15 Dez

Europa – Meditation # 239

Europa aus der Spur gesprungen.

Als lernbegierige Schülerinnen und Schüler der altehrwürdigen europäischen Philosophiegeschichte haben wir so oft und so lange schon Aristoteles & Co nacherzählt, nachgesprochen und auswendig gelernt, dass wir völlig vergessen haben, dass es natürlich nichts als Kopfgeburten waren, die sich da scheinbar in Stein gemeißelt und unveränderlich in unsere Köpfe eingenistet haben und Jahrhundert für Jahrhundert neue Junge gebären, eines kühner als das andere ausgedacht.

Nun sollten wir eigentlich alt und weise sein – als gebildete (eingebildete?) Europäer – und gelassen die eigenen Irrwege hinter uns lassen, um bescheiden da zu verweilen, wo es gut sein könnte, sich zu erholen von all den geistigen Höhenflügen, Abstürzen und Neustarts.

Wie wäre es mit einem späten Habermas-Zitat – als Apéritif sozusagen – das uns angesichts einer globalen Pandemie wieder dort verortet, wo wir eigentlich hin gehören: unter die Sandkörner: Staub zu Staub eben?

„Wir lesen nicht, um uns über bestimmte Sachverhalte aufzuklären, sondern um wenigstens manchmal einige Zipfel jener vorsprachlich präsenten Erfahrungen, aus denen wir intuitiv leben und mit denen wir dahinleben, als solche zu ergreifen und uns anschaulich vor Augen zu führen. Ob sie nun schön sind oder schrecklich.“

Vorsprachliche Erfahrungen?

Wie sollen wir uns die denn vergegenwärtigen, wenn wir uns doch längst nur noch in Sprache und Sprachbildern zu denken konditioniert haben?

Wie Baron Münchhausen wäre vielleicht das kleine Wörtchen „intuitiv“ der Trick, mit dem wir uns aus der eingeübten Sprachwelt hinaus katapultieren könnten.

Wo aber würden wir dann landen?

Wieder in Sprache – es sei denn, wir lassen es zu, uns von Tagträumen leiten zu lassen, die im Zwischenreich jenseits von Zahlen und Wörtern ein wohliges Bad im Ungefähren gestatteten. Bloß Zipfel eben. Mehr nicht.

Das wäre aber geradezu ketzerisch, denn es würde ja dem wissenschaftlichen Anspruch an Genauigkeit, Messbarkeit und Berechenbarkeit Hohn lachen und das kann ja wohl nicht unser Ernst sein. Wir stecken eben nicht nur im Hamsterrad, nein, wir stecken auch in der Falle, die wir uns im Schweiße unseres Angesichts jahrhundertelang Erbsen zählend aufgebaut haben.

Sind nicht zur Zeit die wortreichen Wortreichungen allzu Zahlen lastig, als dass sie uns beruhigen könnten beim Einschlafen und Hoffen und Träumen? Wir werden eben nicht aufwachen und alles ist gut, bzw. und alles ist so in Zahlen und Worten verpackt, dass wir es getrost nach Hause tragen könnten. Stattdessen: Artisten in der Zirkuskuppel ratlos. Europaweit.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert