19 Jun

Europa – Meditation # 400

Litanei im Spiegelkabinett

Nicht nur die Medien in Europa scheinen einen Sprung in der Platte zu haben, nein, auch wir Konsumenten. Denn in einem fort speichern wir unser global bestens vernetztes Wissen auf unserer Festplatte – früher bezeichnete man es mit dem sperrigen Begriff „Gedächtnis“ – ordnen es alphabetisch ein und rufen es bei passender Gelegenheit ab, als wäre es eine Liste für den Einkauf auf dem Markt.

Wie in einer Litanei wiederholen wir das, was wir für richtig halten – ermüdend bis zum Überdruss:

Zunehmende Kriegshandlungen

Zunehmende häusliche Gewalt

Zunehmende Erderwärmung (Meere inklusive)

Zunehmende Beben und Eruptionen

Zunehmende Flüchtlingsströme

Zunehmende Drogentote

Zunehmende Preise und Inflationsraten

Wir wissen Bescheid. Wir wiederholen unser Wissen. Wir wissen sogar, dass dringender Änderungsbedarf ansteht. Und ob. Und was tun wir dafür?

Und schon springt der Arm zum nächsten Sprung auf der Platte:

Die liberale Demokratie sei in Gefahr

Die etablierten Parteien verlören rasant an Vertrauen

Die gewählten Vertreter in Legislative und Exekutive,

verstrickt in Seilschaften, hätten das Gemeinwohl längst

aus den Augen verloren

Solche und ähnliche „Narrative“ stehen uns gerne bei, um uns selbst aus der Schusslinie zu holen. Das klappt wunderbar.

Tempo und die anonyme Masse ersparen uns scheinbar die Eigenverantwortung, die jeder trotz alledem hat.

Und als Quintessenz dieser Litanei kommt dann in der Coda der „Angstzauber“ nach vorne: „Die Zukunft des Westens“ sei nicht nur düster, sondern vorbei, wenn nicht – und dann beginnt die Litanei wieder von vorne.

Das Eingemachte nämlich – das Privateigentum, das Patriarchat und das Wohlstandswachstum – bleibt von dieser Litanei selbstverständlich unberührt. So gruselt es schön weiter im apokalyptischen Chor der Besserwisser, die wir sind.

„Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist der Klügste im ganzen Land?“

17 Jun

Europa – Meditation # 399

W e r e t h / Belgien / E l e v e n

Wir Europäer sprechen inzwischen ja fast alle fließend die Sprache des Befreiers vom Faschismus; wir haben uns längst bekehren lassen zum öden Materialismus amerikanischer Konsumhaltungen und stehen nun vor einem Scherbenhaufen gnadenloser Natur-Ausbeutung. Von der Ausbeutung des Menschen ganz zu schweigen!

Aber Wereth Eleven?!

Was hat es denn damit auf sich?

17. Dezember 1944 – Ardennen-Offensive.

Elf junge, schwarze Soldaten aus den Vereinigten Staaten von Amerika geraten in deutsche Gefangenschaft und werden nicht nur gefoltert, sondern auch noch gleich exekutiert.

Was sich da an deutschem Rassismus gnadenlos austobte, hatte eine widerliche Entsprechung im Rassismus der Weißen, die auch gerne ihre Kontingente mit Schwarzen auffüllten – nur sollten die bitte nicht – wie bei der Invasion in der Normandie – eines Heldentodes sterben und mit Orden posthum geehrt werden, sondern lediglich gerne als Kanonenfutter herhalten.

In diesem Zusammenhang liest sich auch der Roman „Stay away from Gretchen“ von Susanne Abel als fürchterliche Rassismus-Kontinuitäts-Story, die in Deutschland genauso wie in den USA weiter geschrieben wird – nur ist es jetzt nicht mehr der Jude, jetzt ist es der Schwarze, der als minderwertig diskriminiert wird.

Wereth Eleven. Die elf Männer von Wereth in Belgien könnten jetzt auf ihren Veranda-Schaukeln in Tennessee oder South-Carolina sitzen und nostalgisch an ihre Jugend zurückdenken, die sie mutig und loyal dem Vaterland geopfert hatten und noch einmal davon gekommen sind. „Diese Männer haben zuerst an ihr Land gedacht in einer Zeit, in der ihr Land nicht an sie gedacht hat“.

Vor diesem Hintergrund wird natürlich auch das bekannte Kennedy-Zitat schal und tönern, weil es von einer Gemeinschaftsidee ausgeht, die so noch nie – bis heute – in den USA bestanden hat. „Frage nicht, was dein Land für dich tun kann – frage, was du für dein Land tun kannst.“

Denn selbst die Tatsache, dass neulich sogar ein Schwarzer amerikanischer Präsident werden konnte, ist kein überzeugender Beweis dafür, dass der Rassismus weiter übelst grassiert. Und wir Europäer lassen uns weiter vor diesen Karren spannen – „we live in dark times“

06 Jun

Europa – Meditation # 398

Wahn und Wirklichkeit – Europas Denkmuster.

In der SZ vom Tage ist im Feuilleton ein interessanter Artikel zum Thema

„R E S T I T U T I O N S D E B A T T E“

zu lesen. Angesichts des Krieges in der Ukraine, angesichts der Klimakrise und angesichts der Sandkasten-Auseinandersetzung um die Wärmepumpe – von den Verbalattacken in Übersee nach innen und außen einmal ganz zu schweigen – scheint es ein eher abwegiges Thema zu sein.

Aber es trifft dennoch mitten ins Schwarze des weißen Mannes. Denn wenn der Artikel mit der eher rhetorischen Frage endet:

„…welchem Wahn die Museen bei ihrer kopflosen Sammelei eigentlich verfallen waren.“ –

dann fällt der Autor des Artikels in die gut gepolsterten Fallgruben der europäischen Gutmenschen, ohne es zu merken (oder merken zu wollen).

Denn wenn hier mit dem Begriff Wahn gearbeitet wird, so soll wohl ein Krankheitsbild dazu herhalten, den Normalfall europäischer Gewaltherrschaft als gesund charakterisieren zu können – damals wie heute.

Also nur ein weiteres Beispiel für die lange Irrfahrt, auf der sich die Europäer schon so lange befinden – während sie diese Reise wie ein Mantra als Fortschrittsmarsch durch Zeiten und Räume schön redeten und reden und natürlich auch die Medien eifrigst mithelfen, dieses Schönreden mit immer neuen Beispielen zu befeuern.

Dass die gesamte Evolutionsgeschichte der species seit der Zeit der Jäger und Sammlerinnen eine wahnhafte Erfindung einer Lebenswelt wurde, die sich nur immer mehr und mehr vom natürlichen Erleben entfremdete, bleibt so weiter jenseits aller Rückwege zu sich selbst. Denn notfalls mit Gewalt im eigenen Hause, und natürlich erst recht den Fremden gegenüber, wird jede grundsätzliche Infragestellung brutal abgewürgt, weggesperrt, nieder gemacht – Ideologie eben, Wahnvorstellungen.

In dem man so den eigenen kulturellen Wahn von Monotheismus, Monarchie und Monogamie als einzig zulässige Wahrheit gewaltsam durchsetzt, ist der Gedanke, dass es ein Wahn war, ist und bleibt, „logischerweise“ ein Kurzschluss, den man sofort beheben muss, um weiter im Wahn verharren zu können, wenn auch die Kosten von Jahrhundert zu Jahrhundert ins Astronomische steigen.