Europa – Meditation # 244
Ein europäischer Dramatiker spricht Klartext.
Wir müssen wirklich nicht das Rad neu erfinden,
Wir müssen wirklich nicht meinen, das Sahnehäubchen zu sein,
Wir müssen wirklich nicht lange suchen, um genügend Stimmen zu finden, die uns – gerade in diesen düsteren und dystopischen Tagen – wie in einem Spiegel unseren kulturellen und historischen Hochmut zu zerbröseln, wie allzu süßer Zuckerguss.
Einer von den Künstlern in Europa, die zufällig relativ in der Mitte zuhause waren – wie Beethoven, Heine oder eben Dürrenmatt – hat zeitlebens kein Blatt vor den Mund genommen, wenn es um die Selbstsicherheit und Selbstüberheblichkeit der Europäer ging.
Dürrenmatt. Vor 100 Jahren geboren.
Da wir ja zur Zeit eine heftige Breitseite von der Natur ertragen und abfedern müssen, könnte eine Zitat von Dürrenmatt vielleicht zu denken geben, zumal wir genügend Zeit haben, einen Text bewusst und nicht nur quer zu lesen.
„Die Natur, so stur sie ist, wird die Dummheit, Primaten zu schaffen, kaum wiederholen.“
Das Lachen bleibt einem hoffentlich ordentlich im Halse stecken, uns herum hampelnden und humpelnden Primaten, die sich so viele Wörter erfunden haben, um sich und das, was sie sinnlich wahrnehmen, zu einem etwas Vertrauten, Verfügbaren, ja sogar Beherrschbaren zu machen, – als wären es nicht willkürliche Kopfgeburten, die nur gut klingen. Und wenn man sie oft genug wiederholt, auch für „wahr“ halten wird.
Zufällig überfällt uns gerade ein Virus und schon geraten wir ins Schleudern. Unsere Geschichten, unsere altbekannten Deutungen von Welt, Mensch und Natur: Zufällige Vereinbarungen zu zufälligen Vorgängen von zufälligen Primaten? Schauen wir zur Zeit nicht ziemlich ratlos aus der europäischen Wäsche? Narziss lässt grüßen?
Wäre es da nicht der rechte Augenblick, solchen Bildern „Welten entgegenzusetzen“, in denen sich die hoch entwickelten Primaten trauen, kreativ – als Künstler also – von sich und dem mutwillig Statuierten Abschied zu nehmen, wohl wissend, dass auch das neue Kunstwerk, das unser Hirn mit uns dabei erdenkt, wieder bloß eine probeweise Weltsicht darstellen wird, probeweise begehbar, probeweise austauschbar, aber nie wie ein Estrich, auf dem man prachtvolle Hölzer aufklebt, die vergessen machen sollen, dass es lediglich eine neu erdachte Welt ist?
Mutig hält man sich an den Händen fest, damit man nicht verloren geht, aber auch, damit man nicht im Selbstgespräch versinkt und zufrieden vor sich hin dämmert und brubbelt– den alten Dummheiten neue überstülpt. In uns widerspricht ja niemand.
Memento mori!
„Die Natur, so stur sie ist, wird die Dummheit, Primaten zu schaffen, kaum wiederholen.“