11 Mai

Europa – Meditation # 337

Im Kaleidoskop schön geredeter Wahrheiten.

Lambrecht – wie man aus nichts einen scheinbar kritischen Beitrag strickt.

Baerbock – wie man seine Meinung schön ändern kann, ohne selbst als hohltönend dazustehen

Man reist mit der Bahn und Bus nach Butscha, als wollte man die Tulpenblütenpracht in Holland fotografieren, weltweit kann der Rest das Tatort Besuchen bei Chips und Dosenbier mit verfolgen. Echt spannend, echt unterhaltsam. Auch so ein Kitzel, dass man schön außer Reichweite von unvorhergesehenem Raketenbeschuss alles dennoch scheinbar hautnah mit verfolgen kann. Cool.

Voller unerbittlicher Häme schnappt man sich den Hubschrauber-Schnipsel aus den social media: „Frohe Ostern“ und so – alles prima gleichzeitig, und das Sägen am Ast des Feuerstuhls, auf dem jeder Verteidigungsminister, bzw. seit einiger Zeit selbstverständlich Ministerin, hockt, ist für die Medien einfach Grundkurs im Madig Machen – zumal man ja nicht selbst die Kastanien aus dem Feuer holen muss. Denn die Widersprüche einer Armee in einer Demokratie sind kaum einzuhegen: zu viele wollen gerade da die Grundsätze von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit verwirklicht sehen. Wie unbrüderlich, bzw. -schwesterlich allerdings das bashing auf Teufel komm raus eigentlich wirkt, geht angesichts der Überfülle an Tomaten-Weitwurf-Wettbewerben einfach unter.

Als Intermezzo dann mal kurz wieder ein paar Grundsatzlitaneien: Nichts ist mehr wie vorher (eigentlich auch schon nur noch ein müder Rülpser – hatten wir doch eben erst wegen der Pandemie), denn dieser völlig „unvorhersehbare“(!) Krieg eines Monsters verändert unsere friedliche Welt über Nacht in einen Albtraum. Wie bitte? Friedliche Welt? Nur weil sich die Entfernung zum Ort des blutigen Geschehens etwas verkürzt hat (vom nächsten Kontinent nun zum nächsten Nachbarn), sollten wir nicht so naiv sein und uns die Vergangenheit schön reden.

Überhaupt zeigt sich in diesen Tagen das alte Lied lediglich in neuem Gewande: In – scheinbar in Dauerschleife eingenickt – blitzblanken Talkshows mit glänzendem Mobiliar und unterhaltsamen Filmchen in between kann der ach so kritische und unabhängige Zuschauer sich selbst ein Bildchen machen von den zurecht geschnittenen Bilderschnipseln in der Tagesschau oder ähnlichen Formaten. Natürlich mit ernst besorgter Miene, ausgewogen und emphatisch zugleich zeigen sich die Europäer von ihrer Schokoladenseite; schließlich unterstützt man die Helden am Dnjepr mit Solidaradressen, Fronttourismus und Hardware, gleichzeitig starren die potentiellen Häuslebauer auf die Börsenkurse und die Zinsveränderungen. Schnell noch einen günstigen Kredit an Land ziehen – man ist ja mit allen Wassern gewaschen; genau wie dieser Präsident, der da alleine locker über die Kiewer Avenue schlendert – kein Problem: die paradierenden Bataillone, Fahrzeuge samt Blasmusik können wir uns auch so schön vorstellen.

08 Mai

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 138

Krisensitzung der Olympier auf Kreta.

Talos, der Riese, der Kreta eigentlich vor Piraten oder anderen feindlichen Kriegsschiffen schützen soll, liegt volltrunken im Gras. Er schnarcht, rülpst, furzt und grunzt abwechselnd vor sich hin. Ein jämmerliches Bild bietet sich den drei olympischen Brüdern. Ihr schöner Plan ist völlig daneben gegangen.

Zeus knurrt wie ein Tier vor sich hin. Seine Brüder schauen peinlich berührt ins Blaue.

„Was für ein Versager aber auch, dieser Mini-Riese!“ grummelt er vor sich hin. „Was für ein Versager!“

Hades geht für einen Augenblick der unschöne Gedanke durch den Kopf, dass eigentlich ein ganz anderer der „Versager“ zu sein hätte, eigentlich, aber blitzschnell verjagt er diesen kränkenden und peinlichen Gedanken aus seinem Kopf und sagt stattdessen:

„Mein lieber Bruder, wir sollten einfach die wichtigen Dinge nicht delegieren. Noch ist das Tanzfest, noch ist diese Europa ja noch nicht erfolgreich gewesen. Es bleibt uns immer noch genügend Zeit, unsere Macht den Frauen gegenüber unmissverständlich vorzuführen.

„Wenn die uns nicht mal vorführen!“

Wie ein Blitz aus der Hand des Bliltzeschleuderers huscht dieses Bild Poseidon durch sein Denken. Aber auch er verbietet sich sofort das Erinnern daran.

„Bruder, wir werden am Tag des Tanzfestes hier auf der Insel einfach als Pilger mit dabei sein und ohne viel Aufhebens Nägel mit Köpfen machen. Punkt.“

Poseidon ist erstaunt, dass er das gerade gesagt haben soll. Aber an der Reaktion seines Bruders sieht er, dass es wohl so wahr.

„Wie Recht ihr habt, ihr beiden. Genauso werden wir es machen.“

Dabei wirft Zeus noch einmal einen verächtlichen Blick auf den ächzenden Riesen, der da voller Krämpfe und Zucken seinen Rausch ausschläft.

„Kommt, verlassen wir diesen traurigen Ort. Wir sollten uns in der Bar auf dem Olymp einen ordentlichen Absacker gönnen. Den haben wir jetzt doch redlich verdient – oder?“

Die drei klatschen sich ab, lachen etwas verklemmt, und Zeus ärgert sich dabei über sich selbst, weil er schon wieder an diese Europa denken muss und die unglaubliche Nacht mit ihr in der Höhle hier oben.

07 Mai

Europa – Meditation # 336

Der Blick in den Spiegel.

Frau und Herr Bequemlichkeit räkeln sich bräsig in der Hängematte.

Nach 77 Jahren ohne Krieg in Mitteleuropa erscheinen düstere Wolken am Horoskop-Himmel: Euer Wohlstand wird wie Butter an der Sonne schmelzen, weil der böse Putler einen Krieg vom Zaun brach und einfach weiter macht. Eure Sicherheit wird wie Schnee an der Sonne wegtauen, wenn ihr nicht ordentlich aufrüstet. Aber dalli, dalli.

Wie bitte? Ich denke ja gar nicht daran, mich auch nur beim Toilettenpapier einzuschränken. Und in Sachen Mobilität steht ja jetzt wohl nach der Pandemie Reisen ganz groß auf der Agenda. Ist doch so was von klar. Und Gas in Europa brauchen wir während der Ferien auf den Malediven auch nicht.

Es gibt für Rüstungsproduktion genügend Infra-Struktur, um die endlich mal wieder so richtig heiß laufen zu lassen. Börsianer geraten bereits in Schwärmen. Kurbelt vielleicht sogar die Wirtschaft wieder an und lässt uns an einer Rezession vorbeischrammen. Erhöhte Steuereinnahmen werden die Folge sein. Damit kann dann der erneute Aufschwung finanziert werden. Wahrscheinlich müssen wir diesem Putler sogar noch dankbar sein.

Sollen die Politiker sich mal was beeilen mit dem Ausbau regenerativer Energie-Versorgung. Arbeitsplätze en masse sind da drin!

Ich hab längst eine neue Karre bestellt – mit Batterie, versteht sich.

Also, was soll das Theater?

Sonst wäre aber ganz schön schlechte Laune angesagt. Wir Europäer sollen den Gürtel enger schnallen! Wie bitte? Das möchte ich aber erst mal selber entscheiden. Klar?

Mein Tag ist wohl getaktet und mit Gesichtscreme und after-lunch-nap genau verortet in meinem täglichen Wohlfühlambiente.

Bequemlichkeit? Nee, das ist der hart erarbeitete neue life-style.

Wohlergehen? Was soll das denn sein? Ach so, wandern, biken, Bücher lesen. Die cloud cloud sein lassen. Sollen die bots sich doch mit sich selbst unterhalten.

Mit mir jedenfalls ist da gar nicht zu rechnen. Sich erinnern? Woran denn?

Memento mori des achten und des neunten Mai‘s vor 77 Jahren!

Natürlich können Menschen auch ohne Komfort feste Feiern, heiraten, wandern. Natürlich kann man Klamotten auch länger tragen, natürlich muss die Bude nicht geheizt sein, um gut drauf zu sein. Aber das war eben vor 77 Jahren.

Erst wird man voll auf Egoismus und Individualismus getrimmt, dass sich die Balken biegen – vom Fitness-Center zum Beispiel – und nun soll auf einmal das „ bescheidene WIR“ wieder en vogue sein.

Nicht mit mir!