Die
Seereise nach Sidon wird zum Albtraum.
Arglos
trifft Europa ihre Vorbereitungen. Sie bespricht die Reise, zu der
ihr der Fremde rät, weil das Orakel von Sidon anscheinend eine
Botschaft für sie hat. Sie bespricht sich mit Chandaraissa, der
Hohenpriesterin, dann auch mit Berberdus, dem Vorsitzenden des Rates
der Alten. Alle unterstützen sie in ihrem Plan. Berberdus sicher,
weil er hofft, dass ihm vielleicht das Meer hilft, sie los zu werden.
Und Athanama, ihre neue alte Freundin, möchte sie begleiten. Und
Chaturo, der Kapitän des schnellen Seglers, will Europa gerne sein
Schiff zur Verfügung stellen. Nur ihre Söhne, die halten gar nichts
von diesem Plan.
„Mutter,
was, wenn dahinter böse Geister stehen, die dir schaden wollen?“
„Wie kommt
ihr denn darauf?“ fragt Europa entgeistert. An so etwas hatte sie
nun überhaupt nicht gedacht. Dann kommt ihr eine Idee, die sie noch
sehr bereuen wird:
„Begleitet
mich doch, dann könnt ihr mir ja beistehen, falls Böses droht!“
Samadanthys
und Parsephon sind sprachlos. Kurz wechseln sie Blicke, dann kommt
gleich ihre Antwort:
„Natürlich,
Mutter, natürlich, das machen wir gerne!“
Abends, im
Haus des Pallnemvus, sitzen einige der Ratsherren zusammen und sind
in ein erregtes Gespräch verwickelt:
„Unser
Mann in Sidon muss unbedingt benachrichtigt werden!“
„Habe ich
schon in Gang gesetzt!“ antwortet Zygmontis Gromdas leise.
„Entweder
wird der Meeresgott sich einmischen oder eben unser Mann in Sidon.“
Zustimmendes
Gelächter. Der Glanz in den Augen der Ratsherren glimmt wie giftiges
Feuer, das sich durch alles hindurch fressen will.
„Wir
werden sie doch noch los werden, ohne dass heraus kommt, wer
nachgeholfen hat!“
Die alten
Ratsherren nicken bedächtig vor sich hin. Sie fühlen sich wichtig,
mächtig und als treue Diener ihrer Insel.
Dass die große Göttin aber weiter dafür sorgen will, dass die fast schon vergessene Botschaft vom Glück weitergegeben wird, kann den drei listenreichen Olympiern genauso wenig Freude bereiten wie dem Rat der Kreter. Sie wähnen sich in ihren Racheplänen an Europa auf Erfolgskurs. Heftige Winde stürmen von Hesperien her Richtung Osten, wild wogen Wellenberge gegen die zerklüfteten Küstenstreifen. Im Hafen – geschützt von hohen Wellenbrechern – schwanken die Segler an ihren Leinen.
Schon eine Woche später gehen sie an Bord der Boreia: Chaturo, der Kapitän, war schon am Vorabend vor Ort, kümmerte sich um das Vertauen der Vorräte, ließ frisches Wasser in hohen Krügen verstauen. Und im Abendsonnenlicht warf auch Zeus einen Blick auf seine Lieblingsinsel, auf der nun Europa alle Fäden in Händen hält. Leichter Nebel liegt über dem weiten Hafenbecken, als Athanama zusammen mit ihrer Freundin Europa vom Palast herunter kommen. Ihre Dienerinnen tragen Kisten mit Kleidern, Geschenken hinterher. Europas beide Söhne freuen sich auf die Reise und sind gut gelaunt mit Seesäcken bepackt auch unterwegs zur Boreia. Und Chandaraissa, die Hohepriesterin, will die Abfahrt ihrer neuen Freundinnen auf keinen Fall verpassen. Sie hatte am frühen Morgen noch vor dem großen Bild der großen Göttin für sie gebetet: „Schütze sie, leite sie und bring sie uns heil zurück!“ Sie hatte besonders viel Weihrauch in die großen Schalen geworfen. Der Duft machte ihr wunderbar schwindlig. Und auch die jungen Priesterinnen, die sie unterstützen durften bei diesem morgendlichen Gebet, atmen das schwere Aroma lustvoll ein.
Chaturo, der
gerade in der Kapitänskajüte Athanama leidenschaftlich umarmt und
küsst – seit Tagen mussten sie aufeinander verzichten – hatte
seinen Leuten bereits den Befehl zum Ablegen gegeben. Heimlich
schauten einige der alten Ratsherren dem Losfahren des Seglers
grinsend zu: Hoffen wir, dass wir dieses Schiff nie wiedersehen
müssen, denken sie dabei.
Als die
Boreia nun aus dem Schutz des Hafens ins offene Meer gleitet, spüren
alle an Bord auch gleich den hohen Wellengang. Starker Wind bläst
weiter kräftig aus Hesperien kommend und reißt den Segler
ordentlich mit. Chaturo muss auf volle Besegelung verzichten, aber
auch so kommt das Schiff schnell, sehr schnell voran. Es neigt sich
dabei ächzend zur Seite, fast gehen die Wellen an backbord über die
Reling. Aber alle an Bord vertrauen auf ihren Kapitän und die Stärke
der Boreia.
Stunden später – eigentlich müsste die Sonne hoch oben am Himmel stehen – türmt sich schwarzes Gewölk über ihnen auf, der Wind steigert sich zum Sturm, Blitz und Donner kommen dazu. Nun macht sich nicht nur Europa Sorgen. Da reißt das Vordersegel. Chaturo schreit Befehle in das Tosen. Alle an Bord versuchen sich gegenseitig zu stützen und zu halten. Jetzt rollen sogar Brecher übers Boot. Für Augenblicke scheinen alle unter Wasser zu schweben, dann können sie wieder atmen, spucken, husten. Aber schon folgt der nächste Schwall. Europa bereut es, ihre Söhne mit an Bord genommen zu haben. Droht ihnen allen jämmerliches Ertrinken?