29 Aug

Europa – Meditation # 287

Europäer: Weltmeister im Selbstbetrug!

Adorno ( 1903 – 1969 ) – „Der kategorische Imperativ der Kulturindustrie lautet: du sollst dich fügen, ohne Angabe, worein.“

Und so fügen wir uns. Die Schreiber wie die Leser. Der Bildergarten darf gegossen, Unkraut gejätet und Setzlinge hinzugefügt werden.

In diesen Tagen drehen sich die Bilder um das ferne Afghanistan, das nahe Ahrtal, um Haiti und die oft besungene Westküste Nordamerikas: erbarmungslose Wasserfluten, furchterregende Feuerwände, vernichtende Explosionen und barbarische Beben.

Chaos vs. Ordnung – Wahrheit vs Einbildung – Unfassbar vs gefangen – das Beispiel Afghanistan: die meisten, die darüber etwas schreiben oder lesen, kennen das Land, die Menschen und seine Kulturgeschichte nur vom Hörensagen. Es wird aber vor diesem Hintergrund heftig gestritten um die Deutungshoheit – potemkinsche Luftschlösser eigener Gewissheiten, weiter nichts.

Die Beispiele Haiti, Ahrtal oder Nappa Valley lassen sich ähnlich verdeutlichen: Immer haben wir Europäer schon ein vorgefertigtes Bild in unserer Schublade (Langzeitgedächtnis), mit dem wir aktuelle „Daten“ blitzschnell abgleichen und dann selbstsicher neu bewerten und klar stellen. „Wie unterscheiden sich Al-Kaida, die Taliban und IS-Männer voneinander?“ Die Frage lässt schon erkennen, dass wir mindestens drei Schubladen haben, wo wir sie getrennt unterbringen können. Wie schön aber auch! Den Schrecken, den die jeweiligen Bilder hervorrufen, haben wir gelernt, klein zu reden oder zu überzeichnen. Immer wähnen wir uns als Betrachter und nicht als Teil der Natur, die dieses natürliche Chaos schon immer inszeniert. Als stünden wir über den Dingen -cogito ergo sum!

Horaz ( 65 – 8 vor unserer Zeitrechnung ) – „Dum loquimur, fugerit invida aetas, carpe diem, quam minimum credula postero“ (Noch während wir reden, ist die missgünstige Zeit schon entflohen, pflücke den Tag und glaube so wenig wie möglich an den nächsten!) – Odes, I,11

Horaz und Adorno – Bildungsballast? Nicht unbedingt. Denn beide erinnern uns Europäer daran, dass wir zwar beeindruckende Artisten im fiktiven Salto Mortale sind, aber dennoch nicht wahrhaben wollen, dass wir uns ganz schön was in die Tasche lügen. Einbildungen alles.

Die Kunst haben wir an die Kette gelegt, sie darf zwar unterhalten und begeistern, nicht aber zu ernst genommen werden. Sonst könnten wir sie vielleicht sogar als einzigen Ausweg aus unseren bequemen Denkautobahnen nutzen. Stattdessen beschäftigen wir uns intensiv mit dem Nach-Denken vergangener Kunst-Botschaften oder phantasieren uns in atemberaubende Zukunfts-Szenarien, verpassen dabei aber leichtfertig den gegenwärtigen Augenblick – andauernd. Horaz erinnert daran auf eindringliche Art und Weise.

Und dass die Kunst im Fahrwasser der Kulturindustrie zu einer Ware wie jede andere auch verkommt, mahnt Adorno zu Recht unmissverständlich an. So schütten wir uns mit Aktionismus zu – vor lauter Terminen vergessen wir fast das Regenerieren im Schlaf – und halten das dann für die Wirklichkeit. Dabei ist sie nicht mehr und nicht weniger als hysterische Einbildung, mutwillige Bebilderung dessen, was wir als Realität definieren. Wir unterwerfen uns also leichtfertig Vorstellungen, die uns daran hindern, uns im jeweiligen Augenblick als die Lebewesen zu erleben, die wir eigentlich sind. Tiere, angepasste Lemminge, weiter nichts. Das unterschwellige Unwohlsein dabei betäuben wir hektisch mit Geld, Tempo, Mengen und anderen Drogen und einer leidenschaftlichen und kompromisslosen Selbstverliebtheit.

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