29 Sep

Europa – Meditation # 223

Europa gegen den Strom geschwommen. Oder der Versuch einer Zwiesprache mit ihr (Teil 2)

Liebens werte Europa, du weitsichtige, du!

Komm, komm, sag einfach, was du auf dem Herzen hast.

Gut. Dauernd quäle ich mich mit diesem Satz herum: Am Anfang war das Wort, weil…

Das kann ich gut verstehen. Schließlich ist die Sprache die raffinierteste Erfindung des menschlichen Gehirns, aber das ist nicht der Anfang gewesen.

Nicht? Was denn dann?

Am Anfang war die Angst und der Gesang dagegen.

Wie bitte?

Nun, als die Menschen noch nicht die Sprache erfunden hatten, verständigen sie sich – wie die anderen Tiere auch – mit Tönen, rhythmischen Klängen, die sie ihren Kehlen entlocken. Aus den Vokalen bauen sie dann mit den Lippen, den Zähnen und der Zunge Wörter. Und den Wörtern leihen sie Bedeutungen. Löwe. Komm. Lauf. Wir. Töten.

Klingt spannend.

Ist es auch. Später kommen noch Zahlen dazu. So entstehen Sätze, Zahlenreihen. Für Korn, Öl, Brot, Fische, Speere, Boote, Krüge.

Praktisch. So entstehen nach und nach also die Sprachen.

Quält dich nun der Satz nicht mehr so, am Anfang war das Wort?

Jein. Denn auf unserem kleinen Festlandbrocken, dem wir jetzt schon so lange nach dir benennen – Europa – gibt es drei Wortgebirge, die mit einander wettstreiten, wer wohl der wortgewaltigste sei.

Könntest du dich vielleicht etwas genauer ausdrücken? Wen meinst du denn mit diesen drei Wortgebirgen?

Die Thora, das Neue Testament und den Koran.

Oh. Du meinst also die Geschichten, die Männer vor langer Zeit erfunden haben, weil sie noch jemanden über sich wünschten, der all das kann und ist, was sie selbst nicht können und sind, und der ein strenger Richter sein soll.

Genau. In ihrer Angst flohen diese Männer in eine Phantasie, die ihnen noch mehr Angst machen soll, wenn man ihr nicht glaubt.

Und was meinst du dazu, Europa?

Drei Irrwege, die eine blutige Spur hinter sich lassen, drei Sackgassen der Sprache, die nur deshalb wahr erscheinen, weil sie wieder und wieder wiederholt werden.

Du würdest demnach die drei großen Religionen auf unserem kleinen Festlandbrocken als gewalttätige Verirrung bezeichnen?

Ja, da tue ich. Und ich tue es, weil es jenseits dieser drei schwer auf euch lastenden Wortgebirge weite Ebenen und sanfte Täler gibt, in denen sich mit viel weniger Angst sprechen, denken und leben lässt.

Ach, erzähl mir davon, bitte!

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