24 Jul

Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 143

Europa und Archaikos – Herrscherpaar auf Kreta (Teil 2)

Nach und nach – längst ist die Mondgöttin über der Insel emporgestiegen – kehren die Kreter in ihre kleinen Hütten und Häuser zurück oder schlendern noch am Ufer des kühlenden Meeres entlang. Es wird wenig gesprochen, denn sie sind alle noch so sehr beschäftigt mit den Bildern der Zeremonie vor dem Palast, als Europa und der Minos von Kreta in ihren bunt glänzenden Gewändern vor der Hohepriesterin Chandaraissa in die Knie gingen.

Gleichzeitig hocken unsere drei olympischen Brüder in ihrer Bar auf dem Olymp und starren in ihrer Gläser, gefüllt mit Nektar und Ambrosia. Und was sonst ein berauschender Wohlgeschmack zu sein pflegte, ist ihnen nun ziemlich schal auf der Zunge.

„Papa, schmeckt dir etwa unser Cocktail nicht mehr?“ fragt Athene, Zeus‘ Tochter, etwa spitz in die traurige Männerrunde. Die verdrehen nur die Augen. Poseidon und Hades wissen natürlich genau, dass ihr Bruder gerade den nächsten Plan ausheckt, um diese eitle Europa zu Fall zu bringen. Jetzt auch noch Frau des Minos von Kreta! Unglaublich! Da kommt Göttervater Zeus auch schon die rettende Idee. Hephaistos soll es richten: Wie wäre es mit einer olympischen, unterirdischen Feuersbrunst, die sich als gewaltiger Vulkanausbruch auf dem Meeresboden breit macht und mit einer ungeheuren Welle einfach diese übermütigen Inselbewohner von Kreta wegspült?

Als die beiden Brüder plötzlich das breite Grinsen auf dem Gesicht von Zeus bemerken, ist auch ihnen gleich klar, dass jetzt die große Abrechnung bevorsteht. Schließlich waren ja alle bisherigen Versuche peinlichst gescheitert.

Im Palast liegen Europa und Archaikos weich gebettet im weiträumigen Schlafraum des Minos und geben sich voller Leidenschaft ihrer Lust hin. Aber nicht nur sie lassen sich in hingebungsvoller Sinnlichkeit völlig gehen, sondern auch am Strand und in den Hütten und kleinen Häusern und in den Höhlen oberhalb der Stadt will der Sinnenrausch einfach kein Ende finden. Denn die fast schon vergessene Botschaft vom Glück hat an diesem Freudentag einfach alle Gitter um die eingesperrten Sehnsüchte niedergerissen. Die Natur feiert überschwänglich sich und ihre Geschöpfe in einem Fest aller Sinne. Angstrei, schuldlos, weg von jedweder Gewalt und Unsicherheit. Als wären Frauen und Männer immer schon zu nichts anderem geboren worden, als sich und das Chaos der überbordenden Natur unablässig zu besingen und in wildem Tanz zu gestalten, als wären Zeit und Raum nur kleine Kieselsteine am endlosen Ufer des Kosmos.

17 Jul

Europa – Meditation # 351

Das Fluchtmodell der Lemminge

So wie die Selbstmordtheorie in Sachen Fluchtverhalten der Lemminge längst als falsch widerlegt ist, so ein-Tags-Fliegen-Tango-haft schlingern in Dauerschleife Katastrophen-Szenarien durch die Cloud bis in die Video-Spiele, auf dass sich der homo sapiens sapiens ordentlich gruseln möge – aber ansonsten weiter macht wie bisher: konsumieren bis zum Anschlag, mehr verdienen bis zum Umfallen und weiter fliegen bis ins Weltall.

Unser Kurzzeitgedächtnis ist jedenfalls nach wie vor bemüht, die Überfülle an Weltuntergangsstimmungen weich zu kochen und als überflüssiger Sud wegzuschütten – im Sekundentakt. Selbst wenn so jemand wie Jared Diamond – seines Zeichens Evolutionsbiologe – ein statement raus lässt wie:

„Wir leben in der krisenhaftesten Zeit aller Zeiten“

sind wir Konsumenten höchstens leicht amused ob solcher Superlative, an die wir uns doch längst als basso continuo der Werbesprache gewöhnt haben.

Dann wechseln wir die Seite und schauen uns staunend den Krater vom Nördlingen Ries an, wo vor ungefähr 15 Millionen Jahren ein Asteroid eingeschlagen war. Oder bestaunen mit unseren Kleinen in Kinderbüchern dramatische Bilder an über das Dinosaurier-Sterben, als sich die Welt für lange verdunkelte.

Ansonsten stürmen wir – als Entschuldigung gilt praktischerweise die Pandemie mit ihren Strangulierungen – die Abfertigungshallen der Flughäfen, ertragen stoisch oder cholerisch nie gesehene Warteschlangen und sind so was von gelassen, dass wir glatt das Gepäck zurücklassen, wenn wir es nur noch in den Flieger schaffen.

Oder fahren in Gluthitze Tausende von Kilometern in die Waldbrand-hot-spots, um auch möglichst dramatische Filmchen posten zu können, wie nahe man der nächsten Katastrophe mal wieder ein Schnippchen geschlagen hat.

Wir sind eben unverwüstliche Tagträumer, die die Klimakrise, CO²-ausstoß und Vermüllung der Meere genauso analytisch wegdiskutieren können wie den Krieg – wo auch immer er gerade stattfindet: Drogenkrieg, Religionskrieg, Resourcenkrieg, Hegemonie-Krieg. Immer sehen wir uns selbst dann eher als zeitgenössische und kritische Betrachter, aber nicht als willfährige Täter. Und voll empathisch natürlich.

Dadurch ist es uns ja auch möglich, weiter nach Dienstplan unseren Alltag und unsere Freizeit zu gestalten, als wären Daten eben nur Daten und nicht bloß Zahlen für eine dummdreiste Zerstörungswut von Milliarden von Egos, die lediglich ihr eigenes Fortkommen im Auge haben. Lemminge eben.