05 Jun

Europa – Meditation # 397

Das Modell der Europäer stößt an seine Grenzen – weltweit (Teil 2)

Die species homo sapiens hat sich müde phantasiert: Nach den Religionen, den Philosophien, den Ideologien, sind es nun die künstliche Intelligenz und ChatGPT, die den erschöpften Erdlingen die Arbeit abnehmen sollen. Sie selbst wollen nur noch rumliegen und Zuschauer sein. Bloß verdauen müssen sie noch selber – im doppelten Sinn des Wortes. Die Wahrnehmung von sich und der untergehenden Welt ist bereits nachhaltig von Pixel-Duschen weich gespült, beziehungsweise ins Fiktionale verlegt.

Was wie eine blasse ironische Suade zu klingen scheint, ist in Wirklichkeit wirklich als Zukunftsszenario denkbar: Wenn erst einmal die meisten jungen Menschen nicht mehr richtig lesen und schreiben können, wird der comic – als Heftchen oder als video-clip – das Endprogramm für ehemaligen Bildungsbürger werden. Titanic II – größer, fürchterlicher, endgültiger.

Und da die species immer erst im letzten Moment eine Kehrtwende hingelegt hat – Renaissance, Dreißigjähriger Krieg, Zeitalter der Erfindungen, 2. Weltkrieg – wird es höchste Zeit, dass die wohlstandsverwahrlosten Generationen in kleinen Gruppen schleunigst und systematisch eingeübt werden, wie man dem 1/0-Terror Paroli bieten kann. Es gibt inzwischen genügend Nerds, die gegen entsprechende Bezahlung solchen Unterricht gewinnbringend abwickeln könnten. Denn die traditionelle Lehrer- wie Elternschaft schafft das mit ihrem Halbwissen beileibe nicht. Das wird allerdings eine Menge kosten. Doch diese Kosten in ein effizientes neues Bildungssystem sind immer noch um vieles geringer als das Abarbeiten einer immer mehr unbeherrschbaren Flutwelle der eskalierenden Klimakrise.

Konkurrenz, Wachstum und Konsum haben endgültig ausgedient: die Kollateralschäden wachsen sich nämlich zu Globalschäden aus – allein die Plastikgebirge im Pazifik sprechen eine allzu deutliche Sprache. Und wenn Hitzewellen und Starkregen weiter zunehmen, schrumpfen die bewohnbaren Teile dieses Mini-Planeten dramatisch weiter. Der Krieg um Wasser und Lebensmittel wird dann erbarmungslos geführt werden, so lange er geführt werden kann. Europa als Avantgarde einer Radikal-Wende!

Deshalb ist fundiertes Wissen über Naturkatastrophen und Fakes alternativlos wichtig in der Erziehung der nachwachsenden Generationen. Denn niemand ist eine Insel – wenn die meisten das vor ihren Monitoren auch inzwischen glauben wollen – wir sitzen alle im gleichen Optimisten!

04 Jun

Europa – Meditation # 396

Das Modell der Europäer stößt an seine Grenzen – weltweit.( Teil 1)

Unsere Sinne betrügen uns nicht. Wir tun es selbst mit unseren Deutungen des sinnlich Wahrgenommenen. Nur halten wir es nicht für Betrug, sondern für zutreffend, was wir uns ausdenken, wenn unsere Sinne Alarm schlagen. Wenn ein Kind geboren wird, sorgen wir uns liebevoll um den Nesthocker, bis er flügge wird. Und alle wissen, dass es die wichtigste Arbeit überhaupt ist, die einer Gesellschaft ihr eigenes Überleben sichert. So wertvoll, so mühsam, so lange. Und wer erledigt diese Care-Arbeit? Genau. In den meisten Fällen Frauen. Kostenlos. Über viele Jahre.

Die Nachteile, die diesen Frauen deshalb aufgezwungen werden, gelten gewissermaßen als natürlich. „Das war doch schon immer so.“

Wenn dieses Kind dann alt und gebrechlich geworden ist, sind es wieder die Frauen – meistens – die entweder unentgeltlich oder zu Hungerlöhnen diese wichtige Arbeit auf sich nehmen. „Das war doch immer schon so.“

Mit anderen Worten: Am Anfang und am Ende des Lebens steht wichtige Arbeit – meistens von Frauen geleistet – die angesichts der seit ein paar Jahrhunderten geltenden, hochdotierten Kopfarbeit fast als gar nicht wertvoll, gewinnbringend, lohnend angesehen wird – ähnlich wie die Handarbeit. Nun aber – seit per Kopfarbeit ChatGPT dazu kommt – lässt sich sämtliche Kopfarbeit an Automaten auslagern und mit einem Schlag sind alle Kopfarbeiter höchstens noch Wasserträger.

Es gibt nur einen Ausweg aus diesem Horrorszenario: Nach der Care-Arbeit am Anfang (die selbstverständlich ordentlich bezahlt werden muss) bedarf es einer hochqualifizierten Berufsgruppe, die den Auszubildenden beibringt, wie KI und ChatGPT in dienender Funktion gehalten werden muss, (bloßes Bildungswissen aus Antike, MA und Moderne anzuhäufen, liefert solch geformte Gehirne hilflos den Apparaten aus) damit nicht nur noch Lemminge aufgezogen werden, die außer Unterhaltungskonsum keinerlei Bedürfnisse mehr haben wollen und sich auch gerne dabei von der Technik herum kommandieren lassen. Und dazwischen tobt das pralle Leben der konkurrierenden Selbstverwirklicher. Erbarmungslos und lebensgefährlich, aber bei entsprechender Vorbildung und entschiedenem Durchsetzungsvermögen scheinen die Ergebnisse sehr befriedigend – zumindest für ein paar Jahre. Dabei werden sich die Akteure zu knallharten Gegnern, die nur e i n Motto kennen: Mir gehört die Welt, ich muss hart sein nicht nur gegen mich selbst, sondern erst recht gegen die Mitbewerber. Und selbstverständlich heiligt der Zweck die Mittel.

04 Jun

Historischer Roman II – Blatt # 181 – Leseprobe

Kennt denn das Schicksal überhaupt keine Gnade?

Der kommende Morgen in Augusta Treverorum müsste von einem Augenzeugen aufgeschrieben werden. Aber da ist kein solcher. So wird auch dieser Tag bald in Vergessenheit versunken sein, genau wie die Ruinen aus besseren Tagen hier an der behäbig dahin fließenden Mosella.

In aller Frühe entrollt ein des Schreibens kundiger Franke das schnell aufgeschriebene Urteil: Wegen Auflehnung gegen das Königsheil muss die fremde Frau aus Yrrlanth sterben. Am Galgen. Als Somythall der Richterspruch vorgelesen wird, ist im ehemaligen Amphitheater schon der Galgen aufgebaut.

„Nein, nein!“ schreit sie. Aber ihre Stimme versagt ihr. So ist es eher ein Röscheln, das ihr entfährt. Von zwei starken Wächtern wird sie kurzerhand aus dem Keller ans Tageslicht getragen. Sie wehrt sich mit Händen und Füßen. Die sind aber stramm gefesselt. Ein Zucken ihres Körpers ist alles, was ihr so gelingt. Tränen, nichts als Tränen der Wut und der Verzweiflung lassen alles vor ihren Augen verschwimmen. Schon liegt sie in einem klobigen Wagen, gezogen von einem alten Ochsen. In seinen großen Augen spiegeln sich die geschäftigen Männer, die stumm ihre Befehle ausführen. Sie kennen die Frau nicht. Ihre Geschichte und ihre Botschaft sagen ihnen nichts. Yrrlanth? Was will die denn überhaupt hier bei uns? Peitschenknall, der Karren setzt sich in Bewegung, das Tier trottet die gepflasterte Straße hinab, vorbei an den baufälligen Thermen, die niemand mehr besucht, vorbei an dem ehemaligen östlichen Tor, das kaum mehr als Tor erkennbar ist. Ein Steinbruch jetzt, mehr nicht. Bauern auf dem Weg zu ihren Feldern

sehen das Gefährt, die nebenher laufende Eskorte, aber die Frau darin sehen sie nicht. Das Poltern allein ist ihnen ein vertrauter Lärm. Da wird wohl etwas transportiert. Wegen der Wächter könnten sie Fragen stellen. Doch lieber nicht. Jetzt, wo der fränkische König ermordet ist, muss man besonders vorsichtig sein. Schnell hängen sie einem ein Schild um den Hals: Handlager der Meuchelmörder.

Auf den mit Unkraut übersäten Stufen des Amphitheaters sitzen blöd vor sich hin glotzend die Bettler, die vom Hämmern der Tischler aufgeweckt worden sind. Ein Galgen? Wer soll da gehängt werden? Hin und her gerissen zwischen dem Hunger auf etwas Essbares und der Neugierde auf das bevorstehende Spektakel haben sie sich für zweiteres entschieden. Der knurrende Magen protestiert.

Da kommt auch schon der Ochsenkarren angepoltert, flankiert von schwer atmenden Wächtern. Oho, oho! Brr! Was? Wen hat’s diesmal erwischt? Frongur, der gewählte Anführer der Bettler hier im Amphitheater, wird gleich vor geschickt:

„Geh, frag, wer sie ist, was sie verbrochen hat!“

Die Wächter schubsen ihn sehr unsanft zurück.

„He, du, pass auf, sonst bist du der nächste, der da hängt!“ Grölend verjagen sie mit Tritten Frongur, der gar nicht erst protestiert.

„Die Fremde gehört zu den Verschwörern des Königsmords, das geht euch gar nichts an, hau ab!“

Die Bettler hören alles mit. Schon beginnen sie zu tuscheln. Sie machen lange Hälse, nur ja nichts verpassen – von der Mörderin!

Somythalls Tränen sind versiegt. Wie eine Tote lässt sie sich aus dem Karren heben. Sie will diesen Angsthasen nicht ein Bild bieten, das die sich von einer Frau, einer zum Tode verurteilten Frau, machen. Sie will auch diese Welt, die da gerade um sie herum geistert, gar nicht mehr sehen. Mit geschlossenen Augen sieht sie sich neben Rochwyn auf dem Schiff sitzen, das sie neulich erst von Yrrlanth ins Reich der Franken gebracht hatte. Neulich. Fast ein Jahr ist es her. Und welch wunderbare Dinge ihr in dieser Zeit widerfahren waren. Fast gelingt ihr ein Lächeln dabei. Julianus. Wie sie im Tempel der Diana zusammen fanden, wie…Wie eine wacklige Statue stellen die Wächter jetzt die Frau unter den Galgen, legen ihr die Schlinge um den Hals. Das Rülpsen und Schmatzen der Bettler im Amphitheater rings um verstummt abrupt. Geiles Glotzen, sonst nichts. Der Anführer, der breitbeinig neben dem Galgen steht, verliest das Urteil. Somythall verweigert ihren Ohren das zu Hörende zu hören. Sie atmet jetzt ganz tief. Es schmerzt in der Brust. Sumila. Sumila. Das ist das Bild, das sie jetzt mit nimmt, als unter ihr der grobe Hocker weg getreten wird.

Die hungrigen Zuschauer klatschen grölend Beifall:

„Ey, ihr mutigen Krieger, das habt ihr gut gemacht, echt! Die ist hin!“

Die Wächter haben nur verächtliche Blicke für sie. Einer stellt neben dem Galgen noch ein Holzschild ab. Eingeritzt nur ein Wort: Mörderin. Als hätten sie schwere Arbeit erledigt, klettern sie dann ächzend in den Karren, in dem eben noch Somythall gelegen hat. Wieder knallt die Peitsche, wieder müht sich der alte Ochse mit dem Karren ab. Wieder kehrt die alte Ruhe im Amphitheater ein. Das ruchlose Schauspiel ist vorbei. Und die Augenzeugen taugen nichts. Sie können weder lesen, noch schreiben. Und schon beschäftigt sie Wichtigeres.