Europa – Fortsetzung der alten Geschichte # 170
Athanama und Chaturo erliegen dem Zauber der Insel.
Europas Zwillinge, Sadamanthys und Parsephon, stürmen gleich los: Nach dem verheerenden Schiffbruch, der Todesangst, sind sie nun wieder in Abenteuerlust. Wäre doch gelacht, wenn wir auf dieser unbekannten Insel keine Quelle oder gar keinen Brunnen fänden, denken sie übermütig. Nach Norden – sie wissen selbst nicht, warum sie diese Richtung wählen, aber es fühlt sich gut an. Schroffe Felswände fallen steil zum Meer ab, von Menschen keine Spur. Schafköttel. „Na bitte, wenn es hier Schafe gibt, dann muss es hier auch Wasser und eigentlich auch Bauern geben“, ruft Parsephon seinem Bruder hinterher. „Klar, sag ich doch!“
Auch Athanama und Chaturo machen sich auf den Weg. Europa aber ist zu erschöpft. Sie will zur Göttin beten. Hoffnungsvoll schaut sie den beiden hinterher. Sie ist so müde und ratlos. War es falsch, zum Orakel nach Sidon zu wollen? Doch da überrascht sie ein finsterer Gedanke: Wie, wenn der Bote gar kein Bote aus Sidon war, sondern ein Dämon, der sie in den Tod locken sollte? Geschickt von, von…Sie will den Gedanken gar nicht zu Ende denken.
Chaturo klettert gerade einen steilen Pfad hoch, als er eine kleine windgeschützte Wiese vor sich hat. Sie sind schon eine ganze Weile unterwegs. Durstig, müde.
„Athanama, komm, hier können wir einen Pause machen“, ruft er schwer nach Luft schnappend.
Athanama schaut hoch zu ihm: Was für eine kraftvolle Gestalt, was für eine Ausstrahlung! Sie ist mehr und mehr begeistert von ihm. Sie spürt, dass die große Göttin sie zusammenführen will. Gerne folgt sie der Aufforderung. Und als sie ihn jetzt vor sich im Gras liegen sieht, weiß sie, dass diese der Augenblick ist, von dem sie schon so lange geträumt hat. Chaturo liegt vor ihr mit geschlossenen Augen. Die Sonne glänzt auf seiner schwitzenden Haut. Gelassen lässt sie ihr Gewand fallen, steht nun breitbeinig über ihm. Ihr Herz klopft heftig und schön, ein lustvolles Lachen schmückt ihr Gesicht. Und als Chaturo den Schatten, der über ihn fällt, spürt, öffnet er sofort seine Augen: er kann es nicht fassen, es muss ein Traum sein. Aber da beugt sie sich schon über ihn, wickelt ihn aus seinen Kleidern kniet sich und lässt sein längst steil aufgerichtetes Glied in sich gleiten. Ihr Stöhnen nimmt der Seewind mit auf seine Reise über die Insel. Lange können sie nicht von sich lassen, lange lassen sie sich einfach wollüstig gehen. Ein Bildersturm fegt durch ihre Köpfe, Gänsehaut fast überall, schwerer Atem.
Währenddessen laufen die Zwillinge weiter Wasser suchend Richtung Norden. Keine Schafe, keine Hütten, nichts. Nur Gras, Felsen, windschiefe Kiefern, verkrüppelte. Und eine eigenartige Stille über all dem. Dann bleiben sie beide unvermittelt stehen. Denn vor ihnen – gleich auf der übernächsten Anhöhe – strahlt ihnen ein kleiner Tempel entgegen. Atemlos bleiben sie stehen, staunen. Träumen sie? Wollen sie diesen Tempel einfach nur sehen oder sehen sie ihn wirklich?
„Vielleicht ein Quellheiligtum?“ fragt Sadamanthys seinen Bruder.
„Hä?“ ist alles, was er zur Antwort bekommt, dann aber laufen sie um die Wette los, sie sind ja so durstig, so erschöpft. Hoffentlich ist es ein Quellheiligtum betet Parsephon stumm in sich hinein, hoffentlich. Und als sie nun die alte Holztüre aufstoßen, sind sie beide völlig sprachlos. Mitten im düsteren Raum erkennen sie auf eine Quaderstein eine tanzende Figur. Ein nackter Faun. Beide Arme streckt er in die Höhe und im Näher Treten erkennen sie auch das lüsterne Grinsen in seinem alten Gesicht. Sein übergroße Gemächt zwischen den krummen Beinen scheint ihn fast mächtig zu Boden zu ziehen.Ratlos schauen sich die beiden Brüder an, dann müssen sie laut lachen. Und dieses Gelächter bleibt hallend im zwielichtigen Tempelraum gefangen.
„Von wegen Quellheiligtum!“ ist alles, was Parsephon schließlich raus bekommt. Sadamanthys nickt enttäuscht, denn der Durst lässt einfach nicht nach.
„Aber wenn hier so ein Tempel steht, dann müssten eigentlich auch Menschen auf dieser Insel sein und wenn Menschen da sind, muss es auch Wasser geben“, beschließt Parsephon seine erlösende Schlussfolgerung.
Und schon wenden sie dem geilen Faun und seinem Tempel verächtlich den Rücken, laufen einfach weiter, denn sie müssen ja auch den gesamten Weg wieder zurück, zur Mutter, laufen, heute!
Stumm liegen die beiden Liebenden nebeneinander im Gras, das Glitzern der Schweißperlen auf ihrer Haut erzählt scheinbar noch einmal von der Fülle und Pracht ihres glücklichen Augenblicks, eben. Vollkommene Stille umgibt sie, und die warme Sonne trocknet die vielen bunten Perlen auf ihrer immer noch zitternden Haut.
„Hörst du es auch?“ fragt Chaturo leise.
„Was?“ fragt Athanama.
„Das Tropfen.“