18 Aug

Europa – Meditation # 352

Bilder und Überschriften zerrinnen zu nichts.

Urteile statt Ansichten – wie wir uns die Welt zusammen dichten, als wäre sie bloß Knete, die auf unser Formtalent gewartet hätte. Das gilt wohl im Kleinen wir im Großen: unsere eigene Biographie und die der anderen modeln – bzw. mogeln – wir uns schön stromlinienförmig, in dem wir immer wieder von Neuem alte Geschichten neu erzählen, als würden sie gerade erst gefunden. Nicht erfunden; so kommentieren das immer nur schlecht gelaunte Besserwisser.

Wer möchte schon gerne heutzutage an die Bilder erinnert werden, die Tag für Tag im Zeitalter des Kalten Krieges über die sogenannte DDR uns eingetrichtert wurden, wer die heutigen in Frage stellen?

Mal war die Atlantische Freundschaft „overwhelming“, mal „hochnotpeinlich“ – je nach dem, wer gerade die Medien mit seinem Bildervorrat zu fluten verstand. Wir ängstlichen Lemminge aber schlürften sie wie Nektar und Ambrosia. Übereinstimmungen mit der Wirklichkeit waren da eher rein zufällig, aber was soll‘s?

Schon stürzte der nächste Turm ein, schon changierte das Lästern über das Desaster der Roten Armee in Afghanistan zu reinster Verlegenheit, als sich die Unterstützung der Taliban als übles Eigentor entpuppte, das mit einem schmählichen Abzug gut zwanzig Jahre später und so vielen tragischen Toten auf allen Seiten endete. Gestern sozusagen. Wir unglaublich stark hatten sich die Berichterstatter im Beschreiben der „humanen Mission“ gesehen und wie willig schluckten wir diese Botschaften als Unterstützer der Streiter für eine bessere Welt. Wie maßlos „home-made“ war diese Sicht der Dinge. Doch das alles Schnee vom letzten Jahr, selbst die Pandemie – Bergamo lässt grüßen wie aus einem Horrorfilm, den Hollywood millionenfach in Szene gesetzt zu haben schien – ist heruntergebrochen zu einem Text auf Seite drei oder vier; nun sind die Lemminge wieder bei ihrem Lieblings-Narrativ angelangt, dem Krieg. Galt in der BRD nicht bis vorgestern Rüstung als besenkammerreif? Schmückten wir uns nicht gerne – die Narrative sind Legion – im Weltmaßstab als die Weltmeister der gewaltfreien Parlamentäre, die in zähem Verhandeln wahre Zauberkünstler der Kompromisse zu sein schienen? Wer möchte daran jetzt noch erinnert werden?

Krankheit und Tod treten folgsam in die zweite Reihe, denn das Narrativ für den Herbst heißt nun – wie Phönix aus der Asche – sparen, um ja nicht im Winter frieren zu müssen. Ein neues Horrorszenario wird da im Pixel-Himmel beschworen. Die Flutwelle im Ahrtal ist plötzlich so weit weg, die leer laufenden Flüsse sind dagegen nun wie ein Menetekel für den zürnenden Wettergott, der seine weiter unverdrossen um das goldene Kalb tanzenden Irrwische züchtigen wird, erbarmungslos – wie im Alten Testament.

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