17 Apr

Europa – Meditation # 332

Die Angst ist der Garant des Überlebens.

Auf lange Sicht genauso wie für den Augenblick im Jetzt gilt nach wie vor: Die Angst ist die Stimme in uns, auf die wir am meisten zu hören bereit sind.

Schon als Jäger und Sammler jagen die Erdlinge in kleinen Gemeinschaften, um so die übergroßen Gegner in eine Falle zu locken und zu besiegen. Die Angst vor dem Tod schmiedet sie zusammen. Die Angst macht die Erdlinge natürlich auch erfinderisch: Wie können wir erfolgreicher überleben, fragen sie sich bei den Pow-Wows in ihren Höhlen, wenn sie wieder einmal gerade so dem Tod von der Schippe gesprungen sind. Wie? Im Gespräch finden sie dann neue Lösungsmöglichkeiten, die sie ausprobieren werden. So schaffen sie es, die Angst ziemlich klein zu halten. Los werden sie sie natürlich nie.

Im April 1945 – also vor mal gerade 77 Jahren – werden die Ängste wieder heftig hoch gespült: Wo werden die nächsten Bomben einschlagen, wo lauern die sogenannten Werwölfe, um kriegsmüde Männer zu töten, wo ist die immer näher rückende Front (in den Ardennen liegen viele junge Männer aus Canada oder Nebraska begraben: Ihre Kriegslisten wurden von blindwütigen Männern überlistet, für die Sterben „Ehrensache“ war. Shit.) wo ist sie inzwischen angelangt? Am Rhein? Nein, schon über die Sieg hinaus rollen die amerikanischen Panzer nach Osten. Da legt die Todes-Angst den Besiegten die Chamäleon-Variante nahe: Friss Kreide, sei so, als wärest du demütig und zerknirscht und immer schon gegen den Krieg gewesen und von schlimmen Dingen hättest du sowieso überhaupt nichts gewusst. „Ich schwöre es!“ Wir sind im Grunde scheue Lämmer.

Da hat die Angst einen wirklich klugen Plan angeboten. Er funktioniert. Was für eine Erlösung! Bald baden die Chamäleon-Cracks in zunehmendem Wohlstand, die ehemaligen Feinde werden beste Freunde und die Angst soll mal schön in die zweite Reihe verschwinden. Hopp, hopp!

Und jedes Jahrzehnt schien die Angst immer kleiner werden zu lassen, das Bad in glitzernden Statussymbolen und in Eigenheimen und in umfangreichen Versicherungspolicen verführte die Erdlinge zu der Annahme, diese Ängste seien nichts anderes als Hirngespinste. Der einzelne sei auch nicht mehr auf andere angewiesen, er könne alles selbst managen. Ja, man setzte sogar noch einen drauf: Wir kreieren uns einfach künstliche Ängste als Ersatz sozusagen – in erhöhtem Tempo, in atemberaubenden Achterbahnfahrten, in Bungee-Jumping-Erlebnissen, in irren Drogencocktails und so weiter…die Angst als Lustgewinn. Einfach wunderbar – oder?

Dann – wie aus heiterem Himmel – Krieg im Osten. Die Angst geht um. Nicht nur in der Ukraine, nein, auch bei den Wohlstands-Ego-Künstlern. Und wie! Her mit den Waffen, haut das Geld da rein, wir müssen zusammenstehen, unsere Werte verteidigen, zusammenhalten! Die Angst wieder voll in ihrem Element. Eine Zauberin gewissermaßen.

Aber sollten wir tatsächlich ihren Einflüsterungen unbesehen folgen? Wir sollten uns wieder zusammensetzen, beraten, nicht übereilt entscheiden. Das ist nicht Schwäche, das ist Klugheit – auch gegen die Angst.

10 Apr

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 135

Archaikos im Rat der Alten. Warum zürnen die Götter? (Teil 1)

Völlig atemlos und ratlos wanken die alten Ratsherren in den Sitzungssaal. Krähen sitzen wie immer gelangweilt oben in den Lichtschächten und schauen auf das hektische Treiben herab. Was denn jetzt schon wieder, scheinen sie kopfschüttelnd zu fragen. Ist doch nicht das erste Erdbeben hier auf der Insel. Und uns kann es sowieso egal sein, uns Bewohnern der endlosen Lüfte. Aber neugierig sind sie dennoch.

Da werden ächzend die Flügeltüren zum Palast des Minos geöffnet und mit forschem Schritt tritt er ein, Archaikos. Gerade hat ihm sein Lieblingssklave gemeldet, was mit dem Tempel der großen Göttin geschehen ist. Ob die Alten es als ein schlechtes Omen ansehen werden? Er wird sehr vorsichtig sein müssen.

„Der Minos von Kreta!“ verkündet theatralisch der diensttuende Wächter und klopft mit seinem Stab mehrmals auf die Marmorplatte, dass es nur so wummert.

Man erhebt sich mühsam, verbeugt sich mehr schlecht als recht und wartet auf das Zeichen des Minos Platz zu nehmen.

„Werte Ratsherren! Danke, dass ihr den beschwerlichen Weg hier herauf auf den Burgberg nicht gescheut habt, um mit mir zu beraten, was angesichts der Zerstörungen, die das Erdbeben angerichtet hat…“

Da unterbricht ihn sein Intimfeind Berberdus schroff:

„Zerstörungen? Wir wissen nichts von Zerstörungen. Meines erachtens ist lediglich der Tempel der großen Göttin zerstört – wahrscheinlich sind alle Priesterinnen, auch Chandaraissa, die Hohepriesterin, unter den Trümmern begraben!“

Unheilvolles Rauen geht durch den Saal. In den Köpfen des Ratsherren pocht die Angst wie Kopfschmerzen an die Schädeldecken. Warum schicken die Götter solch ein Unglück über die Insel, über den Tempel? Warum zürnen die Götter?

„Genau!“ Keltberias, der immer alles besser weiß, meldet sich ebenfalls zu Wort, noch bevor Archaikos Berberdus antworten kann.

„Es lastet wohl ein Fluch auf dem Tempel – wie sonst lässt sich sonst dieses grauenvolle Ereignis deuten?“

„Vielleicht missfällt dem Olymp ja die Absicht der Priesterinnen, ein wildes Tanzfest aufzuführen, wer weiß!“

Archaikos ist sprachlos. Dass auch Oreukos, den er bisher für einen treuen Gefolgsmann gehalten hatte, ins gleiche Horn bläst, beschleunigt seinen Puls.

„Meine Herren! Könnte es nicht auch ein bloßer Zufall sein? Hätte es nicht auch diesen Ratssaal treffen können oder die Markthallen unten im Hafen?“

Archaikos hatte seine Fragen mit lauter Stimme vorgetragen und mit einer Miene, die den alten Herren deutlich machen sollte, seht euch vor, seht euch vor, wir sind alle in den Händen der Götter!“

10 Apr

Europa – Meditation # 331

Rückwärtsgewandte Kopfgeburten frei Haus.

Die Machos wittern Morgenluft. So viele Jahre schon mussten sie Kreide fressen, einen Kotau nach dem anderen vor der lächelnden Angela abliefern, moderate Gesten und Texte produzieren noch und noch. Dann aber kam das Rumpelstilzchen Putler aus dem Off und zauberte ihnen einen rosigen Morgen auf den Monitor:

Gewalt und Gegengewalt bestimmen nun wieder die Narrative der Medien, Aufrüstung ist wieder gesellschaftsfähig, Aktien in Rüstungskonzerne zu kaufen gilt endlich wieder als richtig cool und eine Frau als Verteidigungsminister können sich die Männer nun wirklich nicht mehr leisten – bei aller Liebe!

Und was die aber auch für Fehler machen: Geburtstagsfeier auf der Insel. Das sollte man wirklich besser verheimlichen, Frauen sind da einfach zu naiv; und bei einer Naturkatastrophe, da muss man einfach Gummistiefel anziehen, Parties absagen und forsch vor Ort breitbeinig in die Kamera martialischen Text absondern – und schon steigen die Umfragewerte.

Und wenn wir jetzt schon mal reinen Tisch machen sollen, dann können wir gleich dabei die letzten 16 Jahre neu bewerten:

Uns Männern war doch von Anfang an klar, dass eine versöhnlerische Ostpolitik nur nach hinten losgehen konnte. Damals hat man uns ausgelacht, realitätsfern gescholten – jetzt wird auch der letzten Frau klar, dass machtvolle Politik, die die eigenen Sicherheit nicht aus den Augen verliert, eben immer schon von Männer erfolgreich gestaltet wurde – Machiavelli lässt grüßen – wir können nur von Glück sagen, dass Trump uns ordentlich die Leviten gelesen hat und es jetzt kinderleicht geworden ist, den Wehretat ordentlich nach oben zu schrauben.

Das Außenministerium sei ihnen gerne gegönnt – sollen sie doch da chambrieren in farbigen Kleidern, der Kanzler bestimmt aber die Richtlinien der Politik. Und sobald der momentan flüsternde Säuselscholz sich selbst abgeschafft hat – denn auch in der Bekämpfung der Pandemie bedarf es einer resoluten Hand – werden wieder echte Männer das Sagen haben.

Selbst die stillgelegten Kernkraftwerke werden diese wild entschlossenen Männer, die so viele Jahren schon tatenlos zuschauen mussten, wieder anfahren; wäre doch gelacht!

So kann man endlich auch die Ära Merkel angemessen neu bewerten: Es sind verlorene Jahre, Raute hin, Raute her, die Stellung Deutschlands in Europa und der Welt kann endlich wieder aufgewertet werden, wir sind wieder wer oder besser: wir werden wieder jemand sein, wenn genügend Männer in Schlüsselposition nach dem Rechten sehen. Deutsche Rüstungsprodukte können dann endlich auch wieder in Krisengebiete geliefert werden, die Kurse werden durch die Decke gehen, Gold ist nichts dagegen!

Packen wir es an! Wir haben lange genug still halten müssen.