehr auf schlechte Laune, Bevormundung durch den Staat, Stillhalten. Die wollen einfach jetzt ihren Spaß haben. Wie sollen die denn zu Weltveränderern werden?“

Der andere: „Ach, spielst du jetzt den Fatalisten? Können ja sowieso nichts ändern? Was für eine erbärmliche Selbstbetrugs-Posse!“

Der eine: „Hör mal, du siehst dich also auf der Seite der Durchblicker, der „die Wahrheit beim Namen nennen“- Rufer in der Wüste: vielleicht hast du ja sogar schon das passende Karnevalskostüm dafür?“

Der andere: „Auch die Zeit für Scherze ist vorbei. Was glaubst du eigentlich, warum facebook in Zukunft „Meta“ heißen wird?

Der eine: „Na, der Zuckerberg will einfach ein bisschen Abwechslung in den grauen Pixel-Alltag bringen, denke ich.“

Der andere: „So naiv sein können wir uns jetzt aber wirklich nicht mehr leisten. Ich will es mal auf den Punkt bringen: Das ganze Evangelium von der Digitalisierung (vor allem endlich auch in den Schulen!) ist nichts anderes als ein globales Placebo, damit der Konsument seine double-fear losbekommt.“

Der eine: „Was ist das denn jetzt für ein Anglizismus, den hab ich ja noch nie gehört? Wenn du aufklären willst, solltest du nicht in Rätseln zum Konsumenten sprechen, mein Lieber!“

Der andere: „Schau sie dir doch an, die erfolgreichen Frauen und Männer in den Broker-Zentren! Denen steht die Angst doch ins Gesicht geschrieben. Nur ja keine Fehler machen, nur ja gute Zahlen präsentieren beim nächsten meeting, nur ja nicht den Konkurrenten an sich vorbei ziehen lassen!“

Der eine: „Ach so, du meinst den Konkurrenzkampf, klar der ist hart und unerbittlich und global vernetzt, stimmt. Da hat man natürlich in seiner Hausapotheke ein paar Pillen, die einem über den hektischen Tag helfen werden, klar. Und drunter weiter diese Angst, klar. Und die andere Angst in deinem double-fear-Feuerwerk?“

Der andere: „Die andere Angst ist natürlich die vor der Zukunft, die ja gar nicht mehr rosig aussieht. Klimawandel, Naturkatastrophen direkt vor der Haustür seit neuestem (siehe Ahrtal oder Palma-Vulkan, um nur zwei zu nennen, von dem Tornado in Kentucky hast du ja sicher auch gehört oder?). Wie soll man denn mit dieser Angst umgehen? Pillen gibt es dagegen noch nicht. So helfen wir uns eben mit einem intensiven Pixel-Pillen-Cocktail und da wären wir dann auch wieder beim Metaversum aus dem sonnigen Californien.“

Der eine: „Gruselig, ehrlich. Das sieht ja fast so aus, als würden wir freiwillig in eine neue Matrix einchecken.“

Der andere: „Du bringst es auf den Punkt. Angst fressen Seele auf.“

10 Dez

Europa – Meditation # 301

Mit wachsendem Tempo durchs turbulente Trugbild unserer Sprache.

D i a l o g # 1

Der eine: „Hör mal, das mit den Ausschüssen im Bundestag ist ja wohl nur noch peinlich – oder?“

Die andere: „Ach ja, du wunderst dich über solche parlamentarischen Peinlichkeiten? Ich nicht.“

Der eine:

„Geht es im Parlament denn nicht ums Allgemeinwohl, für die wir die Parlamentarier gewählt haben?“

Die andere:

„Das ist jetzt nicht dein Ernst oder? Da geht es um parteipolitische Vorteile, Stellen, Gehälter, Pensionen und Seilschaften, um die Macht zu festigen, die einem gerade auf Zeit geliehen wurde, sonst nichts. Deshalb konnte die AfD auch den Ausschussvorsitz des Innenausschusses ergattern, das war von FDP und Grünen reines Kalkül, sonst nichts.“

Der eine:

„Und ich hatte gedacht, jetzt käme die Wende nach der alternativlosen Lähmung unter der Vorgängerregierung.“

Die andere:

„Wende? Was war denn die sogenannte Stunde Null, damals? Eine Wende, eine Zäsur? Nee, man hüllte sich über das Vergangene in Schweigen und machte als Persil-Gereinigter einfach weiter. Und 1989? Eine Zäsur? Nur insofern ein paar Bundesländer kompromisslos mit ins Boot geholt wurden, der alte Kurs ging aber unvermindert weiter, gnadenlos.“

Die andere:

„Und so ist es jetzt auch mit der sogenannten AMPEL: die macht genau da weiter, wo die alten aufgehört haben: Pandemie und Kapitalie. Zwei unangenehme Burschen, die beiden – weil unaufhaltsam und rücksichtslos gegen alles und jeden – sollen nun mit einer neuen Mannschaft bekämpft und besiegt werden.“

Der eine:

„Und du willst mir jetzt wohl klar machen, dass sich da nichts ändern wird, also keine Wende in der Klimapolitik, keine Wende…“

Die andere:

„Du sagst es. Oder glaubst du wirklich, dass jetzt das Ende des Individualverkehrs in Ballungszentren ansteht, dass kostenloser Shuttle-Verkehr (elektrisch angetrieben, versteht sich) stattdessen alle fast lautlos von A nach B bringen wird – ohne Staus, ohne Hupkonzerte, ohne Abgase, dass Deutschland nun die Schweiz überholen wird als Eisenbahnnetz-Weltmeister?“

Der eine:

„Mit anderen Worten: die Wende besteht lediglich darin, dass neues Vokabular für alte Probleme ausprobiert wird, dass aber hinter der sprachlichen Euphorie der Ampler die alten Muster weiter den ächzenden Planeten malträtieren werden – eben nur ein bisschen weniger offensichtlich, nur ein bisschen weniger aggressiv, nur etwas verzögerter?“

Die andere:

„Na, da staune ich aber: Du lernst ja richtig flott, fein. Die Pandemie wie die Kapitalie kennen eben nur ein Muster: Mehr, schneller, radikaler.

Der eine:

„Ja, und wir wollen ja weiter möglichst günstig Klamotten einkaufen, möglichst günstig das Bestellte sofort vor der Tür haben; ungünstig bleibt es aber weiter für die, die es machen müssen.“ (Fortsetzung folgt)

01 Dez

Europa – Meditation # 300

Die Claque und die Wutbürger in wildem Streit

Europa erlebt gerade eine Geschichte, die kein Märchenerzähler besser erfinden könnte. Die letzten Tage der Menschheit…großes Theater der Jasager und der Neinsager….doch leider schaut niemand zu, denn das Theater findet nicht mehr auf einer Bühne statt, sondern im banalen Alltag selbstgerechter Besserwisser. So oder so.

Hatten nicht längst große Geister wie Heraklit, Lukrez, Montaigne, Sterne, Rousseau und Hölderlin brauchbare Angebote gebracht, Frieden zu schließen mit sich und der großen Natur, die ohnehin macht, was sie will?

Wäre nicht ein „Schuster, bleib bei deinen Leisten!“ – Lied besser angesagt, als dieses öde Ich, Ich, Ich bin der klügste im ganzen Land?

Weil aber immer schon im Vorhinein scheinbar klar ist, wer warum Recht hat, ist der babylonische Turm wortgewaltiger Geröllhalden als solcher gar nicht mehr im Blick. Vernebelt, selbstverliebt gestikulieren die Akteure, die sich alle für bestens informiert und bestens logisch aufgestellt halten, aus dem Bauch heraus ihre unverdauten Gefühlssäuren auskotzend unablässig wie in Dauerschleife die immer gleichen Argumente wie giftige Pfeile abschießen, während in laborähnlichen, sterilen kleinen Räumen in Tiefschlaf versenkte überlebenswillige langsam wegsterben, ohne je wieder die lieben und vertrauten Mitstreiter zu sehen, zu hören, zu spüren, zu sprechen, zu lieben oder eben auch zu hassen.

Was ist eigentlich gemeint, wenn schon Aristoteles behauptet, der Mensch sei ein Gemeinschaftswesen? Dass sie sich in dieser Gemeinschaft gemeinschaftlich umbringen sollen, sich in unzähligen bunten Ich-Blasen aufpupen dürfen zu scheinbar selbstbewussten Riesen, die sich von niemandem sagen lassen wollen, wo es lang geht?

Was bedeutet denn das eitle Wort vom I n d i v i d u u m , das uns seit der sogenannten Aufklärung

(sind wir angesichts der derzeitigen Not nicht eher unaufgeklärter denn je und reagieren kopfloser als je gedacht?)

in den schillerndsten Facetten begleitet und vorführt, denn anderes als dass jeder ein Wunder an Varianz ist, ja, aber auch jeder ein zeitlebens hilfsbedürftiger Versuch bleibender Winzling, der nur einen kurzen Augenblick ein Da-Sein für sich in Anspruch nehmen darf, um dann wieder lautlos im chaotischen und unbegreiflichen Sternenregen zu verschwinden? Was helfen da die vielen europäischen Sprachen und Kulturen, wenn nicht dies als Botschaft immer wieder bescheiden auszusprechen:

Wir sind Teil des Fließens einer unendlichen Möglichkeit, die sich ab und an in kleine Teilchen verkörpernd verdinglicht, deren Glitzern und Farbenpracht auch ohne uns weiter strahlt und ist. Welch nutzlose Verschwendung eigenen Lebens, wenn es in solchem Geschrei sich meint austoben zu müssen und gleichzeitig schon der vorletzte Augenblick des eigenen Seins lautlos eingeläutet wird?