Europa – Meditation # 174
Was hat sich denn geändert?
Gar nichts. Außer dem Üblichen: Jeder Europäer ist wieder um einen Tag älter geworden, jeder strickt weiter an seiner privaten Lebensgeschichte und bringt dabei wie immer die üblichen Kandidaten ins Spiel, die Schuld sein sollen am eigenen Ungemach. Dass es jetzt statt 28 nur noch 27 Mitglieder in der EU gibt, macht die Sache auch nicht besser. Die Ebbe im Portemonnaie ist immer noch beachtlich, die Nachbarn scheinen immer noch nicht den Schuss gehört zu haben… und die Politiker? Denen fällt zur neuen Lage auch nichts anderes ein als die alte Leier.
Natürlich war man an der Börse nervös, natürlich gehen jetzt erst mal die Kurse nicht durch die Decke, aber sonst?
Sonst ist doch alles beim Alten geblieben. Wie denn auch nicht?
Die Portugiesen freuen sich über ihren Aufschwung, die Griechen träumen von einer neuen Ära mit dem großen Bruder aus Fernost, die Italiener wissen zwar, dass sie die Via Appia haben, aber wer will denn schon gerne zu Fuß von Rom nach Brindisi gehen? Es sein denn, es gibt dafür Subventionen aus Brüssel – zum Beispiel für eine neue Sesselbahn, die man sich gerne auch zweimal bezahlen lässt. Und die Phlegräischen Felder? Wer weiß denn schon, wo die überhaupt sind, diese Felder und was es mit ihnen auf sich hat? Erdbeben und Vulkanausbrüche doch bitte schön weiter in Fernost oder am Bosporus, aber doch nicht auf Capri!
Und das Summen der babylonischen Sprachverwirrung im alten Europa ist nach wie vor eine Polyphonie, die schöner gar nicht sein kann. Vielleicht stellt sich jetzt das Englisch auch mal wieder in die zweite Reihe. Finnische, schwedische und gälische Märchen haben nämlich auch eine Bilderfülle anzubieten, die seinesgleichen sucht.
Vielleicht werden jetzt sogar noch mehr Reisen über den Kanal und die Irische See geplant werden als sonst – jetzt, wo Vielfalt die neue europäische Eintracht ausmacht. Der kulturelle Reichtum des europäischen Kontinents lässt sich ja gar nicht in Börsennotierungen angemessen zusammenrechnen – so überwältigend groß ist er. Das wird jedem Europäer doch immer wieder klar, wenn Gäste von Übersee durch diese Vielfalt reisen und wenn diese Gäste dann vor Staunen, Begeisterung und Hochachtung gar nicht wissen, was sie sagen sollen.
Die EU ist in dieser Wirklichkeit Europas doch nur ein mal besser, mal schlechter funktionierendes Vertragswerk zum Geschäfte Machen.
Hängen wir also den Austritt der Insel nicht zu hoch.
Die von der Insel wissen doch gar nicht, was sie den Europäern für einen großen Gefallen tun: In diesen Tagen besinnt man sich gerne wieder auf das eigene kulturelle Profil innerhalb dieser europäischen Vielfalt.
Danke für diese Chance. Danke. Wir Europäer bekommen sie jetzt einfach so. Und England bleibt – wer hätte das gedacht – weiter ein wichtiger historischer Teil dieses Kontinents.