23 Apr

Europa – Meditation # 334

Ein visionäres Statement der Simone Weil aus dem Jahre 1943

Vor knapp achtzig Jahren fasste Simone Weil die Situation in Europa folgendermaßen zusammen:

„Europa bleibt im Zentrum des Dramas…Wenn wir nur durch Amerikas Gelder und Fabriken befreit werden, fallen wir auf die eine oder andere Weise in eine Form der Knechtschaft zurück, die der heutigen gleicht.“ (Simone Weil 1943)

Ähnelte nicht tatsächlich nach 1945 die Befreiung Deutschlands von Diktatur und Terror durch die Amerikaner einem New Deal, in dem die Europäer ihre Seele verkauften, um einen sogenannten Neuanfang angeboten zu bekommen?

Und schien es nicht so, dass Jahr für Jahr dieser „DEAL“ sich als d e r Joker herausstellte: wachsender Wohlstand, wachsender Konsum, wachsende Mobilität, wachsende Einkommen, wachsende Konten, wachsende Börsenkurse…die politische Gestaltung abgegeben an eine Parteiendemokratie, deren Verfassung natürlich auch maßgeblich von den Siegermächten mitgestaltet worden war.

So konnten die Bürger mit ihren blitzenden Statussymbolen stolz durch die Gegend düsen, überließen die Politik – nun ja, alle vier Jahre mal das Bestehende abnicken, war ja zumutbar – den „Profis“ und assistierten den USA bei ihrer Containment-Policy.

Dass sie dabei immer mehr historisch gewachsenes Selbstbewusstsein als Europäer an den großen Bruder abgaben, dem es nur um Absatzmärkte und Einflusszonen ging, war auch kein Problem, da man ja gelernt hatte, den Mund zu halten – vor 1945 wegen der Geheimen Staatspolizei, nach 1945 wegen der Persilscheine und der Re-education – und das Private so ins Zentrum rückte. Gelder und Fabriken expandierten, wir kopierten fleißig auch international das Spiel der Amerikaner und wurden so Weltmeister im Exportieren von Waren – an wen auch immer – Hauptsache man konnte zuhause die Kredite der Banken weiter bedienen. Wenn autoritäre Regime pünktlich zahlten, redete man sich hierzulande die Weste weiter weiß. Und natürlich wird niemand solch einen Habitus als eine Form von Knechtschaft bezeichnen, klar! Denn jeder hatte ja die Freiheit, aus sich und seinem Geld das zu machen, was er wollte. Geradezu paradiesische Verhältnisse.

Und jetzt ein neues Drama: Die liebgewonnenen Muster scheinen plötzlich in Gefahr geraten zu sein. Krieg vor der NATO-Haustüre! So werden über Nacht aus Tauben lauter sportliche Falken, die jetzt ganz schön steil gehen. Was aber sind die grundlegenden Werte? So lange blieb jedem Euro-Freak erspart, über die Frage nachdenken zu müssen: Woher kommen wir Europäer eigentlich, wer sind wir aber inzwischen geworden und wohin wollen wir denn überhaupt? Und wer sind diese WIRS eigentlich? Knechte?

22 Apr

Europa – Meditation # 333

Der Begriff der Moderne – bloßes Blendwerk.

Was für ein strahlender Begriff! Moderne!

These: Wie auf einem steil nach oben weisenden Vektor jubelten sich die Erdlinge in eine euphorische Fortschrittsideologie, deren Atemlosigkeit und Blindheit wahrlich ohnegleichen war. Und sie hält unvermindert an.

Nach einer Phase der eitlen und selbstsicheren Selbstbespiegelung – der sogenannte friedlichen globalen Vernetzung und „Einen-Welt-Gewissheit“ – folgt nun ohne jeden Übergang – wie Phönix aus der Asche – das schrille Kriegsgeschrei:Verteidigen wir endlich streitbar unsere hehren Werte, jetzt!

Dabei vernebelte von Anfang an der Begriff der Moderne den beginnenden Absturz in eine auf materielle Verfügbarkeit setzende Arbeitswut. Die zunehmende Versklavung der Species – das brutale Zeitalter der Kolonialisten – brachte Sieger wie Besiegte in eine sich immer schneller drehende Spirale von materiellen Zwängen, die auch vor der Ausbeutung der Natur nicht halt machen wollte und konnte. Dabei wurden alle Veränderungen als zukunftsweisende Zuwächse an Verfügbarkeit der Welt verkauft. Und in der endlosen Wiederholungsschleife solcher Jubel-Gesänge wird längst dieses Hauen und Stechen als Friedenszeit verkauft, weil die zu beklagenden Opfer als solche nicht mehr erkenn- und erklärbar scheinen (höchstens als Kollateralschäden unterwegs zum Zenit der Menschheitsgeschichte): Die Demontage der Innensichten der zahllosen Protagonisten und der äußeren Natur gehen inzwischen Hand in Hand als Peak der Moderne.

Demzufolge ist die Wende von der sogenannten friedlichen Epoche zur neuen Epoche kriegerischen Gebarens nur wieder die andere Seite derselben Medaille: Die Moderne schillert eben – und blendet so – mal so und mal so, sie ist als solche aber einfach unschlagbar, denken die Erdlinge und berauschen sich wie Süchtige am eigenen Denkmodell Moderne. Alternativlos. Schon so oft das Totschlagargument der jeweils maßgeblichen Akteure und Aktionäre.

Dass auf den Monitoren zwei Jahre lang die Pandemie-Tabellen das Sagen hatten und wir konsterniert das Auf und Ab auf unserer Couch ertragen mussten – von den nachhaltigen, psychischen Schäden wollen wir hier gar nicht erst reden – , ist nun endlich ersetzt worden durch Karten, auf denen bunt gekennzeichnete Aufmarsch- und Einschlag-Szenarien in aller Ruhe vom Betrachter bewertet werden können, fast so wie der Wetterbericht.

Die Einsamkeit und Ängste der Menschen allerdings wabern unterdessen weiter wie unverdaute Rohkost und führen zu Blähungen, Krämpfen und Schmerzen, vor denen sie nicht weglaufen können.

17 Apr

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 136

Archaikos weiß die Ratsherren zu überlisten. (Teil 2)

Die Fragen, die der Minos von Kreta gerade seinen Ratsherren vorgetragen hatte, sorgen für eine unheimliche Stille im Saal. Nur die schwarzen Krähen oben an den Dachluken laufen hektisch hin und her, flattern mit den Flügeln und hämmern mit ihren Schnäbeln auf die Holzrahmen, dass es unten nur so hohl klopft und klopft.

Archaikos nutzt die Sprachlosigkeit der sonst so beredten alten Männer für einen Vorschlag. Wie aus heiterem Himmel ist ihm die Idee gerade zugeflogen:

„Wenn wir die Götter erzürnt haben sollten, müssen wir ihnen ein großes Opfer bringen, um sie wieder zu versöhnen. Wenn die Hohepriesterin und die Priesterinnen alle überlebt haben sollten, schlage ich vor, das geplante Tanzfest gleichzeitig als großes Opferfest für die Götter des Olymps zu veranstalten.“

Archaikos hält inne. Wie komme ich auf diese Idee, fragt er sich zitternd. Wer wird auf diesen Vorschlag antworten? Da ergreift Berberdus das Wort: „Und wenn sie alle tot sind? Was dann?“

Beifälliges Nicken in der Runde macht Archaikos nur zu deutlich, dass die Ratsherren nur zu gern hören würden, dass die Frauen und ihr Tempel für immer aus ihrem Leben verschwunden wären. Denn schon länger missfällt ihnen der zunehmende Einfluss der Großen Göttin und ihrer Priesterinnen. Und dann der Einfluss dieser fremden Frau, dieser Europa, die der Minos zu seiner Hauptfrau erkoren hat, ohne den Rat dazu befragt zu haben. Sollen sie doch alle dem Zorn der alten Götter zum Opfer fallen, sollen sie doch! Alle!

Da wird das schwere Tor zur Halle heftig aufgestoßen. Alle Blicke richten sich auf den Mann, der da im Gegenlicht schwer atmend steht, sich verbeugt, wartet. Ein Wink des Minos lässt ihn näher kommen.

„Was störst du unsere Beratung, Mann?“ fährt ihn Archaikos barsch an.

Der geht vor dem Thron in die Knie, verbeugt sich erneut, flach liegen seine zitternden Hände auf dem kalten Steinboden. Alle sind gespannt, was er zu sagen hat.

„Herr, großer Herr, Minos von Kreta, ich bringe Nachrichten von der großen Priesterin, Chandaraissa!“

„Mann, du weißt nicht, was du sagst. Sie und die Priesterinnen sind doch unter den Trümmern des Tempels begraben – oder weißt du es besser?“ Die Stimme von Archaikos ist leise, sehr leise, aber doch zugleich schneidend scharf.

„Beim Beben waren sie alle vor der Stadt zu einer Tanzprobe im Freien. Sie leben alle. Die Hohepriesterin hat mich geschickt, das zu sagen.“

Archaikos atmet tief durch. Die Götter sind mit ihm, denkt er erleichtert.

„Damit gilt mein Vorschlag – das Tanzfest wird zugleich Opferfest zu Ehren der Götter sein.“