25 Jan

Europa – Meditation # 434

Erwacht aus einem Wintermärchen?

Natürlich brauchen wir Europäer neue Visionen, euphorische Zukunftsbilder, um mit der neuen Weltsituation konstruktiv umgehen zu können, denn die alten Weltbilder liegen alle am Boden:

The British Empire – nur mehr eine Legende mit dicken Börsen weniger in dicken Hütten in den Midlands; wehmütig rückwärtsgewandte Träume. Der Rest frustriert und abrandaliert.

Gloire Francaise – ein übler Scherbenhaufen; die Kosten für die Staatskasse in den letzten Jahrzehnten alle in den Sand gesetzt; trotzig weiter phantasierte Großmachtbilder.

Europäische „Gemeinschaft“ – wie ein Krebsgeschwür hat sich die Bürokratie das Unterfangen unter die Nägel gerissen: ausufernd, intransparent und Seilschaftenwackelpudding.

Vereinigte Staaten von Amerika – ein Hauen und Stechen von blindwütigen Machtbolzen, die nicht mehr miteinander reden, sondern auf den Heilsbringer hoffen. Als hätte die Säkularisierung nie stattgefunden!

Summa: Die Träume vom attraktiven WESTEN, der mit seinem Wirtschaftsprogramm und seinem Demokratie-Modell die restliche Welt beglücken wollte, ist grandios gescheitert – will es aber nicht wahrhaben. Der Brexit ist das beste Beispiel dafür und der allgemein spürbare Trend in die rechte schiefe Bahn in allen Staaten Europas spiegelt genau wieder, was die Menschen an die Stelle des Verlusts an Seinsgewissheit setzen wollen: Ein scheinbar „neues“ Narrativ von klargespültem WIR-GEFÜHL, das nicht nur an vergangene „Größe“ anschließen soll, sondern diese sogar noch überhöhen möchte. Trotzige Gesten von Stärke, Furchtlosigkeit und Rechthaben begleiten lautstark und grell diese wachsende Herde von ängstlichen Lämmern, die einem Leitbock blind zu folgen bereit scheinen.

Wie könnten denn nun aber realistische Zukunftsbilder aussehen?

Zuerst einmal sollten wir uns verabschieden von dem Wunsch, gleich ein Gesamtgemälde vor uns haben zu wollen.

Aber was für einen Anfang auf jeden Fall schon einmal hoffnungsvoll stimmen kann, ist das gute Gefühl, das seit dem letzten Wochenende landauf, landab zu spüren war: Dass so viele mit Kind und Kegel auf die Straßen gingen, vergnügt eng beieinander standen und lautstark diesem „neuen“ Narrativ vom klargespülten WIR-GEFÜHL („WIR SIND DIE WIRKLICHE ALTERNATIVE!“) nicht nur die Hymne an die Freude (Marktplatz Bonn) entgegen sangen, sondern auch unmissverständlich klare Kante zeigen wollten, dass mit ihnen deren Zukunftsversprechen nicht zu haben sei. Eine emotionale, aber auch politische Solidarität trug diese Momente abwehrbereiter Demokraten: „Mit uns nicht!“ war die Losung, die lebensfrohe Demonstranten da unmissverständlich rüber reichten. Das war ein gutes, ein sehr gutes Gefühl – in der Öffentlichkeit – und reicht nun auch in unseren Alltag Tag für Tag hinein: Wir lassen uns einfach unsere hart erarbeiteten Gewissheiten nicht kaputt reden, wir lassen uns einfach nicht unsere bunte, quirlige und sehr wohl funktionierende Arbeitswelt zerreden, wir lassen uns vor allem aber auch nicht auseinander dividieren in solche und solche.

Wenn die vielen Probleme – fast alle hausgemacht – wirklich nachhaltig gelöst werden sollen, dann nur g e m e i n s a m , Stück für Stück und geduldig. Entscheidend dabei wird allerdings sein, ob wir wieder mehr in überschaubaren Größen planen, entscheiden und verändern lernen und uns vom Größenwahn der sogenannten Mega-Projekte endgültig verabschieden. Der in den Demos offenkundig gewordene Optimismus von Jung und Alt lässt wirklich hoffen: Da schlummert so viel soziale Kraft, das ist fast wie im Märchen.

Vielleicht folgt nun in mehreren kleinen Geschichten der gemeinsame Aufbruch aus einer festgefahrenen Situation, für die wir uns alle mit verantwortlich fühlen und die wir nicht nur einfach an „die da oben“ delegieren wollen.

Regional jedenfalls lässt sich vieles viel wirkungsvoller angehen, wenn der „bunte Haufen“ nicht nur eingebunden wird in die Planungen, sondern auch in die Ausführungen. Und wer da alles mithelfen will, der soll ruhig dazu stoßen, von wo auch immer er herkommt!

Die etablierten Parteien müssen endlich aus ihrem Dornröschenschlaf aufwachen: Die demokratische Basis ist nicht nur Wählermasse, sondern Akteur. Akteur.

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