Europa – Meditation # 211
Die Geschichten werden immer kürzer, leerer, falscher…
Erschöpfung macht sich breit im alten Europa. Die großen Tiere, die sich gerade anschicken, auf der Weltbühne das Sagen zu übernehmen, kennen kein Mitleid. Wer zu spät kommt, den betraft das Leben. Ein eher ausgeleierter Spruch aus der Medienküche.
Am Anfang kam der Schrecken. Dann das sprachlose Entsetzen. Und als es endlich vorbei schien, meldete sich bescheiden die Angst zu Wort: Sie möchte bleiben und wird es wohl auch. Und mit ihr die Ratgeber, wie wir wieder aus der Not heraus kommen können.
Und während die Europäer gekränkt in ihrem Schmerz baden – schließlich ist doch die gesamte Moderne ein Kind Europas, sagt die vorwitzige Nabelschau vor sich hin brabbelnd – wachsen die großen Datensammler jenseits des Atlantiks und im Fernen Osten so schnell, dass es keiner Meldung mehr wert scheint.
Die Zeit der großen Narrative ist wohl zur Zeit nicht mehr en vogue. Dafür umso mehr die Zeit der kleinen Peaks: Mal eine Explosion im Libanon, mal eine Prise Wirecard, Infantino darf natürlich auch nicht fehlen, selbst der Trampel aus dem weißen Haus beginnt zu langweilen mit seiner öden Lügenlitanei, und die alten Autobauer hecheln weiter den Herausforderungen eines naturnahen Zukunftsgefährts ratlos und hektisch Wind machend hinterher.
Auch die Kirchen verstehen die Welt nicht mehr!
Dabei ist das Bedürfnis nach mehr als nur Konsumieren und vor dem Spiegel oder dem Monitor Pseudo-Weihrauch anzuzünden, nicht zu überhören: Wenn Jahrhunderte lang gepflegte Sinnangebote – von der Kanzel euphorisch in vielen Sprachen und Bildern verkündet – abhanden kommen, ist in der Tat guter Rat teuer.
Das wissen Fernsehpriester und andere Gesundbeter wohl zu nutzen. Und die Besucherzahlen scheinen ihnen ja Recht zu geben.
Aber immer wieder erweisen sich die hochpreisigen Idole als hohle Fassadenkletterer, deren Vorführungen wie schlaffe Luftballons am Gewitterhimmel zerplatzen.
So werden die kleinen Kreise – europaweit – zu den letzten Zufluchtsorten menschlicher Glücksmomente. Eigentlich waren sie es ja sowieso schon immer. Nur wurde erst das Jungvolk, dann auch die Oldies von virtuellen Angeboten überschwemmt, Tag und Nacht, in Dauerschleife sozusagen. Das aber macht müde. Denn Staffeln zu Ende anzuschauen, das dauert eben. Und was bleibt? Schlafmangel, Enttäuschung, Leere.
Aber die großen von vor der Pandemie möchten gerne wieder alles zurück haben auf Anfang, auf steile Kursfahrten an der Börse, auf Gewinne. Dabei schien doch für einen Moment in der Schreckphase alles möglich, alles endlich anders zu machen. Langsamer, naturbelassener, kleiner, ehrlicher, einfach humaner.
Die Europäer sollten die Gunst der Stunde nutzen – im Windschatten der arroganten Gewinnler – umzusteigen auf den Glauben an den Traum jenseits hegemonialer Zerstörungsszenarien. Dann könnte vielleicht doch noch eine Zukunft nach Anthropozän samt Kapitalän aus der Asche wachsen.