23 Jan

Europa – Meditation # 311

Wird es je aufhören können? (Teil 1)

Wann hat es denn überhaupt angefangen? Was war es für ein Narrativ, das diesem verqueren Männerbild zugrunde liegt? War es nicht die Erzählung vom starken Mann in grauer Vorzeit im Zweistromland, an dem ein „starker, unsichtbarer Gott“ sein Wohlgefallen hatte, wenn er seinen Geboten gehorsam folgte? Und der unnachsichtig bestraft wird, wenn er sich nicht an die Gebote hält? Der stärker war als die Frau und der seine Triebe – vom einem bösen Dämon versaut – zu bekämpfen hat? Dem dann später im Römischen Reich kluge Kirchenmänner weiter halfen, weil Lohn im Jenseits versprochen wurde – wenn die Gebote eingehalten wurden. Und konnte später dann nicht die Gewalt gegen Kinder und Frauen in der Beichte klamm heimlich gestanden werden (wobei der Priester beim Zuhören seine eigenen Gelüste bedienen konnte)? Schuld wurde und wird so folgenlos entsorgt. Bis heute.

Warum sich über den letzten oder den jetzigen Papst denn wundern? Sie sind doch in besonders exponierter Stellung Garanten dieser großen Erzählung, in der die Triebe – das, was die Natur von jeher kreativ voran gebracht hat, in all seinen Formen und Wesen – zu bekämpfen sind, als minderwertig verteufelt und von Frauen heimtückisch benutzt. Sie fühlen sich nur als Treuhänder einer mächtigen Institution, die es um jeden Preis zu schützen gilt.

Ob eine junge Joggerin in Irland oder in London überfallen, von Männern missbraucht und getötet wird oder ob ein erfolgreicher Trainer junge Turnerinnen drangsaliert, demütigt oder auch missbraucht oder ob ein Schulleiter samt Kollegen in seinem Kielwasser in einem Internat über Jahre Jungen missbraucht oder ob es ein Knabenchorleiter ist, selbst bis in die polizeilichen Ermittlungen und Prozesse hinein, die ja auch wieder von Männern überproportional betrieben werden, ist diese uralte Geschichte vom dominanten Mann und der schwachen und die Sinnlichkeit missbrauchende Frau wie selbstverständlich gegenwärtig – bis in die Sprache und ihre Bilder hinein. Gewalt und Angst sind die beiden Portalfiguren darin.

So schwenkt die mediale Kamera von einem sozialen Fenster ins andere und scheint sich jedes mal zu wundern, dass es immer wieder – siehe Bergisch Gladbach (schon vergessen?) – die gleichen Männer sind, die zu Tätern werden: Die sich selbst missbraucht sehen von ihren Eltern, die sich selbst in der eigenen Gruppe gehänselt oder verlacht sehen, die im Beruf mit der Konkurrenz zu erfolgreichen Frauen nicht klar kommen, die in ihren Beziehungen keine angemessene Sprache finden, Sexualität als befriedigend einzubinden, die scheinbare Herrscherpositionen (als Chefs, Leiter, Trainer, Professor oder hütender Hirte ihrer Gemeinde) gerne nutzen, um Abhängige zu malträtieren.

Berichte dazu europaweit – jeden Tag. Die katholische Variante ist da von Irland bis Sizilien oder Zypern besonders auffällig, aber sie ist eben nur eine Variante unter vielen.

16 Jan

Europa – Meditation # 310

Politik möchte auch mal poetisch sein dürfen!

Was ist das denn für ein befremdliches Ansinnen, das da aus dem Parlament ins OFF stolpert? Die Idee, dem deutschen Bundestag eine Parlamentspoetin oder einen Parlamentspoeten zu berufen, tut zwar irgendwie gut und könnte einen glatt zum Lachen bringen – angesichts der in Dauerschleife wabernden Themen der Pandemie, der Klimakrise, der Kriegstreiber und der professionellen Gesundbeter – aber „mit Poesie einen diskursiven Raum zwischen Parlament und lebendiger Sprache zu öffnen“, lenkt nicht nur von eben diesen brennenden Themen ab, nein, sie verundeutlicht den wesentlichen Unterschied zwischen politischem Diskurs und poetischer Widerständigkeit zu dem, was für wirklich gehalten wird.

Jede Vereinnahmung von Kunst in die politische Sphäre hat doch nur gezeigt, wie sehr dann Politik die Kunst für ihre Ziele vereinnahmt – wo auch immer es so inszeniert wurde: Im Südafrika der Apartheid, im Guantanamo-Betreiber-Land, in der UdSSR oder der DDR. Die Gedichte oder Romane funktionierten prächtig als Nebelkerzen, die das Gewaltmonopol der jeweils Herrschenden idealistisch zu befeuern hatten. Wie sehr dagegen die autonome Kunst gleichzeitig dort bekämpft wurde, lässt sich an zahllosen Beispielen von Künstler-Existenz-Vernichtungs-Büros und deren Handlangern zeigen. Auch die Zeiten vor und während der beiden Weltkriege in Europa liefern für beide Muster genügend Beispiele: Neben der Verherrlichung des Staates und ihrer Repräsentanten durch Staatsliteraten, Maler und vor allem Bildhauer, die unbestechlichen Künstler, die dabei ihre Existenz aufs Spiel setzten, ins Exil gehen mussten (wenn sie es denn noch schafften) oder samt ihrer Werke vernichtet wurden.

Als kleiner Exkurs vielleicht Amanda Gormans Auftritt auf dem Capitol Hill:

jung, euphorisch, selbstbewusst und schwarz trug sie mit Verve ihre Utopie in Versen vor – The Hill We Climb – medial ein bezauberndes Ausrufezeichen.

Dabei machte sie sich zur jubelnden Komplizin eines politischen Konzepts, das der „weiße Mann“ mit rassistischer Gewalt nach wie vor durch boxt (Guantanamo lässt grüßen!) und dass sie in ihrem kühnen „We“ ertränkte, als wäre es göttliches Nektar und Ambrosia. Ein Instrumentalisierung der Kunst (und in diesem Falle auch der Jugend) zum Zwecke einer Identitätshymne, hinter der sich scheinbar alle vereint sehen sollen. Was für ein bodenloses Theaterstück!

Die Kunst muss sich einfach zu schade bleiben für solchen Missbrauch, sie sollte weiter das Geschäft betreiben, das uns als Zeitgenossen zugemutet werden muss: Sprache ist keine wirkliche Wirklichkeit, sie schafft aber eine, die undeutlich und vieldeutig uns immer wieder damit konfrontiert, dass wir alle an Narrativen stricken, die home made sind, kurzlebig und dünnes, allzu dünnes Eis, auf dem wir leichtfertig eine Komfortzone einrichten, die jeden Augenblick sang- und klanglos einstürzen kann.