17 Jul

Europa – Meditation # 209

Die Vorbilder stürzen von ihren Podesten.

Die Straße von Gibraltar. Die Route 66, die Seidenstraße, die Seilergasse… Wir Europäer haben schon immer mit viel Phantasie und bildgewaltig Erzählungen der Väter und Vorväter weitergegeben, um uns im Jetzt halbwegs zurecht zu finden. Und immer kommen neue Wendungen hinzu, bis dass schließlich das gesamte Narrativ nicht mehr weiß, wo es eigentlich her kommt. Umso besser. So lässt es sich leicht für neue Erzählungen umerzählen.

Eine dieser eindrucksvollen Erzählungen ist die vom sparsamen Geschäftsmann, der fleißig und integer für Haus und Hof Jahr für Jahr ordentlich wirtschaftet, um seine Familie und deren Kinder und Kindeskinder gesund und erfolgreich in die nächste Generation weiter ziehen zu lassen. Hoch oben auf dem Podest steht der pater familiae, Frau und Kinder huldigen ihm gehorsam. Überhöht wurde diese Erzählung, dieses Narrativ, noch von dem hehren Gedanken, dass der Gott der Christen wohlgefällig auf jene herab blicke, die schon hier auf Erden erfolgreich seien, ein Haus bauen, für die Zukunft vorsorgen. Es sei ein Zeichen der göttlichen Gnade, das schon zu Lebzeiten Auserwählt Sein sinnfällig vor Augen führe. Erhobenen Hauptes konnten solche Väter und Unternehmer, Kaufleute sonntags in die Kirche gehen: Alle wussten – schaut, das ist einer von denen, die auserwählt sind.

So waren Geld und Vermögen im christlichen Verständnis gottgewollte Dinge, nach denen zu streben heilsam war.

Heutzutage, wo das christliche Geläute eher hohl und blechern klingt, bleiben aber Geld und Vermögen weiter die Eckpfeiler einer männlichen Erfolgserzählung. Das Ansehen steigt mit dem Konto, bis dass so jemand geradezu über dem Normalsterblichen zu thronen scheint.

Und nun kommen die Nebelkerzen ins Spiel des neuen Narrativs:

Bei dem Tempo und den Möglichkeiten in der Wolke zu lustwandeln, sieht keiner mehr, wie Geld und Vermögen wachsen können. So oder so.

Die sogenannten Vorbilder in der Gesellschaft – Vorstandsvorsitzende, Chefs, Bankiers, Baulöwen, Direktoren, Hedgefond-Manager – entziehen sich jeder Kontrolle und basteln sich eigene Regeln des Vermehrens von Geld und Vermögen. Tarnen und Täuschen und die Gesellschaft Bluffen gehören in diesem feinen Narrativ zur besonders eindrucksvollen Variante scheinbar kluger Leute.

Europa sollte den Mut haben, solche Erzählungen verächtlich zu verlachen, die Täuscher dingfest zu machen und an den Pranger zu stellen. Weder ein Gott noch ein Mammon taugen für eine gute Erzählung heutzutage, Europa braucht eine bodenständige, naturnahe, nachhaltige und sorgsame Haltung derer, die gesellschaftlichen Reichtum an alle verteilbar machen. Betrug bleibt Betrug. Cum-Ex-“Deals“ und Wirecard-“Geschäfte“ sind zum Kotzen.

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