18 Apr

Europa – Meditation # 195

„Der Kapitalismus braucht eine neue Balance“

Das ist ein Zitat aus der heutigen, überregionalen Presse. Auf was für Gedanken uns die geschenkte Zeit doch auf einmal bringt! Da will man sich nicht lumpen lassen und geht mal so richtig ans Eingemachte. Und Kapitalismus ist ja wohl das Eingemachte schlechthin, oder?

Wenn man als Leser aber nach so einem Zitat einfach mal inne hielte und sich fragte, was passiert da eigentlich mit unserer Sprache, und was denkt dabei unser Hirn dazu, dann könnte es aber so richtig spannend werden.

Wir gehen ähnlich wie mit Zahlen auch mit Worten um, als bildeten sie einz zu eins die Wirklichkeit ab. Da sie aber so kompliziert zu sein scheint – verwegene Hindenker könnten sogar von Chaos sprechen – tun klare Begriffe einfach gut. So erfanden wir auch den Begriff Kapitalismus. Inzwischen ein alter Hase, aber hoppla, sowas von lebendig! Wir haben uns angewöhnt meinen zu sollen, dass es uns allen gut tut („nur zu deinem Besten!“), immer mehr herzustellen und zu verbrauchen, als eigentlich zum Leben nötig, bzw. sinnvoll wäre. Das wurde aber ein solch anziehendes Mantra, dass wir es gerne wiederholen, immer wieder, immer wieder. Als dann aber am Horizont dunkle Wolken aufzogen, in Form von fast schon irreparablen Schäden in der Natur, die uns nährt und atmen lässt, fingen unsere besonders klugen Zeitgenossen an zu überlegen, wie man da Abhilfe schaffen könnte. Denn der Kapitalismus – um noch einmal diese schöne Wortschöpfung in Erinnerung zu rufen, die wir Europäer euphorisch als unser ureigenstes Gewächs beklatschen – scheint aus der Balance geraten zu sein. So jedenfalls muss man es sehen, wenn man das obige Zitat sich auf der Zunge zergehen lässt.

Als wenn es da je eine Balance gegeben hätte! Jeder Ökonom, jeder Sozialwissenschaftler, jeder Historiker, jeder Analytiker weiß nur zu gut, dass es nur Schieflagen, Ungerechtigkeiten, die schon immer gegen Himmel schrien, gab und sonst nichts. Oder eben Nebelkerzen oder Wortgeklingel.

„Der Kapitalismus braucht eine neue Balance“.

Als führe er ein Eigenleben, als gäbe es ihn jenseits des Begriffes wirklich, obwohl er nur ein Wort ist und weiter nichts. Würde man jetzt auch noch Kant heran ziehen, dann wären wir sehr schnell nur noch im Vorhof, in Probeläufen zur Beschreibung von Wirklichkeit angelangt. Aber soweit müssen wir gar nicht gehen. Versuchen wir es doch einfach mit einem weiteren Beispiel!

Eng verbunden mit diesen Begriffs-Korsagen gibt es nämlich noch eine scheinbar stimmigere Welt von Begriffen, die alles andere in den Schatten stellt. Das sind die Zahlen. Mit ihnen kann unser Gehirn Kopfspiele veranstalten, die seinesgleichen suchen. Gerade in diesen Tage führen uns die Zahlen vor, wer Herr im Haus ist. Der Erfinder von Zahlen und Begriffen wohl kaum mehr. Denn sonst müsste er eingestehen, dass er vor einem unermesslichen Scherbenhaufen hockt, der seine langen, langen Schatten auf den Erfinder der Zahlen- und Begriffswelten wirft. (Fortsetzung folgt)

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