Europa – Meditation # 180
Zuhause entstehen die Prägungen fürs Leben.
Europa hätte fast seinen Kompass verloren – wären da nicht Onkel Trump und Vetter Johnson. Es muss wohl erst nachhaltig ans Eingemachte gehen, bevor wir bereit sind zuzugeben, aufs falsche Pferd gesetzt zu haben. Das gilt im Kleinen wie im Großen. Die Großmäuler entblöden sich eben nicht, ihre Fassaden als Fassaden vor sich herzuschieben. So kann auch der Dickhäutigste überzeugt werden: Es wird gelogen und betrogen, dass sich die Balken biegen. Da sind keine Gemeinsamkeiten mehr – jenseits von Kaufverträgen – nur noch das Schachern in die eigene Tasche. Und wir Europäer glaubten doch wirklich, Amerika sei das Land der unbegrenzten Möglichkeiten und wir in Europa seien einfach nur eingesperrt in unseren eigenen kulturellen Fesseln, die wir „nur“ abzulegen hätten, um teilzuhaben an dieser frohen Botschaft aus Übersee. Die Briten – die Inseleuropäer im Westen – laufen ihrem Rattenfänger hechelnd hinterher, weil er neue Größe verspricht: Was die Amerikaner können, konnten wir schon vorher. Das Empire lässt sich zurückgewinnen, wenn wir uns nur aus den Fesseln der EU befreien! Am Ende dieses Lockrufes wird ein Kater warten, der die Frustrierten vielleicht noch weiter in die Hände noch radikalerer Rattenfänger treiben wird.
Da sei Rest-Europa vor! Besinnen wir uns auf die eigenen Grundsätze, wie friedliches und gedeihliches Zusammenleben verwandter Völker eines Kontinents gelingen kann: Schaffen wir in den Familien wieder ein Klima des Forderns und Förderns und nicht mehr nur des Abgrenzens gegen die anderen, die Hinzugekommenen, gegen das hohle Loblied des Verwöhnens und das uferlose Nachgeben. Denn sonst werden solche Kinder wenig Respekt und Wertschätzung lernen – im Kindergarten und später in der Schule werden sie eigensinnige Respektlosigkeit und mangelnde Wertschätzung im Kleinen üben und verbessern, bis es ihnen zur zweiten Haut geworden ist. Erwachsen können dann solche Prägungen fatale Kurzschlüsse herbeiführen: Der kleine Mann in seinem großen Auto fühlt sich plötzlich mächtig, stark, berechtigt, eigenen Frust über das Gaspedal auszuleben. Er fühlt sich ermächtigt, uneinsichtige Frauen zu bedrohen, zu schlagen, zu überfahren. Er glaubt dann sogar, dass innere Stimmen ihm sagen, in der feindlichen Welt selber unnachsichtiger Richter über Leben und Tod spielen zu müssen, um dem eigenen Fremdsein etwas Starkes entgegen zu setzen.
Zuhause – im Schutz der eigenen vier Wände und so unbemerkt für die Umgebung – werden dem kleinen Kind die Prägungen wieder und wieder eingeprägt, dass es nicht der Vater oder die Mutter sind, die etwas falsch machen, die Angst den eigenen Kindern aufbürden, sondern dass es die anderen draußen sind, die schuld am Elend der eigenen Familie sind.
Wer die Frage für das Explodieren von Gewalt im öffentlichen Raum stellt, sollte also nicht nur nach einem stärkeren Staat rufen, sondern sich genauso an die eigene Nase fassen, denn die Familie ist meistens der Anfang der Gewaltgeschichte, der wir später oft so ratlos gegenüber stehen.